····· Savatage nach 23 Jahren wieder live auf Europa-Tour ····· Die Bio-Bauern The Inspector Cluzo spielen Öko-Rock ····· Wolvespirit verkaufen Bullshit ····· Rock of Ages - Zusatzshows in 2025 ····· Ally Venable veröffentlicht Video zur neuen Single „Do you cry“ ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Artikel

Der Zorn des Baches: Shanir Blumenkranz’ Abraxas spielen in Jena aus John Zorns drittem Masada Songbook

Info

Künstler: Shanir Blumenkranz’ Abraxas

Zeit: 16.01.2019

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Internet:
http://www.cosmic-dawn.de
http://www.facebook.com/AbraxasBookofAngels19

John Zorn dürfte zu den produktivsten Musikern der Jetztzeit zählen. Schon um die Jahrtausendwende äußerte der Kritiker und Sammler Karl Bruckmaier in seinem Buch „Soundcheck“ den Stoßseufzer, dass er es wohl nie schaffen werde, alle Platten von Zorn zu besitzen – und es kommt ja noch der Aspekt hinzu, dass Zorn nicht nur selber auf Myriaden von Alben zu hören ist, sondern auch noch für andere Musiker komponiert. Auch letzteres nimmt bisweilen gigantische Ausmaße an, so sein Riesenprojekt der Masada Songbooks. Dessen dritter und dem Vernehmen nach letzter Teil ist mittlerweile fertig und auf elf CDs veröffentlicht – und das sind durchaus keine Singles. Wenn also eine Tourankündigung „Shanir Blumenkranz’ Abraxas plays John Zorn’s Masada Songbook III“ lautet, so darf der Hörer davon ausgehen, dass es sich nicht um eine Gesamtaufführung handelt, da eine solche dann die ganze Nacht andauern würde – auf freakigen Festivals wie auf Burg Herzberg könnte man sowas machen, auf einer regulären Clubtour natürlich nicht.

Shanir Blumenkranz, New Yorker mit sephardischen Wurzeln, bewegt sich schon länger im Umfeld John Zorns, so dass davon auszugehen ist, dass er dessen Intentionen genau kennt. Umgekehrt ist Zorn aber intelligent genug, um zu verstehen, dass die Individualität des jeweiligen die Songs interpretierenden Künstlers erkennbar bleiben muß. Bei Blumenkranz und seiner Band Abraxas sieht das Ganze dann so aus, dass zwei Gitarristen und ein Drummer mit von der Partie sind, Blumenkranz als Vierter im Bunde aber nicht etwa eine Baßgitarre spielt, sondern eine Gimbri, ein nordafrikanisches Instrument aus der Lautenfamilie mit drei Saiten auf einem Holzkorpus, der zugleich perkussiv verwendet werden kann. Die Gimbri gibt es in verschiedenen Größen, Blumenkranz spielt die größte und erzeugt damit schon enorm viel Präsenz in den tiefen Tönen, die man in Jena dank des Könnens von Soundmensch Thomas auch sehr gut wahrnehmen kann, jedenfalls dort, wo es darauf ankommt und nach ein, zwei Songs Anlaufzeit, die einerseits der Knöpfchendreher braucht, um die allerbesten Reglereinstellungen zu finden, und andererseits der Hörer selbst, um das eigene Ohr auf dieses ungewohnte Instrument und die von ihm erzeugten Baßtöne zu eichen. Aber der Effekt kann noch gesteigert werden: In „Bituul“ baut Blumenkranz noch einen Aufsatz auf den Hals der Gimbri und erweitert damit das Tonspektrum nach unten in Richtung eines Areals, nach dem sich jede Funeral-Doom-Band die Finger lecken müßte und wo auch die physische Präsenz der Töne immer mehr zunimmt. Da „Bituul“ von einem ausgedehnten Gimbri-Intro eingeleitet wird und auch mit einem solistischen Nachspiel endet, kann der Hörer diese Spezialität sehr schön nachvollziehen, und Blumenkranz erklärt dem Publikum zudem den Einsatz des Instrumentes in Tranceritualen zu Heilungszwecken und das Paradoxon der Kombination mit der einen oder anderen eher lärmigen Songwritingidee Zorns.
Der verarbeitet im Masada-Projekt seine jüdischen Wurzeln, und siehe da, schon der Opener „DIN“ bietet ein Hauptthema, das man mehr oder weniger automatisch in den Nahen Osten einzuordnen geneigt ist. Ringsherum lagert allerdings Jazzrock der extremeren Sorte, dargeboten freilich von einem spieltechnisch genauso extrem versierten und prima aufeinander eingespielten Quartett. Blumenkranz resümiert dann augenzwinkernd: „Your band works well when all members make the mistakes at the same time.“ Dazu macht „DIN“ klar, dass trotz „klassischer“ Jazzrockbesetzung (die Gimbri übernimmt ja die Rolle der Baßgitarre) keineswegs von Jazzrockautomatismen auszugehen ist: Wenn einer der Gitarristen soliert, legt der andere keineswegs zwingend Rhythmusgitarrenparts drunter, sondern er kann auch einfach pausieren. Da sowohl Aram Bajakian als auch Eyal Maoz ein umfangreiches Arsenal an Effektgeräten vor sich stehen haben und selbiges auch nutzen, zudem spieltechnisch äußerst kreativ zu Werke gehen, bekommt der Hörer eine große Klangvielfalt geboten, die freilich an gängigen Harmonie- und Rhythmusmodellen kaum zu messen ist – selbst die Quasi-Halbballade „Yaasriel“ würde beim jazzrockungeübten Hörer immer noch Knoten in die Gehörgänge falten, und der Rezensent ertappt sich dabei, sich innerlich grinsend auszumalen, was passieren würde, wenn Abraxas auf der Wacken-Hauptbühne oder aber bei Florian Silbereisen gastieren würden. Viele der Songs sind recht lang, etwa „Maspiel“, das ganz besonders stark durch Kenny Grohowskis Drumming geprägt wird, wobei der Schlagwerker mit seinem gängige Rhythmen weitgehend meidenden Spiel aber auch ansonsten einen ziemlich starken Einfluß auf den musikalischen Gesamteindruck ausübt, obwohl er hinter einem recht übersichtlich bestückten Schlagzeug sitzt. Blumenkranz selbst sorgt für das Gros der Bewegung auf der Bühne, gibt vehement Einsätze für plötzliche Tuttipassagen und demonstriert, dass man auch rhythmisch hüpfen kann, wenn kein hüpfkompatibler Rhythmus drunterliegt – im Publikum versuchen währenddessen einige Enthusiasten, das Tanzbein zu schwingen, und es wird gar ein experimentierfreudiger Headbanger gesichtet.
Soweit der Eindruck bis zu „Pagan“ an Setposition 7 – das folgende „Quyum“ modifiziert das Bild überraschend etwas. Zum einen verarbeitet Zorn hier das „B-A-C-H-“-Thema, und der Rezensent traut sich nicht zu entscheiden, ob das Absicht oder Zufall ist (da die Töne B und H im Englischen ja anders heißen, ist die Markanz des Themas für deutsche Komponisten höher als für nichtdeutsche), zum anderen wirkt aber auch der wilde Hauptteil etwas zugänglicher, und diese Strategie setzt sich im Setcloser „Tzeler“ und der Zugabe „Zaphiel“ fort: Entweder der Hörer hat sich jetzt schon so in den Abraxas-Stil eingefuchst, dass er ihn viel einfacher nachvollziehen kann als zu Beginn des Sets, oder diese Kompositionen bzw. ihre Arrangements sind tatsächlich etwas zugänglicher gehalten als die der ersten Songs. Scherzhaft könnte man also behaupten, Abraxas seien gegen Ende hin „kommerziell“ geworden, aber es tobt natürlich immer noch ein Notenorkan durch den Saal, der alles, was sich ihm entgegenstellt, wegzufegen in der Lage ist. So bieten Abraxas anstrengende, aber reizvolle Musik vom Feinsten – es hätte freilich noch etwas mehr davon sein dürfen: Mit den zehn Songs kommt das Quartett nicht mal auf 90 Minuten Spielzeit, und es stehen auch noch drei weitere Songs auf der Setlist, die allerdings nicht erklingen. Das Publikum, kopfzahlmäßig überschaubar, aber gut gelaunt, durchhaltefähig und fleißig applaudierend, ist aber auch mit dem Gebotenen hochzufrieden, so dass dieser Jazzmeile-2018-Konzertnachzügler sich in der hypothetischen Gesamtwertung noch ziemlich weit nach vorne schiebt.

Setlist:
DIN
DAAT
Bituul
Maspiel
Yaasriel
Kavanot
Pagan
Quyum
Tzeler
--
Zaphiel

Roland Ludwig


Zurück zur Artikelübersicht