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Zeit: April 2004
Interview: E-Mail
Stil: Klassik
In der Popbranche wundert sich niemand über einen 14, 15 oder 16 Jahre alten Star. Boygroups, Girlgroups, Teeniebands, Deutschland sucht den Superstar - wer noch nicht wählen darf, aber Bravo-Cover-tauglich daherkommt, hat überall Chancen auf einen publikumswirksamen Auftritt - paradoxer Jugendwahn einer überalterten Gesellschaft...?
Im Bereich der Klassik ist der Teenager dagegen eine Seltenheit. Das war schon zu Mozarts Zeiten so: Das Wunderkind wird beklatscht, aber wenn es dem Kindesalter entwachsen ist, muß es sich erst mühsam wieder eine Position im "ernsthaften" Musikleben erobern. Nur einige wenige machen durchgehend von sich reden bzw. beschreiten einen kontinuierlichen Weg.
Einer von ihnen war 2004 14 Jahre alt, Schüler eines österreichischen Musikgymnasiums.
Das besondere an ihm: Er begnügt sich nicht damit, die Werke anderer zu interpretieren, sondern hat auch bereits eine beachtliche Zahl eigener Kompositionen geschaffen. Den größten Teil davon naheliegenderweise für sein Instrument, das Klavier. Aber auch Werke für Chor, für Violine oder Fagott finden sich im Verzeichnis.
Es verwundert kaum, dass man diesen Stücken noch an mancher Stelle das Vorbild ansieht oder vielmehr "anhört". Da findet sich in der gleichen Komposition dann ein Hauch Brahms, ein Stückchen Bach, eine Passage Schubert, jedoch ohne dass es sich um die plumpe Aneinanderreihung von Versatzsstücken handlen würde. Er sucht sich mehr und mehr seinen eigenen Weg und eigenen Stil, greift dabei aber bislang auf eher traditionelle Muster und Mittel zurück. Unterstützung erfährt er durch seine Mutter , die ebenfalls als Komponistin tätig ist.
Durch den Internetauftritt des Künstlers, auf dessen Homepage sich neben einem Werkkatalog und biographischen Informationen auch selbst komponierte und eingespielte Stücke zum Download finden, wurde ich neugierig. Insbesondere sein jüngstes Opus, eine Bearbeitung eines Volksliedes, fand ich auf Anhieb interessant und spannend. Er erklärte sich 2004 netterweise bereit, mir im Mail-Interview einige Fragen zu beantworten.
Redaktionelle Anmerkung, 4. August 2013: Heute fast 10 Jahre später möchte der Komponist das, was er damals gesagt hatte, so nicht mehr mit seinem Namen verbunden wissen. Warum auch immer! Wir finden das Interview immer noch so beeindruckend, dass wir seiner Bitte entsprechen, indem wir es heute anonymisiert haben.
MAS: Deine Kompositionen greifen stark auf klassische Stilmittel zurück und sind dem Hörer daher leicht zugänglich. Hast Du dennoch auch schon einmal mit den Mitteln der Moderne oder der Neuen Musik experimentiert?
Der Komponist: Ich "experimentiere" zwar in dem Sinne nicht mit der Musik, sondern kann nur aufschreiben, was gerade aus mir "herausfließt", darunter befindet sich aber durchaus Atonales und Ungewohntes.
MAS: Die Werke, die Du als mp3-Files ins Internet gestellt hast, zeigen nach meinem Eindruck oft einen zurückhaltenden, suchenden, bisweilen düster-verschatteten Charakter. Steuerst Du bei der Wahl der Themen, Tonarten und Harmonien gezielt auf einen solchen Effekt hin oder denkst Du, dass damit vielleicht etwas von Dir selbst, von Deinem Innersten preisgegeben wird?
Der Komponist: Vielleicht liegt das an der Qualität der Aufnahme, bei diesen Stücken habe ich jedenfalls nicht bewußt versucht, diese Wirkung zu erzielen.
MAS: Carl Maria von Weber hat gesagt: "Es ist gewiß, dass keine Musik komponiert, kein Gemälde gemalt und kein Gedicht gedichtet würde, wenn nicht der Trieb, auf andere zu wirken, im Menschen läge."
- Gibt es eine Wirkung Deiner Musik auf andere, die Du erhoffst und anstrebst? Oder würdest Du sagen, dass Du ganz wesentlich und in erster Linie für Dich selbst Musik schreibst?
Der Komponist: Letzteres ist der Fall. Ich hoffe zwar, dass dem Publikum meine Musik auch gefällt, dies ist jedoch zweitrangig. Am wichtigsten ist mir, mit meinen Stücken meine intellektuellen und emotionalen Ansprüche zu befriedigen.
MAS: Das Komponieren ist Begabung und Eingebung, zugleich aber auch Kunst und Wissenschaft.
Wie stark nehmen Deine Lehrer Einfluß auf konkrete Stücke? Und: Wenn Du Dir ganz frei aussuchen könntest, wer Dich in der Kompositionslehre unterrichten soll, wer wäre das? (bitte eine lebende Person benennen, evtl. zusätzlich auch etwa einen Komponisten aus der Vergangenheit)
Der Komponist: Lebende Kompositionslehrer habe ich zur Zeit zwar nicht, meine toten, vor allem Johannes Brahms, beeinflussen meine Kompositionen jedoch sehr. Da ein Lehrer zwangsläufig Einfluß auf die eigene Musik ausübt, kann meine Lehrerwahl nur zugunsten eines Komponisten ausfallen, von dessen Musik ich wirklich überzeugt bin und dies ist bei keinem mir bekannten Lebenden der Fall (außer vielleicht Dave Brubeck).
MAS: Welche Musik bevorzugst Du, wenn Du selbst ins Konzert oder in die Oper gehst? Stellst Du fest, dass sich ein Konzertereignis unmittelbar in Deinen eigenen Kompositionen niederschlägt?
Der Komponist: Im Konzert höre ich mir jede gute Musik an, sofern die Interpreten diese auch gut hinüberbringen. Wenn diese beiden Kriterien erfüllt sind, kann es durchaus sein, dass etwas von der dargebrachten Musik in meine Kompositionen Einzug hält.
MAS: Du komponierst nicht nur, sondern spielst auch erfolgreich Klavier. Siehst Du Deine Zukunft eher auf dem Gebiet des Komponierens oder eher als Interpret und Virtuose?
Der Komponist: Beides, denn das Klavierspielen liefert mir starke Anregungen für das Komponieren und ist auch Dank der damit verbundenen Arbeiten für mein seelisches Wohlbefinden unumgänglich.
MAS: Um an die vorhergehende Frage anzuknüpfen: Wo möchtest Du in 5 und in 15 Jahren stehen, welche Ziele hast Du Dir gesetzt?
Der Komponist: Das kann und will ich auch gar nicht wissen, ich hoffe jedoch, als Komponist etwas anerkannt zu werden und meine Kompositionen gut interpretiert hören zu können.
MAS: Andere verdienen als Teenager trotz häufig geringer Begabung im Bereich der Popmusik eine Menge Geld. Beneidest Du sie um diese Chance des schnellen Erfolgs und der ungleich größeren Popularität? Verfolgst Du überhaupt, was sich jenseits der sogenannten E-Musik in der Musikbranche tut?
Der Komponist: Nein, ich beneide sie nicht, denn was nützt mir all die Popularität und all das Geld, wenn meine Musik meinen Anforderungen nicht genügt! Die Geschehnisse im Bereich der Pop-Musik verfolge ich nicht, da sich das Hören einer solchen sofort absolut tödlich auf mein Komponieren auswirkt.
MAS: Wunderkind, Genie, Virtuose, Künstler, Komponist - Würdest Du für Dich selbst einen dieser "Titel" als passend empfinden?
Der Komponist: Komponist, Künstler.
MAS: Wenn man sich Dein Werkverzeichnis ansieht, muß man annehmen, dass für Tätigkeiten abseits des Komponierens in Deinem Leben kaum Zeit bleibt. Hast Du Interessen, die nichts mit Musik zu tun haben oder füllt die Beschäftigung mit der Musik Deinen Tag vollständig aus?
Der Komponist: Normalerweise beschäftige ich mich den ganzen Tag mit Musik und was so daran hängt (z.B. ein Interview schreiben), wenn ich mich etwas anderem zuwende, dann unter der Bedingung, dass ich daraus etwas für die Musik lernen kann, oder wenn ich einfach einmal eine Schaffenspause benötige.
Sven Kerkhoff
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