Musik an sich


Reviews
Charpentier, M.-A. (O`Dette – Stubbs)

Acteon u. a.


Info
Musikrichtung: Barock Kammeroper

VÖ: 20.09.2010

(CPO / JPC CD / DDD / 2009 / Best. Nr. 777613-2)

Gesamtspielzeit: 66:19



PRÄGNANTE MINIDRAMEN

Nach den bemerkenswerten Produktionen der Lully-Opern Psyche und Thesée hat sich das Kammerensemble des Boston Early Music Festival jüngst dem weltlichen Schaffen von Marc-Antoine Charpentier gewidmet.
Unter der bewährten Leitung und Mitwirkung der Lautenisten Paul O’Dette und Stephen Stubbs wurde die Miniatur-Tragödie Actéon (H. 481) realisiert. Deren bislang einzige Einspielung stammt von Les Arts Florissants und hat schon einige Jährchen auf dem Buckel (1982), auch aufführungspraktisch hat sich seitdem einiges verändert: Auf der älteren Produktion singt ein männlicher Altus die Hauptrolle, jetzt ist es aufgrund des korrekten tieferen Stimmtons ein hoher Tenor. Aaron Sheehan klingt denn auch männlicher und sinnlicher als seinerzeit der zwar noble, aber knabenhafte Dominique Visse.
Neben Sheehan agiert ein kleines, aber feines Ensemble aus Sänger/innen und Instrumentalist/innen, das den Mythos um den Jäger Acteon zum Leben erweckt, der zur falschen Zeit am falschen Ort (nämlich am Waldbad der prüden Göttin Diana) auftaucht und zur Strafe in einen Hirsch verwandelt wird, der prompt von der Hundemeute zerrissen wird. Charpentier hat diese Tragödie in sechs kontrastreiche Szenen gefasst, in seiner gewohnt farbigen, einfühlsamen Tonsprache. In rund vierzig Minuten gewinnt der freiheitsdurstige junge Jäger ebenso markantes Profil wie die sinnlich-brutale Waldgöttin und das jeweilige Gefolge. Ergreifend die rein instrumentale, an Corelli gemahnende Klage des Acteon nach seiner Verwandlung – das Leiden der stummen Kreatur! - und das große chorische Schlusslamento, das einer richtigen tragédie lyrique alle Ehre machen würde. Kleine Soundeffekte wie das verräterische Knacken des Zweiges und der Einsatz von Schlagzeug bei den kurzen Tanzeinwürfen schärfen das klangliche und dramatische Profil zusätzlich. Die nicht zu trockene Studioakustik gemahnt an den intimen, kammermusikalischen Charakter der Musik und passt nicht minder trefflich zu den beiden anderen Werken auf der CD, der ergreifenden Kantate Orphée descendant aux enfers (H. 471) und der schwung- und effektvollen Bühnenmusik zu La Pierre philosophale (H. 501). Hier zeigen jeweils andere Sänger/innen aus dem Ensemble ihre Kunst in den diversen Rollen; allerdings vermag es Jason McStoot mit seinem hellen, in der Höhe etwas durchdringendem Tenor nicht, den Schmerzenston, mit dem Charpentiers Orpheus den Verlust seiner großen Liebe besingt, wirklich zu beglaubigen. Trotz dieses Abstrichs ist die CD ein gelungenes musikalisches Teamwork. Abgerundet wird diese Einspielung durch die sorgfältige Edition. Hoffentlich währt die Kooperation zwischen dem BEMF und CPO noch lange!



Georg Henkel



Trackliste
1Actéon
2 Kantate Orphee descendant aux enfers
3 Bühnenmusik La Pierre philosophale
Besetzung

Teresa Wakim, Lydia Brotherton, Amanda Forsythe: Sopran
Aaron Sheehan, Jason McStoots, Zachary Wilder: Tenor
Mireille Lebel: Mezzo-Sopran
Douglas William, Olivier Laquerre: Bass-Bariton

Boston Early Music Festival Vocal & Chamber Ensemble

Paul O’Dette & Stephen Stubbs: Laute, Barockgitarre und Leitung




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