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Ein feste Burg ist unser Isolierschlauch: Das Klangprojekt Leipzig improvisiert in Bad Lausick

Info

Künstler: Klangprojekt Leipzig

Zeit: 03.10.2020

Ort: Bad Lausick, Kilianskirche

Internet:
http://www.klangprojekt.de

Hinter dem Namen Klangprojekt Leipzig verbergen sich naturgemäß Musiker, die irgendwas mit der Messestadt zu tun haben, also beispielsweise dort leben – aber ansonsten läßt die Titulierung noch alle Möglichkeiten vom Schlager über mannigfache andere Genres bis hin zu Lärm à la John Zorn und Konsorten offen, denn der Terminus Klang ist ja bekanntlich sehr weit zu fassen: Wenn ein LKW bremst, entsteht Klang – wenn eine Nachtigall singt, entsteht auch Klang. Der Terminus Musik wiederum wäre schon enger zu fassen, aber der kommt dann zumindest in der Ankündigung für das Konzert am Abend des 30. Jahrestages des Beitritts der DDR zur BRD vor: Improvisierte Musik wird angekündigt, und etwa ein halbes Hundert Besucher möchte sich diese Gelegenheit in der uralten Kilianskirche des sächsischen Kurstädtchens Bad Lausick nicht entgehen lassen.

Dass mit Außergewöhnlichem zu rechnen sein dürfte, zeigt sich schon bei einem Blick in Richtung des noch menschenleeren Altarraums, in dem neben einem zweimanualigen Keyboard und einem fast traditionell bestückten Jazzschlagzeug ein Sammelsurium an weiteren Instrumenten aufgebaut ist, und weil der Platz nicht reicht, liegt davor in der Vierung auch noch einiges herum und wird nach den ersten Konzertminuten noch erweitert: Die drei Musiker haben sich im hinteren Bereich der Kirche verteilt (einer links hinten, einer rechts hinten, einer oben auf der Orgelempore), beginnen dort zu musizieren und bewegen sich dann schrittweise nach vorn in den Altarraum, wobei nur Saxophonist Thomas sein „Hauptinstrument“ spielt, während Keyboarder Thomas kleine Glöckchen klingeln läßt und Drummer Andreas einen Isolierschlauch (!) durch die Luft wirbeln läßt und damit ein ungewöhnliches schwirrendes Geräusch erzeugt. Das ist allerdings eines der sehr wenigen Beispiele, wo das Klangprojekt in bester Einstürzende-Neubauten-Manier Dinge als Musikinstrumente nutzt, die eigentlich nicht als solche gedacht waren – das Gros des Arsenals ist tatsächlich primär zum Musikmachen gedacht gewesen, überrascht dann allerdings in Komponenten wie Kombination oder hiesiger Seltenheit. Als alle drei Musiker im Altarraum angekommen sind, setzt sich Andreas nicht etwa direkt hinters Schlagzeug oder eins seiner diversen anderen perkussiven Elemente, sondern spielt minutenlang ein elektrisch verstärktes Didgeridoo, das im Sound der romanischen Kirche weniger in Einzeltönen, sondern eher als tiefenraumfüllendes Etwas wahrgenommen werden kann, während Tasten-Thomas seinem Synthie klassische Space-Klänge (mit gelegentlichem anachronistischem Geflacker) entlockt und letztlich „normale“ E-Piano-Läufe einzuwerfen beginnt, die dann bestimmte Gliederungselemente des Sets prägen werden: Dreimal nimmt sich der Keyboarder jeweils einen bekannten Choral vor und exerziert diesen in mannigfachen Abwandlungen, was Tempo, Rhythmik, Harmonik, aber auch Tonhöhe betrifft, durch, so dass die Melodie bisweilen bis auf die einzelnen Knochen auseinandergenommen und variiert wieder zusammengesetzt wird. Die Wahl fällt an diesem Abend auf „Wer nur den lieben Gott läßt walten“, „Ein feste Burg ist unser Gott“ und „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Was die beiden anderen Musiker jeweils dazu spielen, variiert allerdings sehr stark – Bläser-Thomas steuert bisweilen etwas zur Harmonisierung oder auch Deharmonisierung bei, ist aber auch geräuschhaft aktiv, und Andreas hält sich gleichfalls alle Optionen offen, was dann im Extremfall tatsächlich mal bis zu einem klassischen Vier-Viertel-Beat reicht und man quasi eine traditionelle Jazzinstrumentalpassage vor sich hat, die gegen Setende hin, unterstützt noch durch einen Synthiebaß, partiell so groovig ausfällt, dass die Banknachbarin des Rezensenten begeistert mitwippt.
Zwischen diesen Teilen liegen allerdings weitere, wobei anzumerken ist, dass die Band durchspielt, also zumindest einer der drei immer am Klangerzeugen ist, auch wenn die beiden anderen gerade umbauen oder von einem Instrument an ein anderes wechseln. Das heißt auch, dass eine gewisse Bewegung herrscht, sowohl im Altarraum als auch in der Vierung, und Bläser-Thomas dreht mit einem seiner Saxophone auch nochmal eine große Runde durch die Kirche. Ungefähr in der Setmitte lagert eine längere Passage, wo alle drei perkussiv arbeiten, und dann gibt es noch zwei Teile, die deutliche Ausflüge in den asiatischen Bereich unternehmen, einmal mit Maultrommel und mongolisch anmutenden Vokalisen (die einzigen Gesangsbeiträge des Sets) und einmal mit einer Baglama, einer Langhalslaute aus dem türkischen Kulturkreis, die sich aber auch für Klangeindrücke in Asien weiter östlich angesiedelter Areale eignet – man würde sich hier nicht wundern, wenn diese Passage in Richtung Tengger Cavalry oder The HU ausgebaut würde, was freilich in der Kirchenakustik ein wenig schwierig wäre, denn wenn Andreas sein Kit in hoher Schlagintensität bearbeitet, ist zumindest im linken Arm des Querhauses, wo der Rezensent sitzt, die Gefahr groß, dass da klanglich ungeplant zuviel ineinanderläuft. Aber generell macht dieser Lautenteil richtig Hörspaß, wenngleich Tasten-Thomas gegen Ende zu einer Flöte greift, die aber akustisch etwas zu sehr untergeht – da ist man bei improvisierter Musik halt hinterher immer schlauer. So ackern sich die drei durch eine Dreiviertelstunde interessanter, vielfältiger und durchaus nicht einfach zu beschreibender (und erst recht nicht immer einfach zu konsumierender) Musik, die mit einem seltsamen und unprätentiösen Schluß endet (Keys und Drums sind schon fertig, das Sax läßt noch einen etwas geräuschhaften Schlußton verklingen) und vom Publikum, nachdem klar geworden ist, dass das wirklich der Schlußton sein sollte, reichlich beklatscht wird. Eine Zugabe gibt es nicht und leider auch keine Erläuterungen zum Instrumentarium, das noch die eine oder andere exotische Perle bereitgehalten hat – die verwendeten Glocken etwa kommen u.a. aus Äthiopien und Bangladesch. Da hätte der eine oder andere mit diesem Hintergrundwissen vielleicht noch mit etwas anderen Ohren hingehört – andererseits sind solche Erläuterungen in einem nur aus einem Set bestehenden Konzert natürlich strukturell schwierig unterzubringen, und das ließe sich wohl nur lösen, indem man zwei Sets spielt und in der Pause die eine oder andere Preziose, die man bereits bedient hat oder noch zu bedienen gedenkt, vorstellt. Das wiederum ist bei einer puren freien Improvisation nicht leicht zu bewerkstelligen, da natürlich nicht jedes Instrument überall paßt und vorher keiner weiß, in welche Richtung sich die Musik dieses Abends entwickelt, so dass man dann möglicherweise ein Instrument vorstellt, das man zwar im zweiten Set gerne spielen würde, das aber letztlich gar nicht zum Einsatz kommt, weil die musikalische Entwicklung anders verläuft als gedacht. Auch an diesem Abend ist deutlich mehr vorhanden, als in der Dreiviertelstunde letztlich zum Einsatz gebracht wird. Aber diese kleine Einschränkung schmälert den Reiz des Gehörten durchaus nicht – man muß sich auf diese Art Musik einlassen können und wollen, aber wenn man das tut, kann man reichlich belohnt werden.

Roland Ludwig


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