Musik an sich


Reviews
Charpentier, M.-A. (Daucé, S.)

Pastorale de Noel (H. 483, 483a, 483b) u. a.


Info
Musikrichtung: Barock Geisltiche Musik

VÖ: 28.10.2016

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2015 / Best. Nr. HMC 902247)

Gesamtspielzeit: 81:20



VON INNERER FREUDE UND INNEREM LICHT ERFÜLLT

Im Pariser Palais der kunstsinnigen Maria von Lothringen, dem Hôtel de Guise, konnten sich im 17. Jahrhundert die Künste weit ungezwungner entfalten als in Versailles. So war es ein Glücksfall, dass der damals 27jährige Komponist Marc-Antoine Charpentier 1670 nach einem längeren Aufenthalt in Italien von Mademoiselle de Guise entdeckt und eingstellt wurde.

Das kleine, aber feine Ensemble im Haus der Guise bot Charpentier reiche Möglichkeiten, sein Talent zu entfalten und zu experimentieren. Dem frommen Geist der Mademoiselle de Guise entsprechend schuf er vor allem geistliche Werke. Unter diesen nimmt seine Pastorale su la Naissance de Notre Seigneur Jésus-Christ, die Weihnachtspastorale, noch einmal eine Sonderstellung ein: Das zweiteilige Werk ist eine freie musikalische Meditation über das Weihnachtsgeschehen aus der Perspektive der Hirten, die das Volk der Gläubigen repräsentieren, die die Ankuft des Messias herbeisehnen. Anders als später in J. S. Bachs Weihnachtsoratorium spielt die biblische Weihnachtsgeschichte keine unmittelbare Rolle, sondern liefert nur den Anlass. In den Jahren 1684 bis 1686 entstanden drei Versionen dieses Werks: Der erste Teil blieb unverändert, der zweite Teil wurde neu komponiert, um jeweils einen anderen Aspekt des Mysteriums der Menschwerdung Gottes zu beleuchten.

Die Vielstimmigkeit der alten Meister und die madrigaleske Ausdrucksfülle des Frühbarock, französische Eleganz und italienische Musizierfreude verbinden sich bei Charpentier ganz natürlich: Die pastorale Welt wird im "Orchester" vor allem durch Blockflötenklänge evoziert, dazu kommen zwei Violinen und ein Basso Continuo aus Gambe, Cembalo, Orgel, Laute und Theorbe in wechselnden Verbindungen. Besonders exquisit ist ein instrumentales Zwischenspiel, die Symphonie de la Nuit.
Ebenso nutzt der Komponist alle Möglichkeiten des ihm zur Verfügung stehenden Vokal-Ensembles: Die sechs Singstimmen agieren mal solistisch, mal in Duo-, Trio- oder Chor-Besetzung, oft in Kombination von Solisten und Chor. Häufig ist auch die antiphonale Gegenüberstellung von hohen und tiefen Registern. Wie immer bei Charpentier besticht der reiche Kontrapunkt und die abwechslungsreiche, ausdrucksvolle Harmonik, die sich vor allem in den homophonen Abschnitten entfalten kann.
So gelingt es dem Komponisten, aus den relativ überschaubaren Mitteln ein Maximum an klanglicher und expressiver Vielfalt zu gewinnen - ganz ohne die Pauken und Trompeten, die man ansonsten mit einer weihnachtlichen Festmusik assozieren mag. Der Ton ist im Gegenteil sehr intim, von innerer Freude erfüllt, oft zart, lyrisch und im besten Sinne besinnlich. Die transparenten Texturen scheinen von innen her zu leuchten. Vor allem im ersten Teil denkt man an die Licht-Mystik in den Bildern von Georges de la Tour, auf die auch das moderne Cover der CD anspielt.

Ein besonderer Luxus ist die Aufnahme der Alternativversionen, so dass das Werk in allen Fassungen hier komplett vorliegt. Ergänzt wird das Programm sinnig durch die großen O-Antiphonen, die in der letzten Adventswoche im Stundengebet traditionell auf das Weichnachtsfest einstimmen - auch hier hat Charpentier seine ganze Kunst investiert, um jeder Antiphon ein ganz eigenes "Gesicht" zu verleihen.

Sie erfahren wie die Pastorale eine in jeder Hinsicht exemplarische Wiedergabe durch das Ensemble Correspondances, das sich seit seit seiner Gründung im Jahr 2008 in die Liga der führenden Interpretaten Alter Musik empormusiziert hat. Unter der Leitung von Sébastien Daucé widmen sich die Ausführenden Charpentiers Minaturen mit großer Delikatesse, Tonschönheit und Ausdruckskraft. Die Solisten erweisen sich dabei als nicht minder perfekte Ensemblesänger und umgekehrt. Die Mühelosigkeit in der Tongebung, die Leichtigkeit in der Darstellung und die diskrete Virtuosität sollten nicht darüber hinwegtäuschen, wie genau die Werke erarbeitet wurden und wie viel Feinabstimmung nötig ist, um ein derart "selbstverständliches" Ergebnis zu erzielen.

Eine etwas andere Weihnachtsmusik!



Georg Henkel



Trackliste
01-22 Pastorale su la Naissance de Notre Seigneur Jésus-Christ (1. Version) H.483
23-32 Grandes Antiennes O de l'Avent
33-40 Pastorale, 2. Teil (2. Version) H.483a
40-44 Pastorale, 2. Teil (3. Version) H.483b
Besetzung

Ensemble Correspondances

Sébastien Daucé, Orgel & Leitung


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