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Reviews

Amy Macdonald

Under Stars


Info

Musikrichtung: Pop / Soft Rock

VÖ: 17.02.2017

(Vertigo / Universal)

Gesamtspielzeit: 65:38

Internet:

http://www.amymacdonald.co.uk

Die Presse bezeichnet Amy Macdonald als „Weltstar“ – und wir haben noch nie etwas über sie gebracht! Geht ja mal gar nicht! Zum Glück können wir diesen unhaltbaren Zustand mit Hilfe von Universal Music jetzt ändern. Das hat noch einen positiven Nebeneffekt: Wir erfahren, was Amy Macdonald und Def Leppard gemeinsam haben. Ob man das wirklich wissen will, steht auf einem anderen Blatt... Tja, Mitgefangen, Mitgehangen!

„Ich mache, was mir Spaß macht und den Leuten gefällt.“
Mit diesem Satz fasst die 29-jährige Schottin ihr eigenes Schaffen zusammen. Klingt logisch und scheint auch ganz leicht zu sein, ist aber tückisch wie Treibsand. Ehe man sich versieht, versinkt man, i.e. befindet man sich auf einer nervenaufreibenden Gratwanderung. Ein falscher Schritt, und man stürzt ins Bodenlose, ins Nichts. Wie groß das Risiko ist, kann man mustergültig auf Macdonalds viertem Werk Under Stars nachhören. Die Crux hat sogar einen Namen: Pop. Wer wissen will, worin genau sie besteht, höre sich zuerst „Dream on“ und direkt danach „Prepare to fall“ an – das sind Welten! Diese uneinheitliche Qualität irritiert massiv! Und sie zieht das Album natürlich runter.
Wer dann noch einen Schritt weitergeht und sich – sozusagen zur Kontrolle – Macdonalds Oeuvre in chronologischer Reihenfolge anhört, könnte auf den Gedanken kommen, dass sich die Schottin Massentauglichkeit schon immer mit einer gewissen Beliebigkeit erkauft hat. Diese Erfolgsgarantie ist an sich nichts Verwerfliches, wirkt sich auf Under Stars jedoch zum ersten Mal negativ aus, weil der Schwenk in Richtung Pop abrupt anstatt fließend erfolgte. Wie wir gerade erst bei Linkin Park leidvoll erfahren mussten, ist es immer schlecht, wenn sich eine stilistische Änderung nicht natürlich vollzieht, sondern erzwungen wird, weil eben Zwang dahintersteckt. Zwang und Musik schließen sich gegenseitig aus! Ein Debakel wie bei den US-Bruchpiloten ist bei ihr dennoch nicht zu befürchten, weil Amy weiß, was Leslie West bereits vor bald 50 Jahren erkannte: „Der Schlüssel zum Erfolg ist Dynamik!“ Und sie befolgt diese eherne Regel auch, anstatt sie zu ignorieren.

Wirft man einen prüfenden Blick auf die Reaktionen von Fans und Kritikern, ist dasselbe Phänomen zu beobachten wie bei Def Leppards Hysteria vor 20 Jahren: Diejenigen, die sich Platten kaufen müssen, preisen ein „Meisterwerk“ als „Balsam für das Trommelfell“. Wer sie umsonst kriegt, spart hingegen nicht mit teilweise vernichtender Kritik: „flach“, „seelenlos“, „kalkuliert“ sind nur drei der ungnädigen Adjektive, die über Under Stars ausgekübelt werden. Klingt zunächst gehässig, ist jedoch nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Gleich der Opener „Dream on“ ist als erste Single das Zugpferd des neuen Albums. Auf den ersten Blick eine clevere Wahl, weil es ein perfekter Popsong ist, der unbekümmert auf und ab hüpft. Es ist allerdings bei weitem nicht die stärkste Nummer, auch wenn das Video à la „Kleines Mädchen in der großen, weiten Welt“ sie sogar eine Stufe höher hievt. Ein Knaller! Richtig witzig!!
In die Kategorie „perfekt“ fallen auch „Leap of Faith“ und „Feed my Fire“, aber das ist trotz der angesprochenen Dynamik eben nicht alles.

Insgesamt fehlt zu vielen der elf Songs das Besondere. Vielleicht ist es nur dann ein fester Bestandteil der Komposition, wenn Amy alleine schreibt? Oder liegt es daran, dass ein anderer fester Bestandteil, der liebgewonnene Folk, der so wunderbar zu ihrer Art zu singen passt, plötzlich völlig fehlt?
Beibehalten hat sie glücklicherweise ihre ungewöhnlichen, „schiefen“ Gesangsmelodien. Am Ende war das vielleicht sogar ihr Vorsatz: Ihren individuellen Gesangsstil mit Pop zu verbinden. Davon verrät das ansonsten sehr ausführliche Info leider nichts.
Jedenfalls gelingt es Macdonald, der überwiegend stromlinienförmigen Musik immer wieder Leben einzuhauchen. Beides zusammen funktioniert nicht nur sehr gut, es klingt sogar regelrecht reizvoll, auch wenn ein Kritiker meinte: „Wer Nummer Eins sein will, muss Ecken und Kanten vermeiden.“
Wie sehr das auf das Gros der Musik zutrifft, merkt man an der Dankbarkeit, mit der man kleine Spannungsmomente wie das Lick am Ende der Refrainzeile von „Automatic“ (mit Solo!) oder das klare, U2-mäßige Gitarrenriff am Anfang von „The Contender“ aufnimmt. Wer so etwas sagt, lässt allerdings Macdonalds Gesang außer acht. Ihre Stimme hält sich nicht an Konventionen, schert sich nicht darum, wie die Töne um sie herum klingen. Ihr Instrument ist ihr größter Trumpf, und der sticht immer.

Noch extremer als bei den drei Vorgängern legt Under Stars nach hinten heraus zu (Da schlägt sie voll zu, die angesprochene wechselhafte Qualität...). Zu verstehen ist das nicht, doch ab dem sechsten Stück „Never too late“ (Gesang + Klavier + Streicher = Hammer!!!) spannt diese CD ihre kreativen Muskeln an und macht qualitativ einen wahren Panthersatz nach vorne. Bis dahin hat nur das entrückt-hypnotische „Down by the Water“ mit seinen Gospel-Einflüssen ein echtes Glanzlicht setzen und die hohen Erwartungen erfüllen können.
Aber das von der Serie „House Of Cards“ inspirierte „The Rise & Fall“ und die letzten drei Titel zeigen endlich die Klasse, die das ganze Album haben sollte, zeigen das, was in Verbindung mit der natürlichen Weiterentwicklung möglich gewesen wäre. Ebenfalls nicht schön: Die Songs sind schlicht zu kurz – der „Longplayer“ rauscht im Eiltempo vorbei.

Nicht nur deshalb muss man ebenso wie beim letzten Werk von Sting auch hier unbedingt zur Deluxe-Version greifen. Die enthält acht akustische Live-Titel, darunter sieben von Under Stars. Ich war beim ersten Hören regelrecht geschockt, wie anders, wie zerbrechlich, wie GROSS die neuen Songs plötzlich klingen. Da ist nix mehr mit bieder! Mit einem Mal erkennt man: Die sind ja alle richtig gut! Da steckt ein enormes Potential drin! Als seien sie in den Studiofassungen in eine Verkleidung als Mauerblümchen geschlüpft, reißen sie sich auf der Bühne die Maske herunter und heben stolz und voller Selbstbewusstsein den Kopf. Da klingt die eine, im Studio glattgebügelte Version von „Automatic“ zögerlich, ja ängstlich, vor Publikum dagegen voller Leben. Vital. Pulsierend. „Dream on“ entwickelt gar Klassiker-Ambitionen! Das soll dasselbe Lied sein? Nicht zu fassen!
Spätestens beim abschließenden „I´m on Fire“ ist die Enttäuschung verdaut, die Welt wieder in Ordnung. Macdonalds zweites Springsteen-Cover nach „Dancing in the Dark“ macht dem Boss alle Ehre. Chapeau!

Objektiv hat Amy Macdonald auf Under Stars alles richtig oder zumindest nichts falsch gemacht. Subjektiv fehlen mehr Songs vom Kaliber „Never too late“ und „Prepare to fall“, die den Rest der Platte turmhoch überragen. Ein derart starkes Gefälle wies keiner der Vorgänger auf. Sollte besser nicht zur Gewohnheit werden!
Bemerkenswert: Diese beiden Titel sind als einzige länger als vier Minuten. Zufall?

Die Wertung von 14 Punkten bezieht sich übrigens ausdrücklich auf die Deluxe-Version!



Michael Schübeler

Trackliste

Dream on (3:18)
Under Stars (3:41)
Automatic (3:15)
Down By The Water (3:26)
Leap Of Faith (3:02)
Never Too Late (4:05)
Rise & Fall (3:12)
Feed My Fire (3:14)
The Contender (3:34)
Prepare To Fall (4:27)
From The Ashes (3:35)

Deluxe- und Super-Deluxe-Version:
Live from RAK Studios, London:
Under Stars (Acoustic) (3:42)
Dream On (Acoustic) (3:20)
Prepare To Fall (Acoustic) (4:06)
Leap Of Faith (Acoustic) (3:13)
Automatic (Acoustic) (3:11)
Down By The Water (Acoustic) (3:33)
The Rise & Fall (Acoustic) (3:37)
I´m On Fire (Bruce Springsteen-Cover) (Acoustic) (2:23)

Besetzung

Amy Macdonald (Lead & Backing Voc)
Ben Parker (Electric Git & Backing Voc)
Leo Abrahams (Electric Git)
Ben Mark (Git & Backing Voc)
Cam Blackwood (Git & B)
Cameron Blackwood (Programming, B, Piano, Synth, Electric & Acoustic Git)
Andrew Britton (Git & Keys)
Jimmy Sims (B, Electric & Acoustic Git)
Mikey Rowe (B & Keys)
Keith Prior (D)
Audrey Riley (Cello)
Chris Tombling (Violin)
Alex Thomas (D & Percussion)
Ben Parker (Acoustic Git, Piano & Backing Voc)
Neil Cowley (Piano)
Matthew Racher (D, Percussion & Programming)
Tim Bran (Organ)
Liam Thorne (Cymbals)
Lorna Blackwood (Backing Voc)
Juliet Roberts (Backing Voc)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger