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Reviews

Paul Simon

So Beautiful Or So What


Info

Musikrichtung: Pop

VÖ: 08.04.2011

(Hear Music / Concord/ Universal Music Group)

Gesamtspielzeit: 38:08

Internet:

http://www.paulsimon.de

Jede Menge Vorschusslorbeeren gab es für Paul Simons neues Album, u. a. von Elvis Costello, und Simon lehnte sich mit der Bemerkung, es wäre sein bestes Album seit Graceland weit aus dem Fenster. Tatsächlich erschließt sich das Album nicht gerade beim ersten Mal und auch einen Song, der das Zeug zu einem neuen Klassiker hätte, springt einem nicht sofort ins Ohr. Dennoch erstaunt einen Simon mit seinen Arrangements, Klangideen und Songstrukturen von Beginn an.

„Getting Ready For Christmas Day” legt zu Beginn mit einem stampfenden Rhythmus und einer eingängigen Melodie los, dazwischen gibt es Samples wie eines sich öffnenden Akkordeons und einer 1941 gemachten Aufnahme des legendären Baptistenpredigers und Gospelsängers Reverend J.M. Gates. Alles ein bisschen merkwürdig, aber das war es noch lange nicht mit dem Unerwarteten. „The Afterlife” verblüfft mit einem Soca-Beat, der von einem Mundharmonika-Sample unterstützt wird, die wie eine Art Rumbarassel vor sich hin groovt. Das Schlagzeug haut zu dem straighten Beat ständig krachig dazwischen. Und schon kommt das nächste Stück „Dazzling Blue” mit einer genauso seltsamen Metamorphose zwischen den indischen Tablas des außergewöhnlichen Perkussionisten Steve Shehan, der Tremologitarre von Vincent Nguini und dem plötzlich auftauchenden Bluegrass-Gefiddel von Doyle Lawsons Quicksilver Band daher. Über all dem singt Simon unbeeindruckt seinen Ohrwurm. Dann folgt ein vertrackter Gitarrenrhythmus (alle Achtung!), umspielt von einer Kora. Das hier gemeinte Stück „Rewrite“ wird von einem Foot-Tapping-Beat zusammengehalten. Kaum hat man sich daran gewöhnt, meint man im darauf folgenden „Love and Hard Times“, sich in ein bislang unveröffentlichtes Stück aus dem Album Bookends von 1968 mit Kollege Art Garfunkel verirrt zu haben. Eine träumerische Gitarrenballade mit dezenter Orchesterbegleitung. Stopp! Hey, it’s Country Time! Vielmehr Country-Dub, wenn man genau hinhört.„Love Is Eternal Sacred Light“ fetzt ziemlich und hat auch noch einen Gospel-Beat. Dann wäre aber mal Zeit zum Nachdenken mit einer kleinen akustischen Gitarren-Miniatur namens „Amulet“, das Simon für Luciana Souza, einer brasilianischen Jazzsängerin schrieb, die das Stück auf ihrem Album Tide verwendete und dazu improvisierte.

Jetzt kann man das Album mal wirken lassen. Da hat er Einiges gewagt, der gute Paul, hat wohl sehr viel gefeilt, an den Klangideen, am Instrumenteneinsatz, am Aufbau der Songs. Und es kommt einem in den Sinn: Wirkt das nicht zu kunstvoll? Wie kommt so was auf der Bühne rüber? So richtig was zum Feuerzeug rausholen ist ja nicht dabei. Doch man muss Paul Simon eines lassen: Während sich heute alle möglichen Bands darin überschlagen, den Zeitgeist darin gefunden zu haben, indem sie wie wild Musikstile kreuzen und doch nichts anderes als eine Jukebox dabei herauskommt, steht der fast 70jährige da und braucht für seinen Anti-Aging-Effekt weder einen Gast-Rapper noch eine Ska-Nummer. Er probiert einfach tausend Ideen aus und probiert und probiert und hat plötzlich ein Arrangement im Song, wie es noch keiner gebracht hat. Und was noch wichtiger ist: Die Songs würden auch ohne diese besonderen Zutaten funktionieren, nur so klingt’s eben origineller, wenn nicht gar verblüffender. Deshalb hat er nach eigener Aussage beim Schreiben der Songs erstmal mit dem Herumspielen auf der Gitarre begonnen (und nicht wie man meinen könnte, zuerst die Rhythmen festgelegt).

Dann geht es noch mal zurück in die Bookends-Zeit mit der verlorenen Gitarrenballade „Questions for the Angels“ - vielleicht das romantischste Stück des Albums. „Love and Blessings” führt danach in den Süden, ein swingendes Gospel-Stück mit einer klapperigen Perkussion und einem erneuten Sample aus einer Vokalaufnahme. Das abschließende Titelstück „So Beautiful Or So What“ hat einen treibenden Rhythmus, fast ein Country-Rocker und wieder doch nicht.

Nach nur 38 Minuten ist die neue Offenbarung Paul Simons vorbei. Aber große Künstler, heißt es, wählen knallhart aus. Lieber weniger Songs, dafür nur die wirklich guten. Und wer jetzt immer noch nicht weiß, was er von Simons neuestem Streich zu halten hat, der nehme den Albumtitel wörtlich. So schön oder so was halt.



Hans-Jürgen Lenhart

Trackliste

1Getting Ready For Christmas Day4:06
2The Afterlife3:40
3Dazzling Blue4:32
4Rewrite3:49
5Love and Hard Times4:09
6Love Is Eternal Sacred Light4:02
7Amulet1:36
8Questions for the Angels3:49
9Love and Blessings4:18
10So Beautiful Or So What4:07

Besetzung

Paul Simon (voc, git)
Vincent Nguini (git)
Steve Shehan (perc)
Chris Bear (drums)
Doyle Lawson & Quicksilver
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
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19 bis 20 Überflieger