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Soul-Rock statt Herzinfarkt - Mitch Ryder in Berlin

Info

Künstler: Mitch Ryder

Zeit: 05.03.2013

Ort: Frannz Club, Berlin

Besucher: 250

Veranstalter: Trinity Music

Fotograf: Norbert von Fransecky

Dass er Deutschland mag, ist bekannt. Seit 1994 sind die Ex-DDR-Blueser Engerling die Begleitband der Detroiter Rock Legende Mitch Ryder. Vor Jahren hat er in einem Interview sogar bekannt, dass er seine Kinder am liebsten in Deutschland zur Schule gehen lassen würde. Und so betrat er mit deutscher Pünktlichkeit um fast exakt 20.30 Uhr die Bühne des Frannz Clubs im Prenzlauer Berg, in dem ein Jahr zuvor Teile seiner aktuellen Live-CD It’s killing me aufgenommen wurden.

Der erste Eindruck war eher bestürzend. Ganz in Schwarz gekleidet mit schwarzer Basecap und Sonnenbrille wirkte der 68-Jährige dennoch nicht wie ein Blues Brother. Und das lag nicht am fehlenden weißen Hemd. Die langsamen, vorsichtigen Bewegungen und die schlurfenden Schritte ließen eher an die Folgen eines zweiten Schlaganfalles denken, oder an den Besuch bei einem Zeitzeugen, der von seinen Erlebnissen im dritten Reich berichtet.

Ryder nutzte nicht das erste Stück, um das Publikum vom Gegenteil zu überzeugen. Er stieg mit einem besonderen Bonbon ein - einer Akustiknummer, bei der er nur von Boddi Bodag am Piano begeleitet wurde. Das Stück namens „Berlin“ habe er bislang bei keinem Konzert seiner Tour gespielt, erklärte er zu Beginn. Und er werde es auch nirgendwo anders spielen. Daher möge man verzeihen, dass er den Text vom Blatt singe. So gelang es mit einem ungewöhnlichen Auftakt dennoch sofort das Eis zu brechen, wenn solches überhaupt vorhanden war. Denn die gut 250 Gäste, die den Frannz Club ordentlich füllten, mussten ganz augenscheinlich nicht erst von den Qualitäten des Gastgebers überzeugt werden.


Spätestens bei dem energischen „It ain’t easy“ wurde klar, dass Mr. Mitch kein Fall für die Pflegestufe 1, sondern ein Vulkan ist, der nicht nur bereit ist auszubrechen. Wenn er seine Texte mit Soul Power ins Mirkofon drückte, dann war das kraftvoll muskulös und wirkte nicht im Ansatz angestrengt. In dieser Form singt Ryder alle Joe Cockers, Rod Stewarts (sowieso), Chappos und Bob Segers dieser Welt an die Wand.
Einige Male kokettierte der 68-Jährige mit seinem Alter: als er sich als Kandidat für das Papstamt ins Spiel bringt, sich vor Beginn eines längeren Soloteils zu „einem Pinkel“ verabschiedet, oder zur Zugabe mit der Bemerkung erscheint, bei dem Krach, den die Band macht, könne man selbst als 68-jähriger nicht schlafen.

Engerling, das war schnell klar, sind alles andere als eine Begleitband. Sie und Ryder sind eine fest verschmolzene Einheit und jeder einzelne Musiker kann seine Möglichkeiten nutzen, um zeitweilig im Mittelpunkt zu stehen. Am deutlichsten wird das bei Tastenmann Boddi Bodag, dem Kopf der Band. Bei Stücken wie „Liberty“ kommen die dort ursprünglich vorhandene „Bläsersätze“ völlig ungekünstelt – und ohne jegliche Samples – aus seinen Tasten. Er lässt seine Geräte schluchzen, wimmern und triumphieren und macht den rechten Flügel der Bühne zum Zentrum, wenn er zur Mundharmonika greift. Wenn er bei den wildesten Passagen seine Hände völlig entspannt über die Tasten gleiten lässt, ist man fast dankbar dafür, dass Mitch Ryder nicht in Springsteen-Sphären aufgestiegen ist, und man die Band hautnah beobachten kann und nicht auf die fremd bestimmte Bildauswahl verpixelter Videoscreens angewiesen ist.

Heiner Witte und "Gast" Pitti Piatkowski

Auf der anderen Seite der Bühne stand Pitti Piatkowski - hier wie auf den CDs immer wieder als Special Guest hervorgehoben – zu Recht, denn wenn einer sich nicht 100%ig ins Bandgefüge einpasste, dann war es der Saitenwizard. Wirklich gestört hat das nicht .Und wenn er mal wieder den Stevie Ray Hendrix gab, gingen die Kinnladen runter und die Temperatur rauf. Genial! Dennoch, der ebenfalls brillante Heiner Witte spielte wesentlich emotionaler und songdienlicher. Seine Gitarren sang, während Piatkowski stolzierte. Selbst als ihm beim Solo von „Red Scar Eyes“ eine Saite riss, brachte das Witte kaum aus der Ruhe. Geht auch mit einer weniger.

Fast jedes Stück wurde nett angesagt. Mal wurde darauf hingewiesen, dass auf der CD, auf der „Liberty“ erschienen ist, Booker T & the MGs als Backing Band dabei war. Der Americana-Stil von Stücken wie „True Love“ und „When you were mine“ erklärt sich durch die Produktion der betreffenden LP durch John Mellencamp. Politisch outete sich Mitch Ryder als kritischer Amerikaner. Vor „Nobody hates“ spricht er sich deutlich gegen den Rassismus und das Denken in Vorurteilen in der USA aus. Und bei der Ansage zu „Er ist nicht mein Präsident“ macht er deutlich, dass das Stück 30 Jahre alt ist und sich bestimmt nicht auf Obama bezieht. „Obama, he is good.“.

Nach exakt einer Stunde geht die Band nach einem furiosen „Voo Doo Chile“ ab. Die Zugabe bringt das Konzert auf volle Spielfilmlänge. „We are helpless” wird am Ende fast metallisch hart und setzt sich auch nach Ryders Abgang noch einige Zeit fort, bevor auch die Band im Backstage-Bereich verschwindet. Aber das Ende war das noch nicht.


Nach einem kurzen Moment kommt Manne Pokrandt alleine zu einem Bass-Solo zurück – der überflüssigsten Phase des Konzerts. Dann deutet Pokrandt Akkorde an, die zeigen, was noch kommen soll, als plötzlich ein erkennende „Soul Kitchen“ aus dem Publikum ertönt. Als wäre das das Stichwort gewesen, kommt die Band zurück und stürzt sich in eine fantastisch dynamische Version des Soul-Klassikers, die es auf gut 20 Minuten Spielzeit bringt. Hier darf noch mal jeder Musiker zeigen, was er kann – und Ryder zeigt sich in einer Form, die manch einen 50-jährigen vor Neid erblassen lassen dürfte.

Nach knapp zwei Stunden verlässt ein mehr als zufrieden gestelltes Publikum den Frannz Club, um sich wahlweise in eine der benachbarten Kneipen zum Nachgespräch zu begeben, oder sich bei dem für Berliner Verhältnisse moderat späten Konzertende zu einem ausreichenden Nachtschlaf vor dem nachfolgenden Arbeitstag zurückzuziehen.


Setlist:
Berlin
Ain’t nobody White
Big Time
It ain’t easy
Betty’s too tight
Thrill of it all
Liberty
If you need the Pain
Nobody hates
Er ist nicht mein Präsident
Wicked Messenger
From a Buick 6
Jenny take a Ride
Future looks brite
Red Scar Eyes
Voo Doo Chile
__________________________________________
True Love
When you were mine
One Hair
We are helpless
__________________________________________

Soul Kitchen

Norbert von Fransecky


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