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Reviews

Bach, J. S. (Butt)

Matthäus-Passion BWV 244


Info

Musikrichtung: Barock Oratorium

VÖ: 22.02.2008

(Linn / Codaex)

Gesamtspielzeit: 161:16

Internet:

http://www.dunedin-consort.org.uk/

EINFACH BESETZT UND ERGREIFEND SCHÖN

Klar, direkt, ungekünstelt - selten hatte ich beim Anhören einer Aufnahme von J. S. Bachs monumentaler Matthäus-Passion den Eindruck, dass diese komplexe Musik im Grunde so einfach und zwingend komponiert ist.

Das schottische Ensemble Dunedin Consort & Players hat sich in Anlehnung an die zur Bachzeit übliche Praxis für eine einfache Besetzung entschieden: Der Doppelchor besteht aus je vier Sängerinnen und Sängern, die auch alle Arien und die großen Soli - Jesus, Evangelist - interpretieren. Einige Soliloquenten wie Pilatus, seine Frau oder der Hohepriester werden exklusiv von weiteren Sänger/innen übernommen. Bei Bach waren es wahrscheinlich Mitglieder der beiden kleinen Orchester oder ebenfalls die Choristen. Zwei Ripieno-Soprane singen schließlich die Choralpassagen im Eingangschor und Schlusschor von Teil I.
Für eine ähnliche Einrichtung hatte sich auch Paul McCreesh bei seiner Aufnahme entschieden, die erste Einspielung überhaupt, die die vokale 1:1 Besetzung beim „Allerheiligsten“ unter den Passionsoratorien riskierte. Entsprechend heftig waren die Diskussionen, die zum Teil Züge eines fundamentalistischen Glaubenskrieges annahmen.
Dabei ist die These von der Kleinstbesetzung über 20 Jahre alt, erste Aufnahmen von Joshua Rifkin oder Andrew Parrott erschienen schon in den 1980er Jahren. Nachdem mittlerweile die h-Moll-Messe (Cantus Cölln), die Johannes-Passion (Jos van Veldhoven) und mehrere Bachkanten (u. a. Sigiswald Kuijken) auf diese Weise erfolgreich aufgeführt und eingespielt wurden, dürfte grundsätzlich unbestritten sein, dass eine solche Interpretation nicht nur historisch, sondern auch musikalisch zu eindrucksvollen Ergebnisse führen kann.

Im Vergleich mit McCreesh geht Ensembleleiter John Butt noch einen Schritt weiter. Denn bei aller Berücksichtigung barocker Rhetorik pflegen McCreeshs Sänger in den Arien durchaus einen eher konventionellen Oratorienton. Vor allem die Soprane und Altistinnen bemühen sich gar nicht erst darum, die Timbres von Knabenstimmen zu imitieren. Der üppige Hall des Aufnahmeortes sorgt auch bei wenigen Ausführenden für ein prächtiges Klangbild, das durch den Einsatz zweier großer Barockorgeln auf sonoren Fundamenten ruht.
Ich war damals von dem Ergebnis sehr angetan und höre die Aufnahme immer noch gerne. Aber die jüngere Produktion übertrifft ihre Vorgängerin, weil sie den historisierenden Ansatz konsequenter und mit mehr Understatement verwirklicht. John Butt setzt auf ausgesprochen schlanke, jugendliche Stimmen, denen es nicht an Dynamik und Farbe mangelt. Zwar verzichtet er auf die heute meist problematischen Knabenstimmen. Sopran und Alt klingen jedoch ausgesprochen knabenhaft, ohne diesen Effekt zu forcieren (abgesehen von kleinen Vokalverfärbungen). Ihr Vibrato beschränkt sich auf das, was zur Ausdruckssteigerung nötig ist, dennoch wirkt nichts piepsig. Vielleicht ist es der Eindruck, dass man nicht den üblichen Profis, sondern virtuosen Laien zuhört, der einen so gefangen nimmt. Der Vortrag ist verblüffend natürlich im Ausdruck. Auf diese Weise dargeboten, klingt Bach schlicht ergreifend schön.
Auf ähnlicher Höhe bewegen sich die Männer, wobei sie sich mit der Aussprache des Deutschen etwas schwerer tun, vor allem das „ch“ rutscht schon mal etwas zu weit nach vorne, das klangvolle „w“ tönt dafür sehr britisch. Aber das sind Kleinigkeiten.
Ihr Ansatz in den Arien ist ebenfalls klar und resonanzreich. Matthew Brooks reifer Jesus agiert recht leidenschaftlich und mit spürbarer innerer Anteilnahme. Brooks verfügt über eine nicht immer ganz sicher fokussierte Stimme, legt in seinen Part aber mehr expressives Gewicht als sein Gegenstück Brian Bannatyne-Scott im II. Chor, der mir z. B. die Arie Gebt mir meinen Jesum wieder doch etwas zu verhalten, mehr flehend als drängend, vorträgt. Nicholas Mulroy hält als Evangelist mit seiner klaren Diktion in etwa die Mitte zwischen der rhetorischen Attacke von Mark Padmore (McCreesh) und dem noblen Ausdruck von Ian Bostridge (Herreweghe).

Stimmig sind die flüssigen, aber unaufgeregten Tempi, die auch in den sensiblen Relationen untereinander harmonieren. Die Interpretation wirkt dadurch sehr geschlossen. Gelungen ist insbesondere der heikle Eingangschor, der weder statisch noch gehetzt wirkt. Sorgfältig wird das Hin und Her von Frage und Antwort zwischen der Tochter Zion und den Gläubigen artikuliert, als dritte Dimension wird der Choral „O Lamm Gottes unschuldig“ hineingewoben. Er gewinnt durch die zwei Ripieno-Stimmen größere Präsenz als bei McCreesh. Auch den Turbae fehlt es nicht an dramatischer Wucht.
Schließlich verbindet sich der präsente und warme Klang der Instrumente aufgrund der hervorragenden Aufnahmetechnik sehr gut mit den Stimmen. Man versteht jedes Wort! Butt vermeidet Zuspitzungen und setzt auf einen organischen Fluss in der Musik. Dadurch unterstreicht er den im Vergleich zur „avantgardistischen“ Johannespassion eher den klassisch ausgewogenen Grundton von Bachs „Großer Passion“.
Übrigens hat Butt sich für die letzte Fassung des Werkes von 1742 entschieden. Eine Besonderheit ist der Einsatz des Cembalos bei Chor II, der auch noch durch eine weitere Gambe verstärkt wird. Für Butt ist das keine Verlegenheitslösung Bachs, weil die zweite Orgel defekt gewesen wäre, sondern ein Mittel zur Klangdifferenzierung. Etwas ungewohnt klingt das schon, zumal das Instrument über keinen besonders starken Ton verfügt. (Über die Disposition erfährt man nichts. Hat Bach da vielleicht an ein Instrument mit kernigem 16-Fuß-Register gedacht?).

Insgesamt eine Einspielung, die mit ihrer unprätentiösen, ausgewogenen und schönen Interpretation Maßstäbe setzt und bei der Geist und Seele gleichermaßen auf ihre Kosten kommen. Ich würde sie auf die berühmte abgelegene Insel mitnehmen und wünsche mir dazu von den gleichen Interpreten eine Einspielung der Johannespassion und des Weihnachtsoratoriums.



Georg Henkel

Besetzung

Nicholas Mulroy, Evangelist
Matthew Brook, Jesus

Susan Hamilton, Sopran
Cecilia Osmond, Sopran
Clare Wilkinson, Alt
Annie Gill, Alt
Malcolm Bennett, Tenor
Brian Bannatyne-Scott, Bass

Duneden Consort & Players

John Butt, Ltg. und Orgel
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