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Du sollst bis 4 zählen: Trecker und White Rabbit Dynamite im letzten Konzert auf dem alten Fußboden im Kulturbahnhof Jena

Info

Künstler: Trecker, White Rabbit Dynamite

Zeit: 18.01.2020

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Fotograf: Tim Leffring

Internet:
http://www.kuba-jena.de
http://www.treckerband.com
https://m.facebook.com/WHiTE-RABBiT-DYNAMiTE-150430712456/

Dass mal eine Band ausfällt und durch eine andere ersetzt wird, ist ja per se nichts Ungewöhnliches – an diesem Abend aber ergibt sich die Situation, dass keine der eigentlich vorgesehenen Bands spielt: Der Supportact Sir Robin And The Longbowmen hatte bereits einige Wochen vor dem Konzert absagen müssen und war durch White Rabbit Dynamite ersetzt worden. Fünf Tage vor dem Konzert fiel aber auch noch der Headliner Sirkus aus, für den sozusagen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Trecker herangekarrt wurden. Das Publikum scheint’s wenig zu stören – obwohl die Option besteht, das Ticket umzutauschen, wenn man ausschließlich auf Sirkus erpicht gewesen sein sollte, so wird diese Option offenbar kaum genutzt, denn der Saal ist recht ansehnlich gefüllt. Zudem handelt es sich sozusagen um einen historischen Abend, nämlich den letzten auf den alten Bahnhofsfliesen, die entfernt und durch einen Parkettfußboden ersetzt werden sollen.

White Rabbit Dynamite waren schon mehrfach beim Cosmic-Dawn-Team zu Gast, auch bereits im früheren Domizil, der Kneipe „Black Label“, aber der Rezensent sieht sie an diesem Abend zum ersten Mal. Dynamit, so wird schnell klar, zünden die Berliner jedenfalls keins – das Quartett nimmt sich alle Zeit der Welt, um die Songs zu entwickeln, reiht scheinbar endlose Repetitionen der Motive aneinander (gern in Vielfachen der Zahl 4), aber wenn sie sich dann doch mal entschließen, zu einem anderen Motiv überzugehen, stellt man fest, dass sich im stillen doch eine Entwicklung vollzogen hat. Dazu passend bewegt sich das Tempo zumeist in schleppenderen Bahnen, aber es komme niemand und vermute jetzt etwa Doom Metal: Der Gitarrist hält seine Linien zumeist halbakustisch, nur selten streut er mal kernige Riffs ein, und Metal ist das Ganze von seiner Grundanlage her schon gar nicht, selbst vom Hardrock müßte man den „Hard“-Bestandteil eigentlich eher einklammern. Der Opener „It Wouldn’t Take Me That Long To ...“ gerät mehr oder weniger prototypisch für das, was uns während der gesamten reichlichen Stunde Spielzeit erwartet, und das folgende „In Love Again“ fällt in den Rahmenteilen tatsächlich ein wenig flotter aus, senkt das Tempo dazwischen aber auch wieder markant ab. So reihen die drei Instrumentalisten ein Motiv an dasselbe, jedenfalls scheinbar, und schaffen es doch irgendwie, keine Langeweile aufkommen zu lassen, wenngleich man sich durchaus vorstellen kann, dass zum tieferen Eindringen in die Musik gewisse Rauchwaren nicht ganz unnütz sein könnten. Die Sängerin ist Nummer 4 im Bunde, kommt eher selten zum Einsatz (heißt: es gibt lange, sehr lange instrumentale Passagen, die sie zumeist hüftschwingend auf der Bühne verbringt), addiert aber eine interessante Klangfarbe mit ihrem eher recht klaren, manchmal ganz leicht nöligen Gesang – einprägsame Melodien aber bleiben hier Mangelware. Der Bassist, dessen Frisur einer Addition der Haarprachten von Paul Breitner und David Luiz entsprungen sein könnte, agiert an einigen Stellen einen Tick zu dröhnig und verunklart das ziemlich transparente und zudem in angenehmer Lautstärke daherkommende Klangbild bisweilen zu sehr, fügt sich in den meisten Momenten aber als kongeniales Bindemittel in den Bandsound ein und erinnert in der Klangfarbe bisweilen an die Black Space Riders, die knapp anderthalb Jahre zuvor an gleicher Stelle spielten (siehe Rezension auf diesen Seiten). „These Are The Nights“ heißt der reguläre Setcloser, und hier gehen White Rabbit Dynamite tatsächlich mal etwas mehr aus sich heraus, bauen größere Soundwälle mit viel mehr Dynamik und sorgen so für einen spannenden Abschluß ihres Gigs – theoretisch jedenfalls, denn das Publikum überredet sie noch zu einer Zugabe und bekommt gleich deren zwei serviert, in denen die Sängerin ihre Linien bisweilen doch etwas entfernt vom anhand der gängigen Harmonielehre eigentlich zu Erwartenden plaziert und vor deren zweiter sie die Herangehensweise ihrer Band selbstironisch kommentiert: „Jetzt kommt noch ein Schlaflied von uns, und dann wecken Euch Trecker wieder auf.“ Ganz so schlimm kommt’s freilich nicht, aber die beiden Zugaben passen sich wieder eher in den anfänglichen repetitiven Stil ein, der von vielen Anwesenden allerdings auch ohne Rauchwarenunterstützung offensichtlich gemocht wird, und auch der Rezensent entwickelt durchaus nicht nur rein analytisches Interesse. Ach so: Wer anhand des Bandnamens auf eine bestimmte Jefferson-Airplane-Coverversion gehofft haben sollte, geht leer aus.

Trecker sind eigentlich als Trio angekündigt, aber das brandaktuelle Bandfoto (siehe oben) zeigt ein Quartett, und ein solches steht dann auch in Jena auf der Bühne: Der zweite Gitarrist ist neu, und schon nach dem Opener fragt man sich, wie Trecker diesen Song als Trio auf die Bühne gebracht haben, lebt er doch nicht zuletzt von diversen zweistimmigen Gitarrenleads, die maßgeblich zu seinem Reiz beitragen. Diese Frage können nur Menschen beantworten, die mit dem bisherigen Werdegang der Bamberger vertraut sind und sie schon einmal live gesehen haben – der Rezensent zählt nicht zu diesem Personenkreis, er erlebt die Band an diesem Abend zum ersten Mal. Wie besagter Opener heißt, muß auch offenbleiben – Trecker lassen sich nicht mit einer Setlist in die Karten gucken, und von Ansagen halten sie auch wenig bis nichts: Gleich drei Musiker, nämlich alle außer dem Drummer, haben ein Mikrofon vorm Gesicht, aber die Publikumskommunikation beschränkt sich auf ein „Danke!“, „Geil!“ o.ä. aus dem Munde des zugleich die erste Gitarre bedienenden Sängers, danach stimmen die drei Saitenspieler eine halbe Minute lang, und dann beginnt der nächste Song. Das könnte man also durchaus noch ein wenig stringenter lösen, wenngleich es dem Publikumszuspruch primär nicht abträglich ist und dann quasi nur jeweils für einen halbminütigen Zusammenbruch der Atmosphäre sorgt. Schaut man nochmal auf besagten Opener zurück, so umfaßt er bereits einen Gutteil dessen, was man im weiteren Verlaufe des Sets noch zu hören bekommt. Als Stoner Rock angekündigt, spielen Trecker jedenfalls eine recht rock’n’rollige Variante dieses Stils, dazu melodisch aufgelockert durch die erwähnten zweistimmigen Passagen in den Leads oder auch in den Riffstrukturen, welchletztere primär eher auf Durchsichtigkeit als auf urwüchsige Riffpower angelegt sind, wenngleich es auch letztgenannte gibt und dann eine motörheadkompatible Energie erzeugt wird. Der finale Part des mehrfach erwähnten Openers wiederum bietet feisten Doom klassischer Prägung – ein Stil, der im Verlaufe des Sets aber nur gelegentlich zum Einsatz kommt, da das Tempo zumeist in etwas höheren Gefilden liegt, wobei allerdings etliche abrupte Wechsel festzustellen sind, wo der Trecker mal eben aus dem fünften in den zweiten Gang oder vom Pflüge- in den Straßenmodus schaltet, ohne die Kupplung zu treten. Dazu tritt ein Kuriosum: Mittlerweile scheint es im Kulturbahnhof Pflicht zu sein, ein Deep-Purple-Riff einzubauen – hatten sich im Dezember 2019 Wucan und das New York Ska-Jazz Ensemble jeweils für das von „Smoke On The Water“ entschieden, fällt die Wahl bei Trecker auf das von „Black Night“, und zwar – der Leser ahnt es bereits – viermal wiederholt. Der vorletzte Song ergänzt das Spektrum dann noch durch waschechten Bluesrock, und nachdem man sich lange Zeit gefragt hatte, wozu auch der Gitarrenneuzugang ein Mikrofon vor sich stehen hat, bekommt man zwei Songs vor dem Blues in einem Break auf die Worte „Under the bridgestone“ die Antwort – er singt eine klare zweite Linie zu den leicht angerauhten und bisweilen ein wenig schnodderigen Zeilen des Hauptsängers, während der Basser gelegentlich Gangshout-Backings einwirft. Trecker haben ihren eigenen Soundmann dabei, der nach gewisser Anlaufzeit ein zwar ziemlich lautes, aber relativ klares Klangbild zurechtschneidern kann, allerdings dann in die alte Krankheit verfällt, im hinteren Setdrittel die Regler hochzuziehen, was prompt mit einer gewissen Verunklärung vor allem der Gitarrenarbeit bestraft wird. Am Setende toben der Basser und der zweite Gitarrist über die Bühne, und der Basser tritt dabei auf sein Kabel und beschädigt dessen Verankerung im Instrument – das Publikum fordert allerdings eine Zugabe ein, und so erklingt „Troublemaker“, das der Neue gitarrenseitig offenbar noch nicht mit einstudiert hat, in einer eigentümlichen Fassung aus Drums, Gitarre, Leadgesang und den beiden Backingvokalisten, bevor kurz vor Mitternacht der Zündschlüssel des Treckers zum letzten Mal abgedreht wird. Kuriosum am Rande: Am gleichen Tag fahren zahllose Traktoren nach Berlin, um am Eröffnungswochenende der Grünen Woche für eine agrarpolitische Wende zu demonstrieren ...

Roland Ludwig


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