Musik an sich


Reviews
Weill, K. (Heras-Casado)

Rise and Fall of the City of Mahagonny


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne Oper

VÖ: 14.10.2011

(BelAir / Harmonia Mundi / DVD / 2010 / Best. Nr. BAC067)

Gesamtspielzeit: 138:00



ENDSPIEL

Nein, hier gibt es nichts zu Lachen und zu Schunkeln: So hart, unbequem und düster, wie Alex Ollé und Carlus Padrissa die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Kurt Weill und Berthold Brecht inszenieren, bekommt der kongeniale Stil- und Genre-Mix etwas von einem Endspiel à la Samuel Beckett. Dass zeitgleich zur Premiere in Spanien die Müllabfuhr streikte, dass es bis zum Himmel stank, ist eine schöne realpolitische Fußnote.
Es ist immer Nacht auf der Bühne. Immerhin erkennt man, dass die Stadt Mahagonny im Grunde eine Müllhalde ist, deren Unrat notdürftig unter Rollrasen aus Kunststoff versteckt wird. Ramponierte Campingmöbel, vermoderte Matratzen und ein gammeliger Getränkewagen müssen reichen. Gegründet haben dieses ortlose Sündenbabel, wo nach Belieben gesoffen, gespielt und gehurt werden kann, drei polizeilich gesuchte Scharlatane: die geschäftstüchtige Witwe Leocadia Begbick (eindrucksvoll: die reife, resolute Jane Henschel), der schmierige Fatty, genannt „the Bookkeeper“ (geckenhaft: Donald Kaasch), und der skrupellose Trinity Moses (diabolisch und viril: Willard White). Mahagonny ist ihre Gelddruckmaschine. Dort versammelt sich bald ein illustres Völkchen aus Huren und Abenteurern. Alles ist erlaubt, keine Schändlichkeit zu verworfen, selbst ein Mord wird toleriert. Es gibt nur ein Kapitalverbrechen: Kein Geld zu haben und seine Rechnungen nicht bezahlen zu können. Genau dies wird dem Holzfäller Jim MacIntyre (im Rohen wie Lyrischen überzeugend: Michael König) schließlich zum Verhängnis.

Ollé und Padrissa machen aus der rabenschwarzen Farce einen düsteren Abgesang auf Kapitalismus und Hedonismus – ein musiktheatralischer Kommentar zur gegenwärtigen Finanzkrise in Spanien und Europa. Ihre Abenteurer sind Banker und Businessmen in graublauen Geschäftsanzügen, die in Mahagonny die Sau rauslassen. Bedient werden sie von spukigen Sozialemuren, die aussehen wie Kriegsopfer nach einem Napalmangriff und wie die Huren direkt aus dem Müll kommen. Dass Mahagonny schließlich in einem apokalyptischen Showdown untergeht, ist da nur konsequent. Unter den weiteren Sänger-Darstellern ragt noch die aufregende, schillernde Jenny Smith von Measha Brueggergosman heraus. Auch ihr gelingt es, die Verkommenheit der Figur nicht bis zur Karikatur zu überzeichnen, sondern mit all ihren Widersprüchen in ihrer Menschlichkeit zu bewahren.
Die düstere Stimmung dieser Produktion wird auch von Pablo Heras-Casado unterstrichen, der Weills hypnotische Ostinati und ohrengängigen Stiladaptionen vom Orchester des Teatro Real und dem Sinfonieorchester Madrid unerbittlich hart und kantig spielen lässt (in der historischen 1956er Produktion unter Wilhelm Brückner-Rüggeberg gibt es mehr Swing, aber weniger Verruchtheit - da ist vielleicht auch die steif und distanziert deklamierte deutsche Sprache vor). Leider ist das Klangbild der DVD etwas stumpf und grau – so als habe man auch hier das Licht runtergedreht. Die Untertitel sind zum Teil fehlerhaft und erschweren das Verständnis.



Georg Henkel



Trackliste
keine Extras
Besetzung

Jane Henschel: Leocadia Begbick
Donald Kaasch: Fatty „the bookkeeper“
Willard White: Trinity Moses
Measha Brueggergrosman: Jenny Smith
Michael König: Jim MacIntyre
John Easterlin: Jack O’Brien / Tobby Higgins
Otto Katzameier: Bank-Account Bill
Steven Humes: Alaska-Wolf Joe

Orchester des Teatro Real
Sinfonieorchester Madrid
Coro Intermezzo

Pablo Heras-Casado: Leitung

Alex Ollé & Carlus Padrissa/La Fura dels Baus: Regie

Andy Sommer: Bildregie



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