····· Avantgarde Metal aus Italien begibt sich mit Gotho in unerforschte Galaxien  ····· Assaf Levitin lebt im Spagat zwischen Israel und Deutschland ····· Abgesagt: MEET & GREET mit Huxley Would Approve / Single Celled Organism / Syrinx Call / Vlyes ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Artikel

Auf Abschiedstour in Weltklasse-Form: Krokus auf dem „Magic Bike“ in Rüdesheim

Info

Künstler: Krokus

Zeit: 20.06.2019

Ort: Rüdesheim - Magic Bike

Die Schweizer Hardrock-Veteranen Krokus verabschieden sich auf ihrer „Adios Amigos“-Tour 2019 von ihren europäischen Fans, 2020 von den Fans außerhalb Europas. Am 7.12.19 spielen sie das letzte Mal in der Schweiz im Hallenstadion in Zürich. Der für mich günstigste Termin 2019 findet auf dem Magic Bike in Rüdesheim statt, etwa 300 km von mir entfernt. Bei dem Motorradtreffen finden sich ca. 10.000 Biker aus aller Welt ein. Rüdesheim selbst hat ca. 9000 Einwohner. Man kann sich vorstellen, dass dies für die kleine Stadt den absoluten Ausnahmezustand bedeutet. In Rüdesheim selbst war auch kein Hotel mehr zu bekommen, wir haben in dem gut erreichbaren Hattenheim auf dem Weingut Egert eine Ferienwohnung gemietet.

Das schöne Rüdesheim ist an sich schon einen Besuch wert. Die Drosselgasse mit urigen Weinlokalen, Souvenirständen und Bierlokalen wird jährlich von etwa drei Millionen Gästen besucht. Rüdesheim liegt malerisch direkt am Rhein und wird von Weinbergen und alten Fachwerkhäusern dominiert. Man merkt, dass viele Touristen aus der ganzen Welt hier sind, die das Motorradtreffen eher ein bisschen irritiert. Mir gefällt die Atmosphäre vor Ort. Allein die Hauptstraße, die links und rechts von blank geputzten Motorrädern nur so wimmelt, ist schon sehr beeindruckend. Die Ordner sind megafreundlich, die Kontrollen sind mehr als moderat und die Gegebenheiten vor Ort mit Essmöglichkeiten, Verkaufsständen und Cover-Bands, die pausenlos spielen, sind hervorragend. Das Wetter macht auch mit, so dass einem schönen Wochenende nichts mehr im Weg steht. Preislich ist das hier auch nicht mehr zu toppen, die Karte für Krokus kostet keine 30 Euro! Die Veranstalter führen das Treffen heuer bereits das 18. Mal durch, eine beachtliche Leistung.

Die Vorband Hells Belles bekommen wir nur am Rande mit. Die AC/DC-Coverband, die nur aus Frauen besteht, kommt beim Publikum sehr gut an. Wir sind derweil bei einer anderen der drei Bühnen und schauen uns die lässige Coverband Stoned Age an, die mit den üblichen Hardrock-Standards von Journey, Deep Purple und Led Zeppelin etwas mehr Abwechslung bieten.

Das Zelt mit der Main Stage ist kurz vor Beginn gut gefüllt, aber jeder hat genügend Platz und es gibt keinerlei Gedränge. Krokus beginnen um 21.30 Uhr und lassen mit dem brettharten „Headhunter“ gleich die erste Granate unters Biker-Volk rauschen. Soundmäßig passt alles hervorragend, so muss das sein! „Long Stick Goes Boom“ lässt die ersten Anwesenden mitklatschen und mitwippen, der Mittelteil von The Whos „Pinball Wizard“ ist nicht neu, aber originell. Die Band macht einen hochmotivierten Eindruck. Sänger Marc Storace nimmt von Anfang an viel Kontakt zum Publikum auf, das in bester Stimmung die Stücke der Schweizer Eidgenossen abfeiert. „Winning Man“ ist eine Perle, die man nicht allzu oft auf Krokus-Gigs zu hören bekommt. Bassist Chris von Rohr erzählt, dass dies Lemmys Lieblingssong gewesen ist. Das Stück ist zwar nicht so eingängig, wird jedoch umso mehr honoriert.

Überhaupt Chris von Rohr: Er ist das Sprachrohr der Band und lässt immer wieder ein paar lustige Kommentare raus, die ich jedoch leider nicht alle verstehe. Der beste ist jedenfalls, dass „es sich bei der geilen Stimmung doch wirklich gelohnt hat, mal wieder aus der Schweiz rauszukommen“. Ihm merkt man den Spaß und die Begeisterung über die Live-Präsenz von Krokus am meisten an. Ich denke, dass er es sich niemals hätte träumen lassen, dass das Kapitel seiner Band noch einmal so schöne Züge annimmt und Krokus in nahezu ihrer klassischen Besetzung von 2008 bis 2020 noch einmal bestehen.

Die Gitarrenarbeit ist heute Abend wieder einmal Gourmet-Kost vom Feinsten. Fernando von Arb und Mandy Meyer wechseln sich bei den Solos ab, die meisten werden jedoch mittlerweile von Meyer gespielt. Vor allem bei „Fire“ lässt er seine ganze Klasse aufblitzen und spielt sich mit der restlichen Band in einen regelrechten Rausch. Die Spielwiese für die beiden Solisten bietet der solide und zuverlässige Mark Kohler, der in bester Malcolm Young-Manier seine Rhythmus-Gitarre bearbeitet.

„Tokyo Nights“ ist für mich schon aufgrund des völlig untypischen Rhythmus und seines coolen Textes ein Highlight, das für mich auf jeden Fall zu einem Krokus-Konzert dazugehört. Das Publikum lässt sich von der Begeisterung auf der Bühne anstecken und feiert Krokus mit jedem Stück noch enthusiastischer. „Eat The Rich“ wird fast vom kompletten Zelt mitgesungen, Marc Storace nutzt hier die Bühne in ihrer ganzen Breite, um die Fans noch mehr anzustacheln.

Schlagzeuger Flavio Mezzodi lässt noch ein Solo vom Stapel das sich sehen lassen kann. Das Kraftpaket wirbelt wie ein Verrückter über seine Dampfkessel und stachelt die Biker problemlos an, ihn zu unterstützen. Normalerweise finde ich Drumsolos mittlerweile langweilig, das hier ist jedoch echt grandios! Bei „Bedside Radio“ und „Easy Rocker“ gibt die Band noch einmal Vollgas, bevor sie sich das erste Mal verabschiedet. Die Zugabe-Rufe nehmen kein Ende und Krokus kommen gerne wieder auf die Bühne zurück.

Bereits die Anfangstöne des epischen „Screaming In The Night“ lassen mir die Nackenhaare zu Berge stehen, der Gesang und die Weltklasse-Gitarrenarbeit erledigen den Rest. Für mich der wohl beste Krokus-Song, der leider nie im Radio zu hören ist. Bei „Heatstrokes“ schießen die Roadies drei riesige orange Luftballons mit Krokus-Schriftzug ins Publikum. Leider sind ein paar der Besucher so doof und versuchen, die Bälle wieder zurück auf die Bühne zu werfen. Von Rohr amüsiert sich köstlich über diese Aktion und schießt mit Wucht den Ball zurück. Dabei knallt er seinen Mikrofonständer um, der jedoch umgehend wieder aufgebaut wird. Von Arb passiert kurz darauf das gleiche, doch auch er kann darüber nur lachen. Ich hätte die Aktion nicht gebraucht, das ganze lenkt mich zu sehr von der Musik ab. Hier fehlt definitiv eine Art Alice Cooper auf der Bühne, der in wahrer Jack-The-Ripper-Manier die zurückgeschossenen Bälle mit seinem Messer aufschlitzt.

Der Abend besteht aus einer guten Mischung von etablierten Klassikern, selten gehörten Songs und einigen neuen Stücken, wobei mir hier natürlich das überragende „Hoodoo Woman“ am besten gefällt. Die Coverversionen vom letzten Album Big Rocks versetzen die Biker erwartungsgemäß in kollektive Feierstimmung. Das ist auch schon mein einziger Kritikpunkt: Ich hätte hier lieber drei Krokus-Stücke gehört!

Normalerweise wäre hier schon Schluss, doch das Publikum gibt so viel Applaus, dass sich die Band und vor allem von Rohr zu einer letzten Zugabe in Form von Steppenwolfs „Born To Be Wild“ hinreißen lässt. Dass diese ultimative Biker-Hymne in Rüdesheim natürlich hervorragend ankommt, ist klar. Das komplette Zelt feiert diesen Song, sich selbst und natürlich Krokus nach Herzenslust. Danach ist Feierabend, Krokus bekommen riesigen Applaus und die Band bedankt sich beim grandiosen Publikum.

Wir sind begeistert, Krokus haben eine Weltklasse-Leistung abgeliefert. Bereits im Vorfeld habe ich mir überlegt, wie oft ich Krokus mittlerweile live gesehen habe. Ich war selbst erstaunt – der Auftritt in Rüdesheim ist der 10. Gig, den ich von den Jungs gesehen habe. Und es war vermutlich der letzte, besser kann es – außer vielleicht in Zürich mit Special-Gästen – nicht mehr werden. Auch hier mein Respekt: Die Band verabschiedet sich in einem Top-Zustand von ihren Fans und wartet nicht darauf, bis man froh ist, dass sie aufhören.

Vielen Dank für die vielen tollen Konzerte und die Musik, die ihr zusammen gemacht habt!


Setlist:
Headhunter
Long Stick Goes Boom
American Woman
Rock 'n' Roll Tonight
Winning Man
Hellraiser
Hoodoo Woman
Fire
Rockin' in the Free World
Tokyo Nights
Eat the Rich
Bedside Radio
Easy Rocker
Screaming In The Night
Mighty Quinn
Heatstrokes
Born To Be Wild



Stefan Graßl


Zurück zur Artikelübersicht