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Hier kommt Alexa: Die Fachrichtung Jazz/Pop der Leipziger Musikhochschule stellt ein unterhaltsames Weihnachtsprogramm namens Dinner For None auf die Beine

Info

Künstler: HMT-BigBand und Solisten

Zeit: 14.12.2018

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater

Fotograf: Siegfried Duryn

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Die popularmusikalisch angehauchten Weihnachtsprogramme an der Leipziger Musik- und Theaterhochschule erfreuen sich einer großen Beliebtheit – wer mag, lese beispielsweise das Review zu Schon wieder Weihnachten! vom 20.12.2014 auf www.crossover-netzwerk.de nach. Bisweilen gibt es die Stücke dann auch in mehreren Saisons, aber irgendwann wird es dann auch mal wieder Zeit für etwas Neues. Selbiges Neues heißt anno 2018 dreigeteilt
Weihnachts-Gala-Konzert
DINNER FOR NONE
Not the same procedure as every year!

Den Terminus Gala-Konzert könnte man irrtümlich mit schlips- bzw. abendkleidpflichtigem Programm für Besserverdienende übersetzen, läge aber damit komplett falsch. Anderweitig in die Irre führt der Haupttitel, denn die Geschichte von John Lehman und Martin Lorenz spielt nicht etwa zu Silvester, an welchselbigem Tag der gemeine deutsche Fernsehsender „Dinner For One“ ins Programm zu hieven pflegt, sondern einige Tage vor Weihnachten, am Geburtstag der zentralen Figur der Geschichte, die nicht zufällig Sophie heißt und bei der es sich um die Großnichte einer bekannten englischen Adligen handelt, deren Villa in Leipzig sie nutzen darf und eine WG daraus gemacht hat, natürlich mit Eisbärenfell im großen Wohnzimmer, über dessen Kopf üblicherweise James, ihr Cousin, stolpert. In selbigem Zimmer konzentriert sich die Handlung: Sophie bekommt zum Geburtstag zahlreiche Glückwünsche und Geschenke, aber ihre Musik studierenden Mitbewohner, die nicht zufällig die gleichen Nachnamen tragen wie die nicht erscheinenden Gäste der genannten Adligen, haben ein Weihnachtskonzert in Rothenburg ob der Tauber zu spielen und müssen nach einer letzten Probe im Wohnzimmer dieses daher verlassen, während drei Freundinnen Sophies shoppend durch die Stadt ziehen und Sophie letztlich allein zurückbleibt, was ihr doppelte Seelenpein bereitet, da sie sich im Sommer in Kalifornien in einen dort studierenden Mexikaner namens José verliebt hat. Der hat ihr zwar zu Weihnachten ein Paket mit einer Alexa geschickt, befindet sich aber trotzdem physisch auf der anderen Seite der Erdkugel, glauben alle. DHL-Bote Joey Tuderwelt, der Alexa angeliefert hat, versucht Sophie aufzumuntern, bis sich das Haus plötzlich wieder füllt – das Schneetreiben hat den Bahnverkehr komplett zum Erliegen gebracht, so dass die Band nicht nach Rothenburg fahren kann, die shoppenden Freundinnen schauen ebenfalls nochmal rein, und der Mitbewohner und Frauenheld Sören schleppt eine Russin namens Mary-Kris Mess an. All das wird Sophie aber zuviel – sie packt ihren Koffer und will nach Kalifornien fliegen, was gleichfalls scheitert, da schneebedingt auch der Flugbetrieb eingestellt worden ist. Mit der letzten noch landenden Maschine ist allerdings José in Leipzig angekommen, und so kann Sophie ihn unvermutet doch noch in die Arme schließen, wonach alle glücklich und zufrieden sind oder zumindest scheinen.
Diese Geschichte bringt die Fachrichtung Jazz/Popularmusik nun auf die Bühne, wobei dort keine Umbauten stattfinden, es also beim Wohnzimmer als Handlungsort bleibt, und auch die Kostüme dem normalen Leben in Leipzig anno 2018 entsprechen. Der eigentliche Wohnbereich mit Sitzecke und Tisch befindet sich links vor der Tür zur Küche, aus der regelmäßig Nachschub an Glühwein kommt, während rechts Tannenbaum, Kamin (dessen Feuer Alexa übrigens ein- und ausschalten kann – Technik, die begeistert) sowie rings um das Klavier der Probeplatz der Bandmitglieder angeordnet sind – mittig gibt ein Panoramafenster den Blick auf eine durch permanenten Schneefall gekennzeichnete Landschaft mit einem entfernten Kirchturm frei. Auf diesem Raum agieren die Schauspieler/Sänger/Instrumentalisten während der kompletten zwei Akte, wobei im ersten Akt fast ausschließlich die auf der Bühne befindlichen Mitglieder der HMT-BigBand musizieren, während im zweiten Akt der Instrumentalsound hinter den Kulissen erzeugt wird. Die Mitbewohner werden instrumental gleichfalls eingebunden und steuern gelegentlich Klavier, Cajón, Gitarre oder Violine bei. Das Programm besteht aus 29 musikalischen Nummern, die jeweils durch schauspielerische Szenen miteinander verbunden werden und die zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich dem adventlichen bzw. weihnachtlichen Themenkreis zuzuordnen sind – „California Dreaming“ (als Reminiszenz an den dort studierenden José), „Te Llamo Para Decirte Que Te Quiero“ (das ist die spanische Version von „I Just Called To Say I Love You“) oder „Prima essen gehen“ (eine Solonummer Sophies, die bekennt, ein Totalausfall zu sein, was die Kochkunst angeht) bringen bestimmte Aspekte der Geschichte zum Tragen, die mit Weihnachtsliedern eher schwierig umzusetzen gewesen wären. Selbige Lieder erklingen in den unterschiedlichsten Arrangements und mit variablen Gesangssolisten, wobei ein jazziger Unterton den meisten eigen ist und mal besser, mal nicht so gut zur Vorlage paßt – „Leise rieselt der Schnee“, von James solo am Klavier verjazzt, wirkt beispielsweise eher bemüht, obwohl er zu dieser Zeit noch so gut wie nüchtern ist, während das Gros der anderen weihnachtlichen Nummern, zumeist angloamerikanischen Traditionen entspringend, deutlich stilsicherer daherkommt. Die richtigen Gänsehautmomente bleiben dabei interessanterweise den A-Cappella-Nummern vorbehalten, die die Kreativfraktion allerdings auch jeweils an besonders ergreifenden Stellen eingeplant hat: „Viel Glück und viel Segen“, das vier Mitbewohner für Sophie singen, das noch größer besetzte „Have Yourself A Merry Little Christmas“ und schließlich die Ensemblenummer „Mary Didn’t Know“, die freilich nur so lange eskapistisch bleibt, bis einer der Mitbewohner zum Beatboxer wird. Gesangssolistisch hat Dani Hertje als Mary-Kris Mess das Problem, dass sie ihre Nummer „Pod Schuboji“ mit starkem russischem Akzent singen muß und man daher nur die Hälfte versteht – die einzige größere Soundschwierigkeit, nachdem zu Beginn noch einiges Geknister aus den Mikrofonen kam, was die Techniker allerdings schnell im Griff hatten.


Haupttrumpf der Aufführung ist erstaunlicherweise nicht Christine Fischer als Sophie, obwohl auch sie eine exzellente Leistung bietet, in ihrem kleinen Körper eine große Stimme versteckt hat und zudem so sympathisch rüberkommt, dass ihr wirklich jeder das Happy End mit José gönnt und keiner auf die Idee kommt, Lehman habe mit der völlig irrationalen Handlungsweise, zum Flughafen gelangen zu wollen, obwohl wildestes Schneetreiben herrscht und etwa der Eisenbahnverkehr bereits eingestellt ist, die Eigenschaft von Verliebten, ebenjene Irrationalität an den Tag zu legen, karikieren wollen. Nein, der erwähnte Trumpf ist Luca Patané als DHL- und Lieferando-Fahrer, bei dem es physisch genau anders herum läuft: Von schrankförmiger Gestalt und in seiner ersten Gesangseinlage in „Lasst alle eure Sorgen ziehn“ einen Rapper mimend, zeigt „Joy To The World“, dass er zu erstaunlich transparenten Höhen fähig ist und diesbezüglich ein wenig an Ex-Toxic-Smile-Fronter Larry B. erinnert. So stellt Joey die Figur dar, bei der Erwartung und reale Wirkung am weitesten auseinanderklaffen – dass die Autoren seinen sowie Marys Namen etwas holzhammerig humorisieren, dafür kann er ja nichts, zumal andere Humormomente eine deutlich feinere Klinge schwingen, etwa wenn sich ein Lebkuchenliebhaber beschwert, dass er sein Leibgericht erst ab Ende August in den Supermarktregalen findet. Über einige Logikbrüche muß man gleichfalls hinwegsehen (wenn Sonja zum Handlungszeitpunkt ein Erasmus-Semester in Leipzig macht, kann sie nicht ein Jahr zuvor eine von drei gleichzeitigen Freundinnen Sörens gewesen sein), und dass „Feliz Navidad“ schon zu Ende ist, kaum dass Sophie und José das Publikum zum Mitmachen animiert haben, wird in den beiden nachfolgenden Aufführungen an den weiteren Abenden des dritten Adventswochenendes, allesamt übrigens ausverkauft, sicherlich besser gelöst worden sein. Schrägerweise funktioniert die Dramaturgie aber ausgerechnet an den beiden Aktenden nicht hundertprozentig, was zu mauem Zwischenaktapplaus führt und auch am Ende eher verwirrt, wenn der Stimmungshöhepunkt schon mit „Feliz Navidad“ erreicht ist und noch ein etwas unmotiviert wirkendes „Schmück das Haus“ danach kommt. Ist das die Ursache dafür, dass die Quasi-Zugabe, das kollektiv gesungene „O du fröhliche“ als traditioneller Programmpunkt, den es auch 2014 schon gab, diesmal publikums- wie bühnenseitig irgendwie blutarm wirkt und somit in den eigentlich recht gut gefüllten Kelch ein paar mehr Wermutstropfen als unbedingt nötig fallen? Wie auch immer – falls das Stück 2019 noch einmal aufgelegt wird, kann sich der Interessent selbst ein Bild machen, ob die zahlreichen Stärken beibehalten und die kleinen Schwachpunkte (das Programmheft hätte auch mal noch jemand Korrektur lesen dürfen) ausgemerzt werden konnten. Feliz Navidad!

Roland Ludwig


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