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Der Juni 1987 macht mir die Auswahl leicht. Wieder einmal ist in diesem Monat nur eine CD in meine Sammlung gewandert. Und der Grund war wieder einmal nicht die besondere Hochschätzung für Eric Clapton. Die hatte sich kauftechnisch schon einige Wochen vorher in Form der damals aktuellen Scheibe August ausgetobt. Wie Behind the Sun ist August von Phil Collins produziert worden. Und das hatte den Gitarrengott, der für mich damals wenig mehr als ein Legendenname unter vielen war, massiv in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geschoben. Dass ich mir nach August nun auch noch Behind the Sun zugelegt hatte, lag mal wieder vor allem am Preis. Ohne irgendein Booklet o.ä. war der nackte Silberling im Jewelcase für 14 DM zu haben.
Meine unspezifische Beziehung zu Eric Clapton eröffnet die Möglichkeit einen Blick auf die Zeit zu werfen, in der ich diese CD erworben habe. Dazu eignet sich der 11. Juni 1987 ganz hervorragend. Zwei Termine, beide verbunden mit prominenten Amerikanern, stehen in meinem Terminkalender.
17 Uhr: Reagan-Demo (Wilmersdorfer / Kantstr.) lautet Termin Nummero 1.
Der umstrittene US-Präsident war auf Berlinbesuch. Bei dieser Gelegenheit war wohl auch vor dem Brandenburger Tor der berühmte Satz „Mr. Gorbatschow reißen Sie diese Mauer ein.“ gefallen. Mit seiner ins Extrem gesteigerten Rüstungspolitik hatte Reagan die weltweite Friedensbewegung gefördert, wie kein anderer. Dass er seine Politik unter Missbrauch biblischer Bilder auch noch zum Kampf des Guten gegen das Böse hochstilisierte machte die Sache nun wirklich nicht besser. Die Kritik an der Politik der USA, die von den deutschen Regierungsparteien in kritikloser Nibelungentreue mitgetragen wurde, hatte sich bis weit in die politische Mitte und das bürgerliche Lager ausgebreitet. Der oft populistisch vorgetragene Vorwurf des Anti-Amerikanismus traf allerdings ins Leere. Viele Vorbilder für die deutsche Friedensbewegung kamen aus den USA: Donovan, Joan Baez, Dylan, Woodstock, Martin Luther King jr oder die Brüder Berrigan waren Säulenheilige der kritisch denkenden Deutschen. Wie haben wir gejubelt als Mitch Ryder sang „This is not my President. I am from America.“ oder als Little Steven van Zandt sich auf einem Rockpalast-Festival auf der Loreley für sein Land entschuldigte. Wahrscheinlich hat Herbert Grönemeyer das Gefühl dieser Deutschen am treffendsten auf den Punkt gebracht. „Amerika, Du hast viel für uns getan. Amerika, bitte tu uns das nicht. Amerika, bitte prügle Dich, wenn du dich wirklich prügeln willst, doch in Deinem eignen Land.“
Nach der Straßen-Demo am Nachmittag folgte am späten Abend der katholische Protest auf spirituelle Weise. Der brasilianische Erzbischof Dom Helder Câmara war um 22 Uhr zur liturgischen Nacht in der Kreuzberger St. Michael Gemeinde eingeladen. Er gehörte zu den profiliertesten Befreiungstheologen, die die Folgen des Weltwirtschaftssystems für die armen und die Schwellenländer anprangerten, gegen die neo-kolonialen Strukturen in ihren Ländern protestierten und sich deutlich auf die Seite der armen Leute, der Landarbeiter und Campesinos stellten und für ihre Rechte kämpften - auch gegen die mächtigen Wirtschaftsnationen und die multinationalen Konzerne, die von den Strukturen profitier(t)en. Zum Glück ist ihm das Schicksal seines salvadorianischen Kollegen Óscar Romero erspart worden, der am 24. März 1980 während eines Gottesdienstes von einem Scharfschützen des Militärs erschossen wurde.
Als die Messe nach zwei Stunden zu Ende ging, hatte sich auch der politische Protest von Charlottenburg nach Kreuzberg verlagert. Und dass das nicht ohne Krawall abgehen würde, war abzusehen. Die Polizei hatte daher alle Verbindungen zwischen Kreuzberg und den westlichen Stadtteilen abgeriegelt. Überall Polizeiketten in paramilitärischer Aufmachung; auf den Hauptstraßen lange Reihen von Polizeifahrzeugen in Bereitschaft: voll besetzte Mannschaftswagen, Wasserwerfer, Barrikadenbrecher - eine unheimliche Atmosphäre.
Mittendrin ich, auf dem Fahrrad - und ganz geschickt mit Jeans und Lederjacke komplett in Schwarz gekleidet. Die Blicke der Staatsmacht-Vertreter, die ich passierte, waren alles andere als beruhigend.
Alle Wege nach Westen waren dicht. An eine direkte Heimfahrt war nicht zu denken. Und so führte mich mein Heimweg von Kreuzberg nach Lankwitz erst einmal nach Osten, um mitten in der Nacht östlich und dann südlich am Tempelhofer Flughafen vorbeizufahren. Es dürfte auf mindestes auf zwei zugegangen sein, als ich meine Studentenbude endlich erreichte. Ob dort noch die drei Tage zuvor erworbene Clapton-CD im Player steckte, weiß ich natürlich nicht mehr. Vielleicht erinnern sich die Nachbarn.
Bild: wikipedia (Ausschnitt)
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