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Reviews

Lambert, M. (Mauillon, M.)

Leçons de Ténèbres (1662)


Info

Musikrichtung: Barock Geistliche Musik

VÖ: 16.03.2018

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2017 / Best. Nr. HMC 902363.34)

Gesamtspielzeit: 104:30

STRENGE EXERZITIEN FÜR DIE KARWOCHE

Die Gattung der Leçons de ténèbres ('Lesungen der Dunkelheit') für die Metten der Karwoche entwickelte sich im Frankreich des 17. Jahrhundert gewissermaßen zum Sakralmusik-Hit. Namhafte Komponisten komponierten auf die düsteren Klagegesänge aus dem biblischen Buch des Propheten Jeremia virtose Musik für die nächtlichen Stundengebete am Mittwoch, Gründonnerstag und Karfreitag. Man änderte sogar die Gottesdienstzeiten, damit das Publikum nicht mitten in der Nacht die Kirche aufsuchen musste bzw. Gelegenheit hatte, möglichst viele Aufführungen verschiedener Werke nacheinander zu besuchen. Darüber geriet der eigentliche Anlass fast in Vergessenheit.

Am Anfang dieser Entwicklung stehen die Leçons von Michel Lambert, dem königlichen Gesanglehrer und Schöpfer zahlloser weltlicher Lieder. Eine erste Serie der 3x3 Leçons entstanden zwischen 1662-1663. Das Manuskript gab bislang einige Rätsel bezüglich der Aufführungspraxis auf:
Lambert griff bei der Vokalpartie auf gregorianische Vorlagen zurück, die er überaus reich mit lange Melismen und Ornamenten auszierte. Diese archaisierende Gesangslinie 'schwebt' gleichsam im 'modernen' harmonischen Klangraum eines begleitenden Basso continuo aus Gambe, Theorbe und Orgel bzw. Cembalo. Die Notation freilich bildet dies nur annähernd ab: Stimme und die instrumentale Begleitung sind nur ungefähr aufeinander bezogen. Das Manuskript diente offenbar den Musikern vor allem als Gedächtnisstütze.

Eine Einspielung mit dem Bariton Marc Mauillon bietet nun einen grundsätzlich überzeugenden Lösungsversuch. Drei Stunden dauerte nach Auskunft der Interpreten ein erster Angang, die Leçon Nr. 1 'durchzuspielen', ein Stück von ingesamt nicht ganz 15 Minuten, weil sich so viele Fragen bezüglich des Zusammenspiels ergaben! Es zeigt sich wieder einmal, das die alte Musik auf vielen mündlichen Konventionen beruhte, die heute mühselig rekonstruiert und mitunter musikalisch intuitiv erspürt werden müssen.
Der Ganze Zyklus dauert in dieser Einspielung rund anderthalb Stunden. Zwischen die Blöcke für die einzelnen Tage wurden von den Interpreten noch eine Hand voll kleine instrumentale Interludien gesetzt. Eine gewisse Monumentalität der Leçons freilich wird dadurch nicht aufgehoben; zum "Durchhören" waren diese Stücke freilich auch nie gedacht, sie hatten ihren Platz in einer bestimmten Liturgie, wo sie eingebunden waren in eine rituelle Dramaturgie.
Marc Mauillon unternimmt mit seiner Interpretation gleichsam den Versuch der Quadratur des Kreises, den liturgischen Zweck und die musikalisch-virtuose Entfaltung der Musik auszubalancieren: Einerseits orientiert er sich am gregorianischen Grundton der Musik, die er ohne rhetorischen Nachdruck, in großer Natürlichkeit und Ruhe eher meditativ dahinfließen lässt. Die Virtuosität ist kein Selbstzweck; vielmehr stehen die ursprüngliche Idee einer musikalischen Lesung biblischer Texte und der Besinnungs- und Bußcharakter im Vordergrund. Andererseits verleiht er der Musik mit seiner zwischen Tenor und Bariton changierenden, hochliegenden und orientalisch gefärbten Tongebung eine diskrete Exotik. Mauillons Begleiter unterstützen diesen Ansatz mustergültig durch ihre sensible Begleitung.

In der richtigen Dosierung und mit Blick auf die ergreifenden Klagegesänge des Jeremias gehört, kann die Musik so eine gewisse hypnotische Wirkung entfalten. Die besondere Stimmfarbe des Sängers klingt auf Dauer jedoch etwas anstrengend (im 17. Jahrhundert übernahmen wohl auch aus den Gründen der Abwechlung je drei Sänger den Vortrag). Auch kann man sich durchaus eine persönlichere, expressivere und sinnlichere Deutung vorstellen, ohne dass der ursprüngliche liturgische Charakter 'überspielt' würde. Klanglich ist die Aufnahme intim und kammermusikalisch, ganz auf das innere Erleben der starken Bilder der biblischen Vorlage hin ausgerichtet.



Georg Henkel

Besetzung

Marc Mauillon, Bariton
Myriam Rignol, Gambe
Thibaut Roussel, Theorbe
Marouan Mankar-Bennis, Cembalo und Orgel
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