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Artikel

Play Latin #4

Wenig hat Brasilien auf der vergangenen Fußball-WM zustande gebracht und wenig ist diesmal auch an Musik von dort bei uns angekommen. Umso unermüdlicher sind dagegen

Soneros De Verdad
Amarate!
Connector/in-akustik
57:07 min
Kuba

Die Buena Vistas-Epigonen Soneros De Verdad (und deren einzelne Mitglieder) versuchen seit längerem den Rekord an Rezensionen im Latin Bereich zu brechen. Eine Veröffentlichung jagt die andere. Ihr neuestes Werk Amarate! präsentiert die bewährte Mischung aus Son, Timba und Trova und als Schmankerl sind mal wieder Sänger /b>Mayito Rivera und Pianist Guillermo Rubalcaba dabei. Handwerklich gut, aber ohne Überraschungen.


Chancha Via Circuito
Amansara
Crammed Discs/ Indigo (CD)/ PIAS (Digi)
39:26 min
Digital Cumbia/ Argentinien

Besser als gedacht schnitt Argentinien bei der WM als deutscher Endspielgegner ab. Dass es von dort derzeit auch mit die meisten innovativen musikalischen Impulsen kommen, merkt man daran, dass der momentane Cumbia-Hype dort schon längst in der Elektro-Szene angekommen ist. Der argentinische Produzent Pedro Canale aka Chancha Via Circuito gibt der Cumbia auf Amansara mit seinen virtuellen Sounds einen fast melancholischen Anstrich. Er mixt Klänge vieler lateinamerikanischer Instrumente vor allem im rhythmischen Bereich mit eher ruhigen Keyboard-Sounds, aber auch Flöten und Steeldrums, und setzt ab und zu eine Sängerin ein. Dabei bewegt er sich im Unterschied zu den traditionellen Cumbia-Bands zwischen Low- und Midtempo-Bereich. Auf der ausgekoppelten Single „Coplita“ führt dies gar zu einer beschwörenden Ritualstimmung. Auch sonst merkt man ihm an, dass er als Filmmusiker für TV-Serien wie „Breaking Bad“ gearbeitet hat. Flirrende Hitze und Klapperschlangen ziehen sich durch die Dub- und Exotica-getränkten Tracks, aber auch mal ein dezenter Breakbeat ist dabei. Insofern setzt sich dieser Digital Cumbia wohltuend vom Rest des Cumbia-Hypes ab ohne seine Herkunft zu verleugnen. Auffallend ist auch eine Auswahl der Instrumentalklänge, die weit über das Repertoire der Cumbia hinaus geht.

Gustavo Santaolalla
Camino
Masterworks/ Sony
35:42 min
Argentinien/ meditativer Folk

Gustavo Santaolalla hat nicht nur bei der Tango-Rock-Band Bajofondo argentinische Musik modernisiert, sondern ist noch erfolgreicher als Filmmusiker. So wirkt denn auch Camino wie eine Untermalung zu einem melancholischen Film, sehr melodiebetont, fast ein bisschen an den Harfenguru Andreas Vollenweider erinnernd. Doch Santaolalla spielt vielmehr bevorzugt Ronroco, ein zehnsaitiges Zupfinstrument und ansonsten viele Saiteninstrumente nicht nur der argentinischen Folklore. So probiert er gerne auch ihm unbekannte Instrumente wie die Oud aus. Seine Musik ist sehr besinnlich, minimalistisch, innere Ruhe ausstrahlend, zugleich aber sehr eingängig, also ohne die melodische Beliebigkeit vieler Meditationsplatten. Santaolalla gelingt im Grunde eine Musik voller folkloristischer Instrumentalklänge ohne folkloristisch zu wirken. Eindringlich.

Rubén Blades
Tangos
Sunnyside Communications/ harmonia mundi
48:15 min
Tango

An argentinischer Musik probiert sich denn auch jetzt eine der Ikonen des Salsa, Rubén Blades. Schon immer unkonventionell, ist es auch bei seiner musikalische Rückkehr: Tangos heißt sein Album schlicht und präsentiert Tangos orchestral schwer unterlegt irgendwo zwischen schwülstig, Easy Listening und Klassik. Nur was für fanatische Liebhaber des Meisters.

Yma Sumac
Legend Of The Jivaro/ Fuego Del Ande
Jackpot Records/ in-akustik
68:57 min
Latin Folk/ Exotica

Und noch eine musikalische Legende Lateinamerikas. Endlich ist es Zeit, in dieser Kolumne die größte Stimme der lateinamerikanische Musik erwähnen zu können: Yma Sumac. Zwei exotische Wiederveröffentlichungen der Exotica-Queen machen glücklicherweise die einzigartige Stimme der 2008 verstorbenen Sängerin wieder zugänglich. Auf Legend Of The Jivaro (1957) hört man angeblich Musik eines Kannibalenstammes aus dem Amazonasquellgebiet. Dumpfe Trommeln, beschwörende Männerchöre, magisch bis in die Haarspitzen und dazu Sumacs in höchsten Höhen zwitschernder Gesang, vereint mit heißeren Flöten: Da holt man doch gern das Voodoo-Püppchen und den Zaubertrank raus. Von heutiger Sicht klingt das Werk fast experimentell und eher filmmusikalisch. Damals wurde damit eigenwillige Dschungel-Folklore einem weißen Publikum konsumierbar gemacht. Ganz anders dagegen Fuego Del Ande (1959). Hier bereitete man lateinamerikanische Folksongs leicht poppig auf. Man merkt den Einfluss damals aktueller E-Gitarren-Twist-Bands. Sumacs ergreifender Gesang wirkt dazu im Kontrast jedoch zu altbacken. Die Absicht ist klar, aber man sollte eine Operndiva nicht in einen Twist-Schuppen stellen. Dennoch kann ihr gesanglich auch hier keiner das Wasser reichen. Zwei echte Klassiker!

Kali Mutsa
Souvenance
Flowfish/ Broken Silence
39:43 min
Latin Banghra/ Chile

Ähnlich schrill und dennoch ganz anders: auf Souvenance mischt die chilenische Band Kali Mutsa indischen Banghra, Latin, Balkan, Rap und Electro zu einem aberwitzigen Thrill. Tatsächlich hat man hier den Eindruck, hier erklingen alle Stile wirklich gleichzeitig. Schräg wie Baile Funk, kunterbunt im Sound und stimmlich recht piepsig – das dürfte auf den Sommerfestivals eingeschlagen haben.


Hollie Cook
Twice
Mr. Bongo/ harmonia mundi
43:30 min
Tropical Reggae

Hollie Cook, britische Sängerin der reformierten Frauen-Punkband-Legende The Slits, gelingt auf Twice eine der entspanntesten Reggae-Alben der letzten Jahre. Ihren poppigen Reggae mischt sie mit Streichern, Exotica-Klängen und Instrumenten der Karibik auf, dazu ihre entrückte Stimme und Songs mit Ohrwurmqualität. Hat man so perfekt zuletzt vielleicht mal bei den Reggae-Stücken von Kid Creole & The Coconuts gehört.






Raging Fyah
Destiny/ Judgement Day
Soulbeats Records/ Broken Silence
99:01 min
Roots Reggae

Und auch Raging Fyah zeigen, dass der Roots-Reggae der 70er Jahre ein deutlich sichtbares Comeback hat. Stimmlich perfekt, erinnern sie etwas an Lucky Dube. Dieser Reggae ist absolut relaxed inklusive Mitsing-Hymnen, mal auch mit Anleihen aus Pop oder Dub, insgesamt aber weit entfernt von Hip Hop-unterwanderten Varianten des Reggaes. Wenn dann gleich ein neues (Destiny) und ein altes Album (Judgement Day) im Doppelpack kommen – was will man mehr?

Hans-Jürgen Lenhart


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