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Artikel

Mit den Bremern Stun aus der Realität fliehen

Info

Gesprächspartner: Stun

Interview: E-Mail

Stil: Indiependent / Shoegaze / Postrock

Internet:
http://www.stun-musik.de/

Die Bremer Band Stun ist bereits seit 1999 unterwegs und hat sich in dieser Zeit regional einen sehr guten Namen, insbesondere live erspielt. Mit dem Aufnehmen ihrer Songs ist sie, vor allem aus finanziellen Gründen, eher etwas träge, so erscheint nun mit Today we escape ihr gerade mal sechstes Album, und einige davon waren Splitalben. Für ihr neues Werk verließen sie ihre norddeutsche Heimat und nahmen mit Blackmails Kurt Ebelhäuser in dessen Kölner Studio auf. Das dabei entstandene Album weißt deshalb einen fantastischen Sound auf und hat im Grunde nur ein großes Manko: es ist viel zu kurz. Bei dem klasse Album ist es dementsprechend an der Zeit, dass sich Bandleader Marco Görlich einmal zur Band und zur Entstehung der Platte äußert.


Hallo Marco, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurem neuen Release Today we escape und vielen Dank dafür, dass Du Dir Zeit für rin paar Fragen nimmst. Erzähl doch bitte zum Einstieg ein wenig über die Band und ihre Geschichte.

In Bremen zählen wir schon zu den Dinos unter den Bands, da wir schon eine halbe Ewigkeit zusammen Musik machen. Außerhalb Bremens kennen uns hingegen nur Insider, meist Leute die selber in einer Band spielen oder gespielt haben – zumindest fühlt es sich so an. Das ist aber nicht negativ gemeint, wir waren nie auf Fame aus, sondern haben immer unser Ding gemacht und das ist für viele gar nicht so leicht zu verstehen.

Wie entstehen Eure Songs? Komponiert ihr mehr oder entstehen die Songs mehr aus Übungen und Jams?

Meist bringe ich irgendeine Grundidee mit, spiele in einem Loop auf die einzelne Parts und probieren auf diese Parts viel aus. Insbesondere am Beat entscheidet sich, in welche Richtung wir gehen. Dann versuchen wir die einzelnen Parts zu einem Song zu verbinden, dabei geht dann viel Schönes wieder Flöten, aber so ist das ja immer, wenn man etwas komprimiert. Meine Aufgabe ist es dabei darauf zu achten, dass ein Spannungsbogen für meine Vocals entsteht, meist kommen mir Bilder beim Spielen oder auch Jammen in den Kopf, aus denen ich dann eine Geschichte bastele oder eine Aussage fasziniert mich so so sehr, dass es eben nur noch um die Beschreibung dieser Aussage geht.

Ihr habt das Album komplett allein finanziert und produziert. Wo nehmt ihr auf? Habt ihr ein eigenes Studio?

Wir hatten Proberaumaufnahmen zu Kurt Ebelhäuser geschickt, der bei Blackmail spielt. Der rief dann an und meinte, dass er total Bock hat mit uns in seinem Studio in Koblenz die Songs aufzunehmen, weil es so schön eigen und unkalkuliert klingt, Musik fürs Seelenleben halt.

Erprobt ihr Eure Stücke vor dem Aufnehmen auf der Bühne?

Die meisten ja. Solange wir Songs nicht aufgenommen haben verändern wir sie auch noch stetig. Wenn wir uns einmal an sie gewöhnt haben, indem wir sie zuhause auf der Stereoanlage angehört haben, dann bleiben sie in der Regel wie sie sind.

Gibt es bei Euch einen Songwriter oder schreibt ihr als Band? Wie ist die Aufgabenverteilung bei Stun?

Für Texte und Gesang bin ich verantwortlich. Ansonsten bringen unser Schlagzeuger und unser Bassist viele Ideen mit ein und beeinflussen das ursprüngliche Gitarrenspiel durch ihre Rhythmik sehr. Roman an der zweiten Gitarre findet eigentlich erst so richtig in die Songs, wenn die Rhythmik steht. An ihm orientieren sich meine Gesangsmelodien auch häufig. Es ist also eine Gemeinschaftsleistung.

Ihr habt einen sehr guten, fetten Sound hinbekommen. Habt Ihr Euch darum auch selber gekümmert?

Kurt ist für seinen guten Sound ja bekannt. Er wollte aber Stun so klingen lassen wie auf den Demos, eben nur in fetter. Irgendwann stand er in der Gesangkabine und hat bei "Level Up Errors" mitgesungen. Wir fanden es ein sehr schönes und intensives Erlebnis mit ihm aufgenommen zu haben. Ich glaube ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Stun und Kurt musikgeschmacklich sehr nah beisammen liegen.

Wo würdest Du persönlich Eure Musik verorten? Mehr Richtung Postrock oder doch eher Alternative/Shoegaze?

Och, mir sind diese Begrifflichkeiten eigentlich sehr egal, den anderen in der Band übrigens auch. Wenn wir Postrock drauf schreiben, denken viele Leute, dass wir keinen Gesang haben. Wenn wir Shoegaze dran schreiben, wundern die sich, dass wir uns live aufführen, als würden wir den Laden zerlegen wollen. Am beschissensten finden wir glaube ich den Begriff Emorock, denn unemotionale Musik die nicht rockt und auf Gitarre gespielt wird, macht für uns gar keinen Sinn.

Was (bzw. wer) hat Euch zu Eurem Sound bzw. Eure Art der Musik inspiriert?

Oft waren es Bands mit denen wir zusammengespielt haben. Wir haben zum Beispiel mit Juno auf ihrer Tour zu „A Future Lived In Past Tense“ zusammengespielt. Für uns alle ist das eine der besten Platten, die je aufgenommen wurden. Aber auch Van Pelt, Moving Mountains, Favez oder The Thermals haben uns beeinflusst. Mit Velveteen sind wir zu dick befreundet, die zählen also nicht. Aber es gibt natürlich auch viele für uns wichtige Bands mit denen wir es noch nicht auf eine Bühne geschafft haben. Die Einstürzenden Neubauten, The Notwist, Sonic Youth, Motorpsycho, Mogwai, The Unwinding Hours oder Sometree zum Beispiel. Wir hören alle schon viel Musik, auch genreübergreifend, deswegen will ich hier gar nicht nur die alten Helden betonen, sondern vielmehr auffordern die schönen und hässlichen Momente des Lebens mit Musik aktueller und unbekannter Künstler zu bereichern. Moritz' Lieblingsband ist zum Beispiel gerade Blis, dem geht's also gut. Johann hört viel Middle Class Rut, dem geht wohl sogar noch besser. Ich höre hingegen gerade viel eine Industriebhiphopband namens Dälek, d.h. mein Körper und Geist weisen gerade Tendenzen zur Verwahrlosung auf. Musik sollte zum eigenen Leben passen und darf auch mal fordern.

Das Album scheint einem Konzept zu folgen. Ist das so? Kannst Du etwas dazu erzählen?

Jo. Ich war genervt über Liebe und Beziehungsgetätschel zu singen. Ich wollte mal darüber singen was um mich rum passiert und mit mir eigentlich gar nix zu tun hat. Vielleicht liegt es am unaufhaltsamen Alterungsprozess, aber mich nervt das was draußen in der Welt passiert mittlerweile viel mehr als mein eigenes Leben. Als ich vor gut vier Jahren versucht habe einem unbetreuten, minderjährigen Flüchtlingen das Gitarrenspielen beizubringen, um wenigstens einen Hauch von Farbe in ihr Leben zu bringen, ging es mir nicht gut. Meine Band und viele Menschen in Bremen haben mich und damit das Projekt sehr unterstützt. Damals wurde mir klar, dass ich nicht der Hauptdarsteller bin, weil ich schon mit der Nebenrolle komplett überfordert war. Das war aber im Gegensatz zu dem was die Flüchtlinge ertragen mussten auf der Chaosskala nicht einmal ein unaufgeräumtes Zimmer. Da ist dann der Song "Law“ entstanden. Seither gehe ich anders mit mir und meinem Umfeld um. Aber nicht schlechter, ich denke ich bin dadurch „erträglicher“ für alle geworden.

Zum Ende des Albums setzt ihr verstärkt Elektronik ein, die auf den ersten fünf Stücken kaum vorkommt bzw. weit im Hintergrund stattfindet. Ist das ein Fingerzeig in die Zukunft Eurer Musik?

Da bin ich überfordert. Ich weiß nicht wie sich Stun musikalisch entwickeln wird. Aber ich weiß, dass ich mit diesem Lied einen Alleingang auf der Platte machen durfte, weil er von allen in der Band abgefeiert wurde. Sowas passiert nur in einer Band, in der die Chemie unter den Musikern stimmt. Und das stimmt mich sehr positiv, dass sich diese Band weiterentwickeln wird. Es macht allen Spaß ein Teil von Stun zu sein und das nach so langer Zeit!

Wie wichtig sind die Texte im Stun-Kosmos?

Es interessieren sich alle bei uns sehr für die Texte. Das war aber nicht immer so und muss auch nicht so bleiben wie es jetzt ist. Natürlich fühlt sich Wertschätzung fürs Texten gut an, aber das eigentliche gemeinsame Musikmachen an sich wird es nicht toppen können.

Könnt Ihr Euch über Eure Musik finanzieren?

Nein, überhaupt nicht. Rein finanziell ist es ein teures Hobby. Aber das was wir zusammen erleben kann man definitiv nicht bei der TUI buchen.

Welche Vetriebswege nutzt Ihr? Ich persönlich schätze Plattformen wie bandcamp.com sehr. Wie stehst Du/steht ihr zu den unterschiedlichen Möglichkeiten?

Wir finden bandcamp gut, besser als alle anderen Plattformen, weil es die “ fairste“ ist. Ich entdecke jedoch auch viele Bands über YouTube, da ich ein absoluter Fan von Audiotree und den KEXP Sessions bin.

Geht es nun auf Tour? Setzt Ihr Eure Stücke live 1:1 um oder improvisiert ihr auch viel?

Beides. Es gibt Stücke die wir 1:1 wie auf Platte spielen, aber es gibt eben auch welche bei denen wir live nochmal so richtig ausholen bis die Decke einstürzt. Als nächstes werden wir in Oldenburg, Hamburg, Berlin und Kiel gastieren. Für nächstes Jahr haben wir schon die ersten Festivals bestätigt und haben Saarbrücken, Luxemburg sowie Leipzig auf dem Zettel. Da wird aber bestimmt noch einiges hinzu kommen. Wir freuen uns auf alles was kommt!


Vielen Dank an Marco für die ausführlichen Antworten. Hört Euch das neue Album unbedingt an, es bietet sechs Songs einer sehr autarken, spielstarken Band die nur eines macht: ihr Ding. Und vielleicht ernten Sie dann ja doch mal den überregionalen Erfolg, den sie durchaus verdienen. Viel Erfolg und lasst Euch bitte nicht soviel Zeit mit dem nächsten Album!



Wolfgang Kabsch


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