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Artikel

Von Felis silvestris catus zu Pantherinae: Das New York Ska-Jazz Ensemble mit Brian Hill und MiezeSKAze in Jena

Info

Künstler: New York Ska-Jazz Ensemble, Brian Hill, MiezeSKAze

Zeit: 19.12.2019

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Fotograf: Oriella Minutola (Kenobi Studio, 2010)

Internet:
http://www.kuba-jena.de
http://newyorkskajazzensemble.com/
https://de-de.facebook.com/miezeskaze/

Das 1994 gegründete New York Ska-Jazz Ensemble feiert nach Adam Riese anno 2019 sein 25jähriges Bestehen und tut das u.a. mit einer Europatour, auf deren Plan auch ein Gastspiel im Jenaer Kulturbahnhof steht – nicht das erste, wie sich herausstellt, wohl aber das erste, das der Rezensent miterlebt. Schrägerweise geht es auch an diesem Donnerstagabend zeitiger los als eigentlich angekündigt, wie es schon fünf Tage zuvor beim Magnificent Music X-Mas Festival der Fall gewesen war (siehe Rezension auf diesen Seiten) und im Kulturbahnhof Seltenheitswert besitzt. Im vorliegenden Fall freut sich der Rezensent, 20.35 Uhr und damit rechtzeitig vor den bekanntgegebenen 20.45 Uhr am Start zu sein – und doch spielen MiezeSKAze bei seinem Eintreffen schon seit fünf Minuten und haben das Setintro sowie das Gros von „Public Transportation“ schon hinter sich. Das Sextett bildet sozusagen eine der Hausbands des Clubs, und welcher Sound von ihr zu erwarten ist, legt die Schreibweise des Bandnamens bereits nahe – allerdings hören wir, auch das bandnamenimmanent, eine sehr eigentümliche, kontrollierte, brave Version des Ska, die böse Zungen vielleicht als „typisch deutsch“ klassifizieren würden, was irgendwie stimmt und irgendwie auch wieder nicht. So solide das alles klingt, so sehr wartet man darauf, dass die Band mal etwas mehr aus sich herausgeht und beispielsweise mehr aus ihren Möglichkeiten macht, die sie mit zwei Gitarristen besitzt. Auch die Vocals klingen im besten Sinne normal, wobei es eine Weile dauert, bis man diejenigen des aus Publikumssicht linken Gitarristen versteht, da er einen Tick zu weit in den Hinter- und der Drummer einen Tick zu weit in den Vordergrund gemischt ist, was sich erst im Laufe des Sets bessert. Und das ist in diesem Falle gut so, denn MiezeSKAze scheinen eine Neigung zu leicht verschrobenen Texten Marke Hamburger Schule zu besitzen, wie beispielsweise „Volahiku“ oder auch „Realität“ (von dem an diesem Abend die laut Ansage gefühlt 15. Fassung erklingt) deutlich machen, und die will man eigentlich schon genau verstehen. Neben dem linken Gitarristen singt auch der Saxer Leadvocals, wenn er nicht gerade sein Instrument zu bedienen hat, und zum Scherzen aufgelegt ist er auch: „Mal sehen, ob wir das können“ lautet seine Ansage zum abschließenden und von ihm gesungenen, ohne Saxophon auskommenden „How Long“, und tatsächlich zeigt er hier und da im Song Wechsel an, macht sich aber auch unbeliebt, indem er meint, auf der Bühne unbedingt rauchen zu müssen. Backingvocals steuert der Keyboarder bei, der instrumentenseitig auf die klassische Schule setzt, also Rhodes, Hammond & Co. und der laut Ansage gewissermaßen direkt aus dem Krankenhaus auf die Bühne gekommen ist, da er justament Vater geworden sei. Ob das der Grund ist, dass er ganz alleine auf die aus Publikumssicht gesehen linke Bühnenseite „verbannt“ worden ist, während sich die anderen fünf Bandmitglieder in den rechten zwei Dritteln der Bühne drängen, muß offenbleiben. Nach einer halben Stunde ist der Set vorbei, das in reichlicher Zahl anwesende Publikum spendet freundlichen Applaus und hat im Verlaufe der 30 Minuten auch bereits begonnen, das Tanzbein zu schwingen, aber eine Zugabe fordert niemand ein, und so entgeht uns laut Setlist „Das Modell“ – sollte das tatsächlich ein Kraftwerk-Cover als Ska-Fassung sein? Das wäre mal richtig interessant geworden.

Brian Hill hätte eigentlich als After Show Act spielen sollen, aber man hat seinen Set vorgezogen. Der Mann musiziert ansonsten bei Regatta 69 und fährt die Tour als Merchandiser mit, bekommt aber die Gelegenheit, auch drei Songs seiner Stammkapelle darzubieten, und zwar in eigentümlichen Fassungen, die er selbst in seiner ersten Ansage als „Loop Show“ bezeichnet. Heißt praktisch: Er steht mit einer Gitarre (auf der sein Name zu lesen ist) bewaffnet auf der Bühne, produziert ein Thema nach dem anderen, loopt dieses ein und kombiniert die Loops dann, wobei sich die Themen keinesfalls auf Gitarrenlinien beschränken, sondern es auch perkussive Teile, Baßsounds und verschiedenartige Gesangsstrukturen gibt. Das liest sich jetzt interessanter, als es in der Livedarbietung tatsächlich wirkt – der bedächtige Aufbau trägt nicht gerade zur Stimmungserzeugung bei, zumal sich die drei Songs in ihrem Resultat auch noch alle ziemlich ähneln. Das mag für Analytiker interessant sein, vielleicht auch für Kenner der „Vollversionen“ der Stammband, zu denen der Rezensent nicht zählt. Zwar beeindruckt der Fakt, was man als „Alleinunterhalter“ mit überschaubaren technischen Hilfsmitteln für komplexe Muster erzeugen kann, aber man kann sich ein Gähnen nicht verkneifen, zumal der wollbemützte Mann eine gute, aber keine außergewöhnliche Stimme besitzt und das Material eher gemächlichen Grundbeats frönt und auch in puncto Energietransport keine Bäume ausreißt – nicht mal der Song „Rockin‘ Time“ rockt hier richtig. Da reißt das schöne spacige Solo im letzten Song leider nichts mehr heraus: Brian Hill wird freundlich beklatscht, aber keiner ist böse, dass er nur drei Songs spielt.



Dann kommt das New York Ska-Jazz Ensemble auf die Bühne und schafft es, schon im Opener „Free As A Bird“ mehr Esprit zu versprühen als die bisherigen Acts in ihren Sets zusammen – und dabei ist das noch nicht mal eine sonderlich schnelle Nummer. Das Sextett strukturiert seinen Set bis Position 8 so, dass immer ein Speedsong auf eine Midtemponummer folgt, und erst ab „My Baby“ wird dieses Prinzip durchbrochen und ein buntes Durcheinander auf die Bühne gebracht, das freilich nicht weniger überzeugt als die geordnete Struktur zu Beginn. Hier kriegt der Affe jedenfalls von Anfang an richtig viel Zucker, hier verwandelt sich die Miezekatze wahlweise in einen flotten Geparden, einen kraftstrotzenden Tiger oder einen eleganten Panther. Schon an Position 3 kommt „Love And Affection“ und damit der erste Grund, die herzförmig angeordnete Sonderbeleuchtung im Club einzuschalten, und „Take Five“ an die fünfte Setposition zu setzen hat schon allein durch diesen Fakt Charme – aber aus dieser Nummer eine locker groovende Ballade zu machen grenzt an Genialität. Ob im Set Eigenkompositionen standen oder es sich ausschließlich um Fremdmaterial handelt, müssen Menschen entscheiden, die sich im Jazz besser auskennen als der Rezensent, aber das Ergebnis ist immer irgendwas Interessantes im Ska, Jazz, Rocksteady oder angrenzenden Bereichen, mal erbarmungslos Tanzwut erzeugend und die spielerischen Qualitäten des Sextetts ganz besonders fordernd, aber auch mal einfach nur locker swingend. Das geschieht bisweilen instrumentaldominiert, aber das Ensemble besitzt auch hohe gesangliche Fähigkeiten: Außer dem Drummer singen alle Mitglieder, was auch vielstimmige Satzgesänge ermöglicht – die Leadvocals kommen dagegen hauptsächlich vom Saxer/Flötisten sowie vom Trompeter, wenn deren Atem nicht gerade für ihre Blasinstrumente gebraucht wird. Letzterer steht in den ersten Songs klanglich einen Deut zu weit im Vordergrund, aber das bekommt die Soundfraktion schnell geregelt, und dann darf man sich über ein ausgesprochen klares Klanggewand freuen, das alle Instrumente und Gesangsmikrofone angemessen bedenkt. In das große Epos „Elegy“ schmuggelt die Band das „Smoke On The Water“-Riff ein, alle sind bester Laune, das Tanzbein wird im Publikum fleißig geschwungen, und da der Trompeter justament Geburtstag hat, bekommt er ein spontanes „Happy Birthday“-Ständchen der Besucher serviert. Drei Zugaben erklatscht sich das begeisterte Publikum noch, wobei mit „Stir It Up“ eine zwar bekannte, aber nicht schnelle Bob-Marley-Nummer, die auch in der Interpretation des New York Ska-Jazz Ensembles nicht schnell, dafür aber groovy und heiß daherkommt, den Kehraus markiert, also nicht eine weitere der Tanzbodenfegernummern, sondern eben eine in überschaubarem, aber trotzdem unwiderstehlichem Tempo. Den einen oder anderen Liter Flüssigkeit verloren hat man im Publikum sowieso, und das Sextett hatte hörbar viel Spaß am Musizieren, zumal jeder auch sein individuelles Können in den Vordergrund stellen durfte – davon ist offenbar jede Menge dagewesen. So bleibt die Hoffnung, dass man diese sechs Vollblutmusiker (Szenekennern dürfte der eine oder andere z.B. von den Toasters oder den Skatalites geläufig sein) mal wieder zu Gesicht bekommt und es für den Drummer nicht sein einziger Jena-Gig bleibt – der war beim vorigen Besuch der Band in der Saalestadt nämlich noch nicht dabei.

Roland Ludwig


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