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Artikel

Bei Margin muss psychedelisch nicht zwangsläufig schräg und kakophonisch bedeuten

Info

Gesprächspartner: Lutz Meinert

Zeit: 16.09.2014

Ort: Berlin

Interview: E-Mail

Stil: Psychedelic Prog

Internet:
http://www.madvedge.com

Auf der Titelseite der letzten MAS-Ausgabe war u.a. das Cover des Margin-Debüts Psychedelic Teatime zu sehen. Ein neuer Name im Prog-Circus, der aber durch den Namen Lutz Meinert mit einer anderen Prog-Gruppe verbunden ist. For your Pleasure haben in der MAS bereits vor über 10 Jahren lobende Worte für ihr damaliges Album bekommen. Norbert von Fransecky wollte wissen, wie For your Pleasure und Margin zusammenhängen, ob Margin eher Band oder Solo-Projekt sind und das eine oder andere mehr. Die Verbindung von Psychedelic und schlichtem Tee im CD-Titel provozierte ihn zu seiner ersten Frage an Lutz Meinert.

MAS: Der CD-Titel `Psychedelic Teatime´ erhebt einen klaren stilistischen Anspruch. Und dass das Album immer wieder in das Fahrwasser von Pink Floyd steuert, entspricht dem ja auch. Für viele bekennende Psychedelisten gelten aber vor allem die frühen Veröffentlichungen der Briten als Messlatte für das Psychedelische, da sie die Songs enthalten, die in Tönen gegossenen Trips entsprechen.
Ihr lasst es ruhiger und geordneter angehen und preist den Tee statt des LSD. Ist das eigentlich noch wirklich psychedelisch? Und wenn ja, was verstehst Du genau unter psychedelisch?


Lutz Meinert: Ein sehr knifflige Frage, denn ab wann Rockmusik als „psychedelisch“ bezeichnet werden kann, ist schon oft höchst kontrovers diskutiert worden. Kurioser Weise beginnt für mich „Psychedelic Rock“ da, wo in der landläufigen Reinen Lehre diese Stilrichtung bereits endet, die demnach nur von ca. 1965-1969 dauerte. Historisch gesehen war es bei den hierzu zählenden Bands natürlich ein Novum und höchst innovativ, wenn Sitar, Tablas, Glöckchen oder andere, für die damalige Pop- und Rock-Szene exotisch geltende Instrumente eingesetzt oder einige neue Studioeffekte verwendet wurden. Aber sehr oft waren solche Elemente eher schmückendes, mehr oder weniger dezentes Beiwerk bei ansonsten recht konventionell gehaltenen Beat-, Pop- oder Folk-Songs. Teilweise waren es auch nur die Texte, die den psychedelischen Charakter eines Titels ausmachten, man denke beispielsweise nur an „White Rabbitt" von Jefferson Airplane. Rein musikalisch betrachtet würde ich viele Bands und Interpreten, die beispielsweise bei Wikipedia nicht als Vorläufer, sondern schon als Pioniere der Psychedelic Rock genannt werden, wie The Doors, Jimi Hendrix, The Byrds, Cream oder Jefferson Airplane, in erster Linie anderen Stilrichtungen zuordnen.


Auch das Klischee, dass „Psychedelic Rock“ zwangsläufig schräg und kakophonisch sein muss, trifft auf einen Großteil der klassischen Aufnahmen dieses Genres nicht zu. Selbst The Piper at the Gates of Dawn, das Debüt von Pink Floyd, das von vielen als Höhepunkt des klassischen Psychedelic Rock gesehen wird, bietet überwiegend schöne Popsongs im üblichen Songformat, die allerdings mit interessanten Effekten und Geräuschen den verspielt-naiven psychedelischen Touch erhalten. Einzige Ausnahme ist hier das längere trippige Instrumental „Instellar Overdrive“, das neuartig und durchaus nicht eingängig klang.
Zwar finde ich diese Phase des Psychedelic Rock durchaus interessant und unterhaltsam, wovon übrigens auch „Psychedelic Underground“ auf unserem Album insbesondere in der kurzen Version profitiert. Aber weitaus mehr fasziniert mich die psychedelische Rockmusik, die darauf folgte. Insbesondere zählen für mich die Alben von Pink Floyd von Saucerful of Secrets bis Animals dazu. Es gab hierauf einige Stücke, die ich ganz persönlich für den Inbegriff von Psychedelic Rock halte. Hier verschmolzen tatsächlich Klänge, ob natürlicher oder elektronisch nachempfundener Art, Effekte und musikalische Strukturen zu einer eigenständigen, so zuvor noch nie gehörten Einheit und wurden Teil der Komposition. Songstrukturen lösten sich in Klängen auf oder schienen in Zeitlupe abzulaufen. Hier habe ich wirklich den Eindruck, Musik wie unter Drogeneinfluss zu hören. Es gutes Beispiel hierfür ist das ruhige „Cirrus Miirror“ vom 1969er Album More, bei dem die Musik ab der Hälfte des Stückes mit Orgelakkorden weg zu schweben scheint oder der Longtrack „Echos“ vom Album Meddle aus dem Jahr 1971, ein grandioser musikalischer Trip. Allerdings würde der „wahre“ Musikkenner dies nicht als Psychedelic Rock, sondern als Art Rock bezeichnen.
Wie auch immer, ich denke in dieser Tradition liegt auch unser Debüt, wenn auch nur zum Teil. Der andere wurde weitestgehend vom klassischen Progressive Rock inspiriert.
So sind die Titel durchkomponierter und komplexer arrangiert als üblicherweise vom Psychedelic Rock oder atmosphärischen Artrock gewohnt. Deshalb trifft die Stilbezeichnung „Psychedelic Prog“ am besten auf uns zu.

MAS: Kannst Du etwas zu musikalischen Vorbildern und Einflüssen sagen?

Timeless aus dem Jahr 2000

Lutz Meinert: Die kommen größtenteils aus dem Progressive-, Psychedelic-, Folk- und Jazz-Rock Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre. Hierzu zählen neben Pink Floyd die üblichen Verdächtigen wie Jethro Tull, Genesis, King Crimson, Yes, PFM, Banco, (Premiata Forneria Marconi und Banco del Mutuo soccorso – zwei italienische Prog Bands der (frühen) 70er, NvF) Van der Graaf Generator, Brand X. Und diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig.

MAS: Du bist kein musikalischer Novize. Vor Margin gab es For your Pleasure, Deine Band, die in der MAS seiner Zeit hoch gelobt wurde. (Damals hatte unser mittlerweile ehrwürdig gealtertes Magazin noch ein ganz anderes Outfit.) Da die meisten unserer Leser Dich nicht kennen, gib uns doch mal eine kurze Skizze Deiner musikalischen Vergangenheit.

Lutz Meinert: Ich spielte von Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre als Sänger, Keyboarder und Schlagzeuger in verschiedenen Berliner Rockbands, die stilistisch irgendwo zwischen Rock, Progressive- und Jazz-Rock lagen. Das waren Camenbert, Bizarr, Keex, Imago und Solaris. Es waren allesamt Amateurbands, die idealistisch mit viel Herzblut spielten, aber musikalisch auf verlorenem Posten standen. Berlin war zu dieser Zeit kein guter Ort für Musik dieser Art – und war es später auch nicht.
Dann zog ich mich aus der Musikszene zurück und baute nach einer Auszeit ein Homerecording-Studio auf, das ich stetig erweiterte. Dort entstanden auch in Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Georgios Zikidis die Stücke für das Debütalbum Scattered Pages, das wir anfangs als Duo unter dem Namen For your Pleasure auf dem eigenen Label veröffentlichten. Die Titel darauf waren stilistisch unterschiedlich angelegt zwischen Rock, Pop, Folk- und Progressive Rock.
Als aber schon ein halbes Jahr später eine komplette Band aus dem anfänglichen Studio-Projekt wurde, ging es musikalisch ganz zielstrebig in den Progressive Rock, was sich bereits bei den ersten Konzerten und später auch bei dem Nachfolgealbum Timeless zeigte.


MAS: Schaut man sich an, was Carola Meinert und Arne Spekat zu `Psychedelic Teatime´ beisteuern (Arne Speakt ist auf zwei Stücken mit der akustischen Gitarre, Carola Meinert bei drei Stücken mit Backing Vocals zu hören. Alles andere stammt von Lutz meinert, NvF) , sieht das eher nach einem Lutz Meinert Solo Album aus. Würdest Du Margin dennoch als Band bezeichnen?

Lutz Meinert: Nein, Margin ist derzeit keine komplette Band, sondern ein reines Studio-Projekt, bei dem ich zugegebener Maßen den größten Anteil eingebracht habe. Aber ich habe es bewusst nicht „Lutz Meinert Project“ genannt, weil ich mir die Option offenhalten möchte, eventuell daraus eine komplette organische Band zu entwickeln. Und da finde ich einen neutralen Namen origineller und passender.

MAS: Wie kam es von For your Pleasure zu Margin?

Lutz Meinert: Nach dem Ende von For your Pleasure beschäftigte ich mich eine Zeit lang eher mit anderen Dingen als dem Produzieren von Musik, wie der Fotografie und dem Digital Painting - wovon ich übrigens später bei der Covergestaltung zu Psychedelic Teetime sehr profitierte.

Diskografie

For your Pleasure - Scattered Pages (1993)
For your Pleasure - Timeless (2000)
Margin - Psychedelic Teatime (2014)
Aber dann wollte ich nach langer Zeit wieder ein schönes Progressive-Rock-Album aufzunehmen. Ich hatte dafür schon eine Tüte voller Ideen und drei nahezu fertige Stücke in der Schublade zu liegen. Die sollten eigentlich auf ein drittes For your Pleasure-Album kommen, zu dem es leider nie kam. Eines dieser Stücke war „A Mysterious Cup of Tea“. Aber als ich mich daran machte, gefiel es mir nicht mehr so sehr. Also verwarf ich alles bis auf die ersten 7 Minuten und baute es neu auf. Dabei entwickelte sich solch eine Eigendynamik, dass der Titel am Schluss noch deutlich länger und psychedelischer ausfiel, als ursprünglich geplant. Durch seine Länge und seinen Charakter war er so dominant, dass die anderen beiden Prog-Stücke dagegen wie Fremdkörper wirkten und ich sie für das Projekt verwarf. Okay sagte ich mir, dann wird es eben ein psychedelisch-artrockiges Prog-Album. Die anderen Stücke schrieb ich dann mehr oder weniger in einem Rutsch. Als das Album fast fertig aufgenommen war, fragte ich Arne Spekat, den Bassisten aus For your Pleasure-Zeiten, ob er darauf die akustische Gitarre spielen möchte und meine Frau, ob sie einige Background-Vocals beisteuern kann. Und so war Margin entstanden.

MAS: Sind For your Pleasure Vergangenheit, oder existiert die Band noch parallel zu Margin?

Das For your Pleasure Debüt Scattered Pages aus dem Jahr 1993

Lutz Meinert: Zermürbt von all den Besetzungswechseln und der geringen Resonanz trotz einiger guter Album-Rezensionen und vereinzelten Konzerten in Berlin wurde irgendwann in 2001 beschlossen, die Aktivitäten ruhen zu lassen, bis die Band wieder komplett ist, und ausreichend Material für ein drittes Album vorhanden ist. Obwohl sich For your Pleasure nie offiziell aufgelöst haben, haben wir seit dieser Zeit nie wieder als Band zusammen gespielt, sind jedoch noch untereinander befreundet.
Allerdings kreuzen sich bei musikalischen Aktivitäten öfter unsere Wege. So spielte bis vor kurzem der Schlagzeuger Frank Brennekam bei Crystal Palace zusammen mit dem Gitarristen Nils Conrad und der Bassist Arne Spekat spielte, wie vorhin erwähnt, auf Psychedelic Teatime die akustische Gitarre.

Allerdings plane ich, vielleicht nach dem zweiten Album von Margin, For your Pleasure wieder zu beleben, um mit der Band einige Stücke der ersten beiden CDs neu aufzunehmen und ergänzt mit noch unveröffentlichten Stücken als Album zu herauszubringen.

MAS: Ich gehe mal davon aus, dass Du Deinen Lebensinhalt nicht völlig aus den Verkäufen Deiner CDs bestreitest. Was machst Du jenseits der Bands?

Lutz Meinert: Ich arbeite im IT-Bereich im Vollzeit-Job. Einerseits bleibt mir damit nur eine begrenzte Zeit für musikalische Aktivitäten. Andererseits bin ich finanziell unabhängig und kann Musik ohne jegliche Kompromisse hinsichtlich kommerzieller Überlegungen machen. Sicherlich wollen auch wir unsere Musik publik machen und verkaufen. Aber zuerst steht immer die Musik, die wir wirklichen spielen wollen, im Vordergrund. Und erst danach kommen Vertrieb und die Vermarktung.

MAS: Stichwort Vermarktung: Deine CDs erscheinen bei Madvedge Records. Ist das schlicht Dein Vehikel, über das Du die For your Pleasure und Margin Alben lancierst, oder steckt da mehr dahinter?


Lutz Meinert: Bislang ist Madvedge Records in der Tat nur das Exclusiv-Label für die Alben von Margin und For your Pleasure. Im kommenden Jahr werden wir voraussichtlich das Debüt-Album eines weiteren Progressive Rock-Projektes veröffentlichen, bei dem ich allerdings auch wieder beteiligt bin. Aber grundsätzlich könnte ich mir gut vorstellen, dass auch andere Bands mit Madvedge Records zusammenarbeiten. Das ist alles eine Zeit- und Geldfrage. Vor allem jedoch muss die Band zum Label passen und da haben wir schon die kuriosesten Geschichten erlebt.
Zu Zeiten von For your Pleasure wollten wir in Berlin so etwas wie eine Progressive-Rock-Szene aufbauen und suchten nach Bands für gemeinsame Konzerte oder einen Sampler, den wir bei Madvedge Records veröffentlichten wollten. Wir gaben offiziell als Label entsprechende Anzeigen auf und wir schrieben darin ganz eindeutig, dass wir nur Progressive-Rock-Bands suchten. Aber die zahlreichen Demos, die bei uns alsbald eintrudelten, enthielten nur Rock, Blues Rock, Soft Rock, Heavy Metal, Death Metal, Hardcore, Pop, Rap/Hip Hop, Tekkno, halt alles Mögliche, nur keinen Progressive Rock! Es war nur eine Ausnahme dabei, die man wohlwollend noch gerade zum Progressive Rock dazurechnen konnte. Sie war aber so grottenschlecht gemacht, dass wir dankend ablehnten und das Vorhaben resigniert wieder verwarfen.

MAS: Last not least: Wie sieht es mit bisherigen und zukünftigen Live-Aktivitäten aus?

Lutz Meinert: Margin ist bislang ein reines Studio-Projekt. Aber es ist für mich ein sehr verführerischer Gedanke, diese Musik live aufzuführen. Allerdings wäre der Aufwand hierfür immens und ist derzeit weder organisatorisch noch finanziell zu stemmen. Aber schauen wir mal, wie sich das Ganze entwickelt.

MAS: Dann danke ich Dir für Deine Antworten und warte gespannt auf zukünftige Aktivitäten.

Norbert von Fransecky


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