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Artikel

Wir werden alle sterben: Händels Giulio Cesare in Egitto an der Leipziger Musikhochschule

Info

Künstler: Georg Friedrich Händel

Zeit: 31.05.2018

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater

Fotograf: Siegfried Duryn

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Händel-Opern sind kein komplettes Neuland im Rahmen des alljährlichen Opernprojektes der Leipziger Musik- und Theaterhochschule – aber die letzte liegt schon wieder zwölf Jahre zurück: 2006 stand die weiland durchaus Raritätenstatus besitzende Alcina auf dem Spielplan (siehe Review auf www.crossover-netzwerk.de). Also wurde es mal wieder Zeit, den großen Sohn der Nachbarstadt Halle aufs Tapet zu hieven, und die Wahl fiel diesmal auf Giulio Cesare In Egitto aus dem Jahr 1724, eine damals immens erfolgreiche und auch in jüngerer Zeit wieder durchaus zu ziemlich großer Popularität gelangte Oper, von der einzelne Teile auch ein Eigenleben als Konzertarien führen: Der Altus Benno Schachtner etwa hat justament gleich drei Arien der Titelrolle mit dem Händelfestspielorchester Halle aufgenommen.

Den laut Presseankündigungen bisher etwa 200 Produktionen dieses Werkes stellt die Leipziger Hochschule nun also eine weitere zur Seite, wie bereits im letzten Jahr an sechs direkt aufeinanderfolgenden Abenden, wobei diesmal allerdings zumindest der sechste, vom Rezensenten besuchte nicht ganz ausverkauft ist – es gibt allerdings auch mehr Plätze im Zuschauerraum, da dieser nicht durch eine vergrößerte Bühne oder sonstige Einbauten Plätze eingebüßt hat, sondern in seiner vollen Größe zur Verfügung steht. Wie üblich sind zwei Besetzungen am Start, die sich an den sechs Tagen jeweils abwechseln – bei den Sängern ist das Personal komplett unterschiedlich, im Orchester finden sich einzelne Musiker, die alle sechs Abende durchspielen. Erfahrungen aus der 2006er Alcina dürfte keiner von ihnen mitgebracht haben, zumindest nicht als aktiver Musiker (das wäre dann ein „ewiger Student“ klassischer Prägung), und auch bei den strukturell, künstlerisch und technisch Verantwortlichen finden sich kaum Namen, die man schon im 2006er Programmheft gelesen hatte – also betreten fast alle hier Neuland, auch Regisseur Matthias Oldag (Alcina hatte Jasmin Solfaghari inszeniert). Ein äußerst sportliches Programm hat Dirigierprofessor Matthias Foremny absolvieren müssen, indem er die ersten fünf Abende geleitet hat – am sechsten steht nun aber Damian Ibn Salem am Pult, für den diese Aufführung zugleich seine Masterprüfung darstellt. Vergleiche zu den von Foremny geleiteten Abenden kann der Rezensent natürlich nicht ziehen, aber bei autonomer Betrachtung überzeugt die Leistung des Prüflings an diesem Abend durchaus: Die Orchestermusiker brauchen ein wenig, bis sie auf voller Betriebstemperatur sind, so dass etwa in der Ouvertüre noch nicht alle Tempoverzögerungen in der wünschenswerten Einheitlichkeit gelingen, aber der Dirigent bekommt die Lage schnell in den Griff und behält diesen dann auch, von einigen wenigen Unsicherheiten abgesehen.
Für gewisse Störfaktoren von der Bühne kann er freilich nichts, denn die sind auf dem Komposthaufen von Matthias Oldag gewachsen: Das Spiel der Solosänger, aber auch der Opernchoristen erzeugt bisweilen Störgeräusche derartiger Natur, dass ausgerechnet besonders eindringlich gedachte Passagen der Musik übertönt werden, wenn sich der Protagonist beispielsweise gegen eine der beiden mobilen Wände, die in verschiedenen Konstellationen den Rahmen für das Bühnenbild abgeben, werfen muß oder bestimmte Teile als Fernsehshow, Gerichtsverhandlung oder Pressekonferenz inszeniert sind, bei denen die Opernchoristen als Publikum auf Klappstühlen sitzen, mit denen sie bisweilen wutentbrannt um sich werfen oder andere Bewegungsmuster durchführen, die enormen Lärm erzeugen. Zwar erreicht dieser Faktor nicht das Problemniveau der legendär gegen die Wand gefahrenen La Veritá In Cimento-Hochschulaufführung vom Juli 2016, zumal er hier im Gegensatz zu vor zwei Jahren stärker strukturell an markante Handlungselemente gebunden und nicht einfach nur durch das Hin-und-Herlaufen auf der Bühne erzeugtes Getrappel ist, aber der musikalischen Komponente an den betreffenden Stellen zu folgen gestaltet sich bisweilen durchaus schwierig.
Einfach gemacht hat es Matthias Oldag den Zuhörern in seinen letzten Opernproduktionen aber auch in anderer Hinsicht durchaus nicht: Er verlegt die Handlung gern in düstere Zeiten, und selbst die fröhlichste Buffa-Oper mit kollektivem Happy End wandelt er in finstere Parabeln um, wo am Ende letztlich alle tot sind oder zumindest auf der Verliererseite stehen. Diese Herangehensweise muß man prinzipiell mögen, will man mit seinen Inszenierungen zurechtkommen – das Programmheft gibt bereits eine Andeutung, indem sich dort ein Text von Federik Mirdita zu einer frühen neuzeitlichen Wiederaufführung von Giulio Cesare In Egitto anno 1985 findet, der die drei Zeitebenen, die der Regisseur zu beachten hat, erläutert (die Zeit, in der die Handlung spielt, die Entstehungszeit der Oper selbst und die Zeit der aktuellen Inszenierung) – heutzutage eine Binsenweisheit, die planmäßig jeder in dieser Hinsicht aktive Student lernen bzw. wissen muß, anno 1985 aber durchaus noch keine gedankliche Selbstverständlichkeit. Oldags Inszenierung fällt nun dadurch aus dem Rahmen, dass der historische Hintergrund des Alexandrinischen Krieges 48/47 v. Chr. abgesehen von der nicht angetasteten Grundkonstellation der Figuren lediglich ein Grundelement liefert: den Krieg. Diesen verlegt Oldag aber in die Jetztzeit, samt diverser neuzeitlicher Begleiterscheinungen, zu denen u.a. die mediale Inszenierung zählt, die hier durch die bereits erwähnten Elemente Fernsehshow, Gerichtsverhandlung (gedanklich auch als „Gerichtsshow im Fernsehen“ verbindbar) und Pressekonferenz verkörpert wird. Auch die Choristen greifen aktiv ins Geschehen ein, indem sie etwa als Verkörperung des Volks Anti-Cäsar-Plakate tragen und dem usurpierenden Imperator unverhohlen drohen. Interessanterweise bleibt ein anderer Aspekt der modernen Kriegführung als Oldag-Zutat außen vor – der Stellvertreterkampf: Zwar gibt es solche hier auch, aber die hat Händel schon in seiner Personenkonstellation angelegt, wenn Untergebene bzw. Familienmitglieder von Cäsar und dem ägyptischen König Ptolemäus, hier als Opernrolle Tolomeo, jeweils Angehörige bzw. Anhänger der anderen Seite zu meucheln versuchen, aber prinzipiell kämpft der Feldherr hier tatsächlich selber in der vordersten Linie, wie es zu Händels Zeiten noch üblich war, anstatt alles aus der Entfernung in einem sicheren Bunker zu beobachten, wie wir das heute kennen. Dass Oldag gedanklich im Heute arbeitet, zeigen auch die modernen Kostüme (der ägyptische Heerführer Achilla etwa kommt stilecht im Tarnanzug), selbst wenn die Bewaffnung eine historische bleibt und der jeweilige Gegner noch mit dem Dolch erstochen anstatt mit dem Taser geröstet wird. Die Handlung des Dreiakters selbst folgt der historischen Realität nur grob und beinhaltet opernüblich mancherlei Irrungen, bevor im Original ein Happy End zumindest für Cäsar und Cleopatra folgt – natürlich nicht bei Oldag: Die beiden finden zwar tatsächlich zueinander, aber Ägypten ist nach all den bisherigen Auseinandersetzungen ein Leichenfeld, die Festgäste im Grande Finale sind Zombies, aber selbst die gehen bei der großen Explosion ganz am Ende, die ein wenig an Knorkators Finale des „Wir werden alle sterben“-Videos erinnert, sicherheitshalber in Deckung.
Das Stichwort Knorkator ist ein gutes: Ob ein bisweilen abseitiger humoristischer Eindruck gewollt war, muß das Geheimnis des Regisseurs bleiben. Neben ebenjenem Schlußeffekt fällt vor allem Lena Spohn in der Titelrolle auf, die optisch, aber auch in guten Teilen ihrer Anmutung irgendwie an den Titelhelden der frühen Otto-Filme erinnert. Interessantes Detail am Rande: Händel hat hier einen Kastraten besetzt (er hatte einen der seinerzeit Weltbesten dieses Fachs zur Verfügung), in den beiden Hochschulbesetzungen wechselt man aber zwischen einem Bariton und eben einer Altistin, die über die ganze Spielzeit hinweg irgendwie matt und so gar nicht nach einem mächtigen, wenngleich zwischendurch auch von Selbstzweifeln geplagten Feldherrn klingt, obwohl sie an den richtigen Stellen durchaus zu mehr Dramatik fähig ist. Auffälligste im Set ist allerdings Yeeun Lee als Cleopatra, die schon in ihrer Antrittsszene, als sie noch unter dem Decknamen Lidia agiert, einige bezaubernde weiche Höhen hinbekommt, wenngleich sie dieses Niveau nicht über die ganze Spielzeit halten kann. Susana Boccato als Cornelia hat darunter zu leiden, dass ausgerechnet in ihrer ersten, sehr emotionalen Arie ein geräuschintensiver Bühnenumbau stattfindet, Frieder Flesch singt Achilla recht expressiv und partiell auch mal etwas fieser, Eva Zalenga als Cornelias Sohn Sesto überzeugt durch gesangliche Vielseitigkeit und eine leicht gedeckte, sehr angenehm zu hörende Stimme, glänzt allerdings auch nur selten, und die weiteren Sänger bieten allesamt ein nicht schlechtes, aber unauffälliges Niveau. Zum einsamen gesanglichen Höhepunkt gerät das Duett zwischen Cornelia und Sesto am Ende des ersten Aktes: Beide treffen nahezu immer die Ideallinie und passen zudem von der Stimmfarbe her exzellent zueinander.
Mit welchem Eindruck der Hörer an diesem bereits sommerlich warmen Abend (der auch die Klimaanlage des Großen Saals der Hochschule stark beansprucht) nun aber nach Hause geht, bleibt wieder einmal sehr individuell geprägt. Fans von Oldags düster-dystopischen Herangehensweisen werden sich einmal mehr in ihrer Wertschätzung bestätigt gefühlt haben, während andere über die beschriebenen Problempunkte, etwa die Störgeräuschdichte, deutlich weniger froh gewesen sein dürften. Die individuelle Wahrheit liegt wie immer in der Gewichtung bestimmter Faktoren begründet, und leichte Kost war ja von vornherein nicht zu erwarten gewesen, wenngleich hochschulintern durchaus auch konsequent historistische Strömungen Platz finden, um die Studenten bestmöglich auf die vielfarbige Welt, in die sie entlassen werden, vorzubereiten.

Roland Ludwig


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