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Dresdner Kreuzchor

Uns ist ein Kind geboren (Kreuzchorvespern)


Info
Musikrichtung: Barock

VÖ: 20.11.2009

(Berlin Classcis / Edel / CD / DDD / 2009 / Best. Nr. 0016582BC)

Gesamtspielzeit: 63:33

Internet:

Dresdner Kreuzchor



RUND

Doku-Soaps sind auf allen Kanälen ein sicherer Quotenbringer. Es gibt welche über Gerichtsvollzieher, Trödelmarktexperten, Polizisten, Kindermädchen, Schuldnerberater und viele andere. Meist geht es darum, unter dem dünnen Deckmäntelchen dokumentarischen Anspruchs gefühlige Geschichten zu erzählen - Fremdschämen inklusive. Der MDR wagte sich 2006 an ein anderes Projekt auf dieser Schiene: In acht jeweils knapp halbstündigen Folgen wollte man einen Blick hinter die Kulissen des Dresdner Kreuzchores werfen. Ein merkwürdiger Doku-Soap-Gegenstand - ganz ohne Unterschicht-Bezug und ohne Coolness-Faktor, denn Jungs zwischen 10 und 18 Jahren, die einen Großteil ihrer Zeit der Arbeit an klassischer Musik widmen und dabei die Tradition eines siebenhundert Jahre alten Knabenchores pflegen, dürften gemeinhin weder als Trendsetter noch als Teil bildungsferner Kreise gelten gelten.

Dass die Reihe dennoch zu einem Überraschungserfolg avancierte und daher zwei weitere Staffeln gedreht wurden, verdankt sich der Art, wie Regisseurin Jana von Rautenberg sich dem Thema genähert hat. Natürlich kommt auch sie nicht ohne feste Identifikationsfiguren aus, die im musikalischen und privaten Alltag mit der Kamera begleitet werden. Dies geschieht jedoch ohne jede Bloßstellung und auf stets sympathische, teils sogar recht nüchterne Art, die nur durch die onkelhaften Kommentare des Sprechers aus dem Off unterbrochen wird. Die dauernde Jagd nach dem großen Gefühl, dem ergreifenden Moment und der menschlichen Katastrophe findet man hier nicht. Bemerkenswert ist die Offenheit, mit der die Kruzianer Einblick in ihren Alltag gewährt haben. Ganz uneitel und kein bißchen altklug wirken deren Schilderungen und Betrachtungen über eine Jugend, die besondere Erfahrungen mit sich bringt, aber auch all das, was jeder andere in dieser Zeit ebenso erlebt.
Wir sehen die jungen Sänger dabei auf Proben und in Konzerten, bei der Aufnahmeprüfung und beim Fußballspiel, im Weihnachtsstress und auf Japan-Torunee, in der Freizeit wie in der Schule, beim Zähenputzen und beim Krawattebinden, in ihren Familien und im Speisesaal der Schule, beim Aufwachen und beim Zubettgehen. Kaum ein Moment bleibt unbeobachtet und doch vollzieht sich die Boebachtung immer diskret, im Respekt vor den Personen und nicht zuletzt vor deren Leistungen und der Kunst.
So wird dem Zuschauer der Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen jugendlichem Ringen um Freiheit und den Zwängen des Chor- und Internatslebens tatsächlich nahe gebracht.

Aber es ist nun einmal eine Serie, die massenkompatibel ausfallen musste. Der menschliche Aspekt hat daher klar den Vorzug vor dem musikalischen erhalten. Will sagen, die harte Probenarbeit und die Konzertereignisse spielen nur am Rande eine Rolle. Da wollte man den Fernsehzuschauern wohl nicht zu viel Klassik zumuten.

Zwar nicht die Probenarbeit, aber die Ergebnisse derselben kann man sich aber zum Glück ergänzend per CD nachhause holen. Parallel zur Veröffentlichung der DVD-Box mit allen Folgen der TV-Serie erscheint bei Berlin Classics die erste Ausgabe einer Reihe mit dem Titel "Kreuzchorvespern". Solche Vespern finden wöchentlich in der Dresdner Kreuzkirche statt und sind ein wesentlicher Eckpfeiler der musikalischen Tradition des Chores. Die erste Folge, "Uns ist ein Kind geboren", beinhaltet weihnachtliche Chormusik des 17. Jahrhunderts aus Sachsen. Es ist die Zeit, in der der mehrstimmige Choralgesang protestantischer Prägung mit der barocken Praxis des Konzertierens zwischen Vokal- und Instrumentalpartien zur Synthese gelangt, die schließlich im sogenannten "Geistlichen Konzert" ihren Ausdruck findet. Die Stimmführung ist teils von polyphoner Komplexität, teils noch von der generalbassbegleitenden Monodie geprägt.
Neben bekannten Komponisten wie Schütz, Hammerschmidt oder Knüpfer sind dabei auf der CD auch Werke weniger bekannter Autoren vertreten. Instrumental unterlegt ist das ganze mit einer zwar reichen, aber dennoch zurückhaltenden Begleitung durch die Cappella Saggitaria, bei der passend zum Fest auch Zinken, Posaunen und Flöten zum Einsatz kommen.
Und dass sich all die Mühen und Absonderlichkeiten des Alltags, von denen die Doku-Soap berichtet, lohnen, das wird erst hier so richtig deutlich. Denn noch immer zählt der Dresdner Kreuzchor zu den führenden Ensembles unter der Knabenchören. Ihn zeichnet dabei ein homogener Gesamtklang aus, mit dem Kreuzkantor Roderich Kreile gewissermaßen das Pendant zum Leipziger Streicherklang geschaffen hat: samtig, warm, gerundet, volltönend und ohne die bei Knabenchören häufig anzutreffende Sopranlastigkeit.
Das scheint auf den ersten Blick eher einem romantischen Klangideal zu entsprechen, gibt aber der Alten Musik ein hohes Maß an Wirkmächtigkeit zurück. Sie ist damit nicht mehr nur Gegenstand nüchterner Analyse, sondern wird wieder liturgisches Mittel der Betrachtung, Andacht und Verinnerlichung durch ein berührendes Klangerlebnis. Transparenz und Genauigkeit bleiben dabei keineswegs auf der Strecke. Dass ungeachtet dessen nicht immer alles zu 100% gelingt und gerade in den Solopassagen die ein oder andere Unreinheit einschleicht - wie etwa in Johann Caspar Horen Vertonung der Weihnachtsgeschichte (Track 2) - sieht man deshalb gerne und mühelos nach.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1. Samule Rüling: Machet die Tore weit
2. Johann Caspar Horn: Jesu Geburt - In Feria I. Nativitatis Christi
3. Sethus Calvisius: Freut euch und jubiliert
4. Samuel Seidel: Uns ist ein Kind geboren
5. Heinrich Schütz: Das Wort ward Fleisch
6. Johannn Herrmann Schein: Verbum caro factum est
7. Cornelius Freundt: Wie schön singt uns der Engel Schar
8. Johann Walter: Gelobet seist du, Jesu Christ
9. Thomas Popelius: Virga Jesse floruit
10. Johannes Galliculus: Joseph, lieber Joseph mein
11. Andreas Hammerschimdt: Sei wilkommen, Jesulein
12. Christoph Demantius: Jerusalem gaude gaudio magno
13. Antonio Scandello: Dies sanctificatus illuxit nobis
14. Michael Praetorius: Singet und klingt, ihr Kinderlein
15. Michael Lohr: Das neugeborne Kindelein
16. Sebastian Knüpfer: Ach, mein herzliebes Jesulein

Besetzung

Dresdner Kreuzchor

Cappella Sagittaria

Roderich Kreile: Leitung


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