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Kriminaltango – Schurken, Schwüles und Spelunken


Info
Musikrichtung: Schlager/ Incredible Strange Music

VÖ: 30.11.2012

(Bear Family Records/ Delta Music)

Gesamtspielzeit: 75:00

Internet:

http://www.bear-family.de


Hazy Osterwalds „Kriminaltango“ war in den 1960er Jahren der Inbegriff an Vorstellungen des Kleinbürgertums von der Welt des Verbrechens, oft aufgeführt in Schlager-Shows des schwarz-weißen Fernsehens, als die Studios noch ziemlich dunkel waren und Kulissen mit überdimensionalen, weißen Kreidezeichnungen oder Drahtgebilden oft nur skizzenhaft angedeutet wurden. Ganze Shows spielten in solchen Spelunken, denn noch sprach man nicht von Lounges. Die Edgar-Wallace-Filme boten die realistischere Optik dazu. Beides lieferte die klischeebesetzten Vorlagen, wie man sich die „Unterwelt“ vorzustellen hatte: Verbrecher traten meist nur nachts auf und hatten leicht erkennbare Augenklappen oder behaarte Bratzen. Heute dagegen scheuen Sie das Tageslicht nicht und sitzen schon mal in Aufsichtsräten. Die feineren Gangster der 1960er waren höchstens zwielichtige Notare oder Leiter von Irrenhäusern.
Oft diente der „Kriminaltango“ als musikalisches Vorbild, z. B. bei der Beckenarbeit, und er gab dem Tango etwas Verruchtes. So ist sein Einfluss auch bei Vico Torrianis „Bon Soir, Herr Kommissar“ noch zu hören. Allen Krimi-Schlagern weitgehend gemeinsam ist das leicht Verdauliche und Humorige wie das Booklet zu Recht beschreibt: „Die Menschen hatten ganz einfach alle Nasen gestrichen voll von den größenwahnsinnigen Kriminellen, die sechs Jahre lang die Welt in Brand gesteckt hatten.“ Und es gab für Verabredungen der Verbrecher noch keine konspirativen Wohnungen, sondern höchstens „Die Spelunke zur alten Unke“, die von Ulknudeln wie Trude Herr besungen wurden. War in den Zeiten von Fritz Langs „Dr. Mabuse“ der Verbrecher mit Weltherrschaftsanspruch noch wie eine Vorwarnung zu Hitler zu sehen und trug teilweise mystische Züge, begegnete man solchen Burschen in Edgar-Wallace-Filmen mit versierter Raffinesse und Albernheiten und in „James Bond“ mit legerer Coolness. Die Krimis waren daher eigentlich zur Hälfte Komödien. Und bestimmte Krimi-Schlager stammten meist aus Edgar-Wallace-Filmen. Dies förderte das Augenzwinkernde der Lieder gewiss. Heute hat die Zahl der Krimis und verwandter Genres im Fernsehen zugenommen, der Humor ist dabei weitgehend dem knallharten Realismus gewichen. Das Lachen, von einem der größten Verbrecher der Geschichte befreit zu sein, ist heute der Angst gewichen, dass der Alltag von Gewalttätern oder Terrorismus übernommen wird und die Politik hilflos zusieht. Nur ist einem da nicht mehr zum Lachen zumute und entsprechend gibt es solche Schlager nicht mehr.
Aus dem Edgar-Wallace-Krimi „Das Gasthaus an der Themse“ stammt nun auch der absolute Höhepunkt aller Spelunkensongs, Elisabeth Flickenschildts „Besonders in der Nacht“. Sie singt nicht, sie haucht, deutet geheimnisvolle Dinge an, die man lieber nicht so genau aussprechen sollte. Man spürt regelrecht die Blicke, die sie dabei wirft. Das ist so perfekt, da fährt es auch dem abgebrühtesten Ganoven in die Glieder und er kuscht lieber. Umwerfend.
Auch aus einem Wallace-Film stammt Tanja Bergs „Soho“ mit verträumtem Saxophon. Hier heißt es: „Hey Du, ich zeig dir wie man küsst, solange du noch am Leben bist!“ oder „Soho – Da fliegt ein Messer durch die Nacht./ Soho – Das war für Sie allein gedacht.“ Na, spätestens jetzt wusste man, Londons Stadtteil Soho ist die Welthauptstadt des Verbrechens (neben Manhattan). Wer traute sich eigentlich da noch hin? Eigentlich ein sehr Tourismus schädigender Song, der zudem nicht alleine blieb. Auch Dietmar Schönherr warnte in „Nacht in Soho“ mit allen gängigen Klischees vor Soho und man setzte etwas zu albern jede Menge O-Töne dafür ein.
Geheimnisvolle Mörder, Schritte in der Nacht, Schüsse aus dem Hinterhalt, aber keiner hat etwas gesehen. Serienmörder wie der „Hexer“ hatten noch eine spielerische Schabernack-Variante im Sinne von Schnitzeljagd. Das war weit entfernt von der heutigen Krimi-Szene voller geisteskranker, blutrünstiger Schwerverbrecher. Die Enkel des Dr. Mabuse lebten sich in den damaligen Texten aus. Der Expressionismus flackert hier ein letztes Mal auf, bevor er vom Augenzwinkern eines Eddi Arendt abgelöst wurde. Der Krimikomödiant stellt sich auf der CD als Detektiv dar, der aber „…hat kein Glück bei den Frauen, dafür wird er viel zu oft verhauen.“ Die bekannteste der Krimi-Albernheiten ist natürlich auch dabei: Bill Ramseys „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“. Dany Mann antwortet ihm alsbald: „Ich lese abends keinen Krimi“, was aber ohne Resonanz blieb. Dazu passt auch der Dialog-Schlager, ein Genre aus den USA, mit kleinen scherzhaften Dialogen zwischen Mann und Frau. Eddie Constantine wurde hier von Elga Andersen aufgefordert, mal wieder ein Ding zu drehen, damit die Dame zu ihrem Verlobungsring kommt. Das Ganze wird bei einem Gläschen Pernot besprochen, den heute wohl auch kaum einer mehr kennt. Scherzhaft geht es meist auf der Kompilation zu. Trude Herr singt: „In der Spelunke zur alten Unke/ sitzt ein Halunke am Klavier/ und spielt bis um Vier.“ Verstimmte Klaviere und knarrende Türen sind da natürlich Pflichtbeilagen. In manchen Texten spiegeln sich gar Vorstellungen wie aus einem Kinderbuch. Im „Gangster Ball“ von Die Sunnys und das Cornel-Trio (was ein schöner Name) feiern Gangster ab und zu einen Ball und dann hat die Polizei Ruhe, weil nirgendwo was geklaut wird. Durch Bill Ramsay erfahren wir aber auch, dass nicht nur die Gangster, sondern auch Scotland Yard Bälle macht, was die „Knick-Knack-Brüder“ (ein noch schönerer Name) für einen Bruch nutzen.
Musikalisch wird sich oft an Bar Jazz angelehnt. Das nährte die Vorstellung von lüsternen Damen in Nachtclubs, die aus strategischen Gründen beim Singen manchen Herren Federboas um den Hals zogen. Vibraphon und chromatische Mundharmonika gehörten wiederum zu den melancholischen Sounds der Ganovenmusik. Von allen Sängerinnen hatte Tanja Berg die vielleicht treffendste und eleganteste Stimme im Genre, Sie klang sehr rauchig, schließlich war sie auch als Jazzsängerin unter dem Namen Ute Kannenberg tätig. Sehr emanzipiert im Sinne dessen, dass auch Frauen mal etliche Herren abmurksen können, kommt Belina daher in „Die Schwarze Witwe“. Musikalische Ausnahmen gibt es bei den Stars der Fernsehserien. Kojak wurde von Wolfgang Sauer schon im Disco-Sound besungen. Die „Kommissar Maigret“-Melodie und die Titelmelodie von „Percy Stuart“, dem James Bond im Vorabendserien-Format, wecken viele Erinnerungen. Und ZDF-Kommissar Eric Ode machte es gleich selbst, den Sänger zu mimen, was aber klang, als wäre es eine Heurigen-Schnulze.
Das 32-seitige Booklet hat wie üblich amüsante Single-Covers, Filmplakate und Star-Fotos zu bieten.



Hans-Jürgen Lenhart



Trackliste
1Kriminaltango, Hazy Osterwald Sextett,
2 Heut' dreh'n wir mal ein Ding Marcel, Eddie Constantine & Elga Andersen,
3 Besonders in der Nacht, Elisabeth Flickenschild,
4 Der King von Soho, Grethe Ingmann,
5 Kommissar Maigret Blues, Ernie Quelle,
6 In der Spelunke zur Alten Unke, Trude Herr,
7 Der Detektiv, Bob Wiedermann,
8 Soho, Tanja Berg,
9 Die schwarze Witwe, Belina,
10 Einsatz in Manhattan, Wolfgang Sauer,
11 Lange Beine, Lange Finger, Tanja Berg,
12 Nachts in Soho, Dietmar Schoenherr,
13 Gangster Ball, Sunnies & Cornel-Trio,
14 Er war ein Teufel, Ricky Shayne,
15 Besonders in der Nacht, Tanja Berg & Mr. Martins Combo,
16 The Woman Is Loose (The Black Widow), Belina,
17 Kommissar Maigret Theme, Ernie Quelle,
18 Tango für den Kommissar, Wolfgang Sauer,
19 Maskenball bei Scotland Yard, Bill Ramsey,
20 Ich bin der Chef vom Detektivbüro 00, Eddi Arent,
21 Percy Stuart, Claus Wilcke,
22 Das ist kein Fall für Scotland Yard, Ben Thomas,
23 Der Major, Sigi Hoppe,
24 Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett, Bill Ramsey,
25 Ich lese abends keinen Krimi, Danny Mann,
26 Ein alter Hase, Eric Ode,
27 Bon Soir, Herr Kommissar, Vico Torriani,

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