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Reviews
Rameau, J.-Ph. (Christie - Serban)

Les Indes Galantes


Info
Musikrichtung: Barockoper

VÖ: 07.07.2005

Opus Arte / Naxos
2 DVD (AD 2003) / Best. Nr. OA 0923 D


Gesamtspielzeit: 244:00



QUIETSCHBUNT

Als quietschbunten Bilderbogen hat Andrei Serban Jean-Philippe Rameaus Opern-Ballett Les Indes galantes von 1733 angelegt. Der spätbarocke Kulissen- und Kostümrausch erlebte 2003 an der Opéra National de Paris gleichsam seine Wiedergeburt aus dem Geist des Musicals – was freilich nicht ganz falsch ist. Die Idee, dem spektakelsüchtigen Publikum des 18. Jahrhunderts statt einer langen, verwickelten Operhandlung eine handvoll kurze Entrées anzubieten und diese Clips mit umfangreichen Balletteinlagen anzureichern, erwies sich als ausgesprochen erfolgreich. Und statt der üblichen mythischen Götter- und Heroendramen bevorzugte man jetzt Intrigen im menschlicheren Maßstab. Denn die Phantasie der Rokokogesellschaft zog es in ferne, exotische Landschaften: Projektionsräume für ausgesprochen diesseitige Paradiese.

In Rameaus Vierakter bereist der Zuschauer nacheinander die Türkei, Peru, Persien und Amerika. Amor weist in allen Fällen den Weg. Stets geht es um die Liebe, die nach größeren oder kleineren Hindernissen ihre Erfüllung findet. Dabei haben der Komponist und sein Librettist Louis Fuzelier theatralische Prototypen im Miniaturformat geschaffen: Im Drama vom Großmütigen Türken erweist sich der orientalische Herrscher Osman ähnlich wie später bei Mozart als der wahre Humanist. Die Inkas von Peru inszenieren eine Mini-Tragödie um den Hohepriester Huascar, der sogar einen Vulkanausbruch auslöst, um ans Ziel seiner verbotenen Leidenschaften zu gelangen. Beim persischen Blumenfest ist das Handlungs-Nichts Aufhänger für eine bukolische Ballettpantomime. Die Wilden Amerikas schließlich präsentieren sich in einer Komödie: Das Naturkind Zima lässt sowohl den eifersüchtigen Spanier wie auch den flatterhaften Franzosen abblitzen und entscheidet sich für den unverdorbenen Stammesbruder Adario – das ist Rousseau fürs Theater.

Mit ein wenig Gespür für unsere eigenen, gegenwärtig nicht immer ganz so entspannten Träume vom fernen Orient hätte man aus dieser Vorlage mehr machen können als eine Lido-Show, ohne dem Stück damit gleich seinen pikanten Witz oder die flatterhaften Momente auszutreiben. Naturkatastrophen, kulturelle Verwicklungen, religiöse Spannungen, Genderstudies und Aussteigervisionen – all das ist im Libretto von Les Indes Galantes angelegt. Serban aber setzt ausschließlich auf einen geschmäcklerischen Ausstattungsrausch mit pseudonaiver Ikonographie, ornamentalen Massenszenen und dekorativen Balletten, die sich erst störend und schließlich ermüdend über die Musik legen. Fast immer passiert irgendetwas im Hintergrund. Das geht nicht nur auf Kosten der Dramatik vor allem in den ersten beiden Entrées, auch die Melancholie der Musik wird unter all dem Flitter begraben. Dabei verstand kaum einer mehr von der Flüchtigkeit unserer Traumwelten als der Opernkomponist Rameau.

Les Indes galantes enthält einige der bemerkenswertesten und schönsten Musiken, die Rameau komponiert hat. Dank der vorzüglichen, spielfreudigen Solisten – die Aufführung gönnt sich für jedes Entrée praktisch eine neue Besetzung! – und der elegant-rustikalen Interpretation durch William Christie und Les Arts Florissants kann man sie hier auch mit geschlossenen Augen genießen. Christie folgt im Wesentlichen der Partitur seiner CD-Einspielung von 1990. Während dort das Orchesterspiel vor allem in den Streichern etwas sehr gläsern wirkte, überzeugt die aktuelle Aufführung durch einen körperlicheren, reiferen Klang (wobei die Tontechnik insgesamt die Solist/innen begünstigt) und zahllose schöne Details.
Wie schon bei Les Boreades rundet eine einstündige Dokumentation mit zahlreichen Interviews und Blicken hinter die Kulisse diese Aufnahme ab.
Für die Musik 19 Punkte. Wegen der Inszenierung insgesamt



Georg Henkel



Besetzung

Danielle de Niese – Hébé
Joao Fernandes – Bellone
Verlérie Gabail - L’Amour
Nicolas Chevalier - Osman
Anna-Maria Panzarella - Emilie
Paul Agneu – Valère
Nathan Berg – Huascar / Ali
Jaël Azzaretti – Phani
Francois Piolino – Don Carlos
Richard Croft - Tacmas
Gaële Le Roi – Zaїre
Malin Hartelius - Fatime
Nicolas Rivenq – Adario
Christoph Strehl – Damon
Christophe Fel – Don Alvar
Patricia Petibon – Zima

Chor und Orchester Les Arts Florissants
Ltg William Christie

Andrei Serban – Regie
Blanca Li - Choreographie


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