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Reviews

Bach, J. S. (Enders, I.)

Suiten für Violoncello solo


Info

Musikrichtung: Barock Kammermusik

VÖ: 31.10.2014

(Berlin Classics / Edel / 2 CD / DDD / 2012-13 / Best. Nr. 03000552BC)

Gesamtspielzeit: 142:30

Internet:

Isang Enders

AUS DER KLANGSUBSTANZ

Bei seiner Interpretation der sechs Bachschen Suiten für Violoncello solo bekennt sich der sechsundzwanzigjährige Isang Enders zur Subjektivität. Er verfolgt weder einen historisch-informierten noch einen romantischen oder gar einen sachlichen Ansatz, sondern vertraut auf seine musikalische Intution, um seine aktuelle Vision dieses Gipfelwerks der Cello-Literatur zu verwirklichen. Und diese Vision klingt für einen Künstler, der noch relativ am Anfang seiner solistischen Karriere steht, erstaunlich gelassen und frei. Hier muss kein junges Talend draufgängerisch in punkto Virtuosität und technischer Finesse etwas beweisen (was nicht heißt, dass Enders auf virtuoses Spiel verzichten würde, wenn er es für seine Darstellung benötigt); hier muss die Musik auch nicht mit Macht gegen den Strich gebürstet werden, um dem Repertoire noch irgendwelche neuen Hörperspektiven abzutrotzen (was Originalität und Eigenart bei Enders Interpretation keineswegs ausschließt). Hier lässt sich ein Künstler einfach mit Staunen und Respekt, aber auch Selbstbewusstsein auf Bachs geniale Musik ein - und dies mit einer wunderbaren, konzentrierten Ruhe und Klangsinnlichkeit, die sich freilich nicht in Schwelgereien verliert, sondern hellwach auf jede musikalische Bewegung reagiert.

Das Tempo ist biegsam, legt sich bei bestimmten Figuren gleichsam in die Kurve, nimmt sich an anderer Stelle wieder zurück und dies immer ganz organisch. Es ist genügend Zeit und Raum für alles (und es gibt kein Dauervibrato, was den Klang verunklaren würde). Gerade weil die Cello-Suiten nicht die kontrapunktische Dichte der Sonaten und Partiten für Violine solo haben, bieten sie sich für einen solcherart improvisatorisch freien Zugriff an. Das ist zumal bei den Allemanden und Sarabanden von ergreifend kontemplativer Wirkung; die Melodien verströmen sich oft wie ein großer Gesang, ohne dass die weitgespannten Bögen unter dem Gewicht des sonoren, in der Tiefe herrlich resonanzreichen Klangs kollabieren. Auch bei den Tänzen sucht Enders immer, die Musik wie wachsende und atmende Lebewesen aus der Klangsubstanz hervorgehen zu lassen. So scheint die Musik immer neu und frisch aus dem klingenden Moment zu entstehen, wie z. B. bei der Gavotte I&II in der 5. Suite, die sich in empfindlicher Dehnung geradezu auf Zehenspitzen ereignet (wohl die extremste Einzeldeutung auf diesem Album).

Mit der 5. Suite in c-Moll eröffnet Enders seine Einspielung, es folgt die 2. Suite in d-Moll und dann kommen die Dur-Suiten: Nr. 4 (Es), 3 (C), 1 (G) und 6 (D). Der Weg führt also auf CD I kleinschrittig von den harmonisch dunklen und herbstlichen Farben zur II. CD, wo es über die Stufen des Quintenzirkels weitergeht bis zum lichten Finale (das in diesem Fall auch mit besonderem Schwung vorgetragen wird); zwischen den beiden CDs hat Enders wegen der Klangfarbe die Bögen und Saiten gewechselt - ein überzeugendes Arrangement, das seinen überlegten kreativen Ansatz auch in der großen Form spiegelt.
Aufnahmetechnisch ist die Produktion vorzüglich: präsent, warm, natürlich - ohne den für die Cellosuiten oft bemühten Kirchenhall; es ist eben wirklich Kammermusik, die eine gewisse Intimität benötigt. Und der Essay von Kit Amstrong (der übrigens ein herausragender Pianist und auch Komponist ist) überzeugt durch einen frischen, anspruchsvollen Blick aufs Bachs Kompositionen.

Die Aufnahme ist übrigens auch als Drei-LP-Version erhältlich.



Georg Henkel

Trackliste

CD I: Cellosuiten Nr. 5,2 & 4 74:08
CD II: Cellosuiten Nr. 3, 1 & 6 68:22

Besetzung

Isang Enders: Cello aus der Werkstatt von Joseph Gagliano, 1720
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