Musik an sich


Reviews
Yatsuhashi - Miki – Yoshimatsu u.a. (Nanae Yoshimura)

The Art of the Koto


Info
Musikrichtung: Japanische Musik Koto

VÖ: 18.10.2010

(Celestial Harmonies / Naxos / 4 CD / DDD / 2001-2010 / Best. Nr. 19918-2)

Gesamtspielzeit: 253:11



DIE KUNST DES VERKLINGENS

Das Label Celestial Harmonies sammelt vor allem musikalische Schätze aus aller Welt. Und wenn solch eine Schatzsuche sozusagen erfolgreich in Serie gegangen ist, werden die Einzelveröffentlichungen zum Abschluss häufig in einer preiswerteren Sammelbox angeboten. So auch bei jenen vier CDs, auf denen seit Anfang der 2000er Jahre die Kunst der Koto in einer repräsentativen Auswahl charakteristischer Stücke aus alter und neuer Zeit dokumentiert wurde (sie sind auch noch weiterhin einzeln erhältlich!).

Bei diesem japanischen Instrument handelt es sich um eine sehr große, längliche Zitter, die in alter Zeit von blinden Meistern, heute aber überwiegend von Frauen gespielt wird. Sie ist mit dreizehn, in der modernen Version mit 21 Saiten bespannt. Früher nahm man dafür Seide, heute ein robusteres Nylongewebe, das zudem einen brillanteren und lauteren Ton ermöglicht. Die besondere Klangqualität der Koto ist allerdings erhalten geblieben: ein mineralischer und resonanzreicher, körperlicher Ton, der durch die Zupftechnik – an den Fingern befinden sich Plektren – und das Niederdrücken der Saiten hinter dem Steg subtil moduliert werden kann. Vor allem Letzteres macht den Reiz der Koto aus: Der per se obertonreiche Klang bekommt einen glissandierenden Schweif. Ein auf diese Weise kunstvoll „unscharfer“ Ton verklingt gewissermaßen im Slalom. Das kann man als Ornament verstehen oder – metaphysischer – als dynamische Rückkehr des Tons in jene Stille, aus der er hervorgeklungen ist. Im Verklingen verliert er seine Identität, seine Form.

Vor allem zu Beginn vieler der hier aufgenommen Stücke kann man das hören. Zunächst werden nur vereinzelte Töne angezupft, so dass ein Tonraum und ein rhythmischer Rahmen abgesteckt werden. Darin nimmt das zentrale Motiv des Stücks langsam Form an. Dabei bleibt genügend Zeit, Natur und Gestalt jedes einzelnen Klangs wahrzunehmen und das Spiel von Erklingen, Verklingen und Stille zu verfolgen – das kann man wie einen meditativen Einschwingvorgang hören! Erst nach und nach verdichtet sich das Geschehen und steigert sich zu immer größerer Virtuosität, bevor das Stück zum Schluss wieder in die Ruhe des Anfangs zurückkehrt. Auf dem Höhepunkt scheinen die Finger der Spielerin Nanae Yoshimura geradezu über die Saiten zu fliegen. Harsch geriebene Seiten und Arpeggien sorgen für zusätzliche Farben und Bewegungen. Besonders eindrucksvoll ist das bei Stücken, die für zwei Kotos komponiert wurden (Godan-ginuta auf der 1. CD).
Anders als in der westlichen Musik (zumindest bei Musik seit der späten Renaissance) sind die chinesischen Skalen modal. Die Werke des 16. bis 19. Jahrhundert klingen darum für unsere Ohren „eintönig“ - streng, archaisch, zeremoniös, wie die Gregorianik oder andere mittelalterliche Musik.

Anders dann im 20. Jahrhundert: Hier bringt wohl auch die Berührung mit westlicher Musik einen neuen Reichtum an Ausdruck und harmonischen Bewegungen. Auch die überwiegende Forte-Dynamik der alten Stücke wird flexibler. Neue Zupftechniken und vor allem mehr Saiten und damit Tonstufen sorgen für einen differenzierteren Höreindruck. Manches wirkt dann wie ein zurückübersetztes Stück von Claude Debussy (ich denke da an seine späte Kammermusik, z. B. das eigenwillige Trio für Flöte, Viola und Harfe). Oder anders: Die Entwicklung ist vergleichbar derjenigen von der Ikone zum naturalistischen Porträt. Dabei komponieren die neueren Komponisten ganz bewusst mit den besonderen Qualitäten der Koto; serielle Experimente wie in der westlichen Musik nach 1950 gibt es hier nicht, die Musik bleibt immer fasslich, gleichsam selbsterklärend, selbst da, wo neue Harmonien, Klangeffekte und Instrumentalkombinationen erprobt werden (nebenbei gesagt: wenn es zu westlich „glatt“ wird wie bei einigen Passagen von Within dreams, without dreams von Takashi Yoshimatsu, auf der 4. CD, dann klingt diese neuere Koto-Musik eigentlich am uninteressantesten). Zur Koto treten mit der Zeit auch andere traditionelle japanische Instrumente wie Shakuhachi (Bambusflöte) und Shamisen (Langhalslaute) oder Schlagzeug hinzu. Das Concerto Requiem von Minoru Miki (CD 4) z. B. setzt die alten Instrumente mit durchaus modernem Klangempfinden ein, wenn die Flöten ein melancholisch getöntes Klanggewebe produzieren, in das die punktuellen Klänge der Koto eingewoben werden.
Ungewöhnlich für westliche Ohren ist sicherlich vor allem der Gesang (zahlreiche Beispiele v. a. auf CD 2): für eine weibliche Stimme klingt er ziemlich tief und dunkel; auffällig sind vor allem die Jodler. Freilich ist es eine Sache der Gewohnheit: es klingt fremd, ja „komisch“, weil wir es so nicht kennen. Doch auch die westliche Kunstmusik hat sehr viele unterschiedliche Gesangs- und Interpretationsstile hervorgebracht und manche ältere Schallplattenaufnahme mutet heute genauso fremdartig an wie die fernöstliche Musik. Hat man sich da erst einmal eingehört, dann kann einen der japanische Gesang aber genau so ergreifen.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1: Werke der Edo-Periode 52:83
CD 2: Von Yatsuhashi zu Miyagi 70:00
CD 3: Werke für Nijugen 70:54
CD 4: Werke von Miki und Yoshimatsu 58:54
Besetzung

Nanae Yoshimura: Koto
Ensemble Pro Musica Nipponina



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>