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Cinderella’s Tom Keifer rockt München




Info
Künstler: Tom Keifer

Zeit: 15.10.2015

Ort: München - Backstage

Internet:
http://www.tomkeifer.com
http://www.facebook.com/TomKeiferOfficial

„Was, Du geht’s auf ein Walt Disney-Musical?“ Das war die Frage einer Arbeitskollegin, nachdem ich ihr meine Abendgestaltung mitgeteilt hatte. Das kann man natürlich so nicht stehen lassen! Nach dem Versuch, sinnvolle Aufklärungsarbeit zu leisten und Begeisterung für diese Band zu vermitteln, ging‘s dann nach Feierabend ab nach München. Das letzte Mal waren Cinderella in der klassischen Besetzung am 18.06.2011 auf dem „Shout It Out Loud Festival“ in Mühlheim an der Ruhr zu sehen. Seitdem haben sie sich in unseren Breitengraden überhaupt nicht mehr blicken lassen. Von daher sind das heutige Konzert und der zweite Deutschland-Gig in Köln Daten mit Seltenheitswert.

Am Backstage angekommen wird ziemlich schnell klar, dass sich das auch etliche andere Konzertbesucher gedacht haben. Die Halle ist gut gefüllt, einige tragen originale Cinderella-Shirts aus längst vergangenen goldenen Tagen und sind wie ich sehr gespannt auf den heutigen Abend. An der Theke komme ich mit zwei urgemütlichen und äußerst sympathischen Fans aus Memmingen und Reutlingen ins Gespräch. Die beiden sind dicke Freunde seit Jugendtagen und fahren sehr oft zusammen auf Konzerte. Sie waren auf einer Kreuzfahrt in Amerika, auf der neben Cinderella auch Great White, Tesla, Firehouse, White Lion und etliche weitere Bands aufgetreten sind, die man in dieser Kombination so bei uns leider nicht oder nur äußerst selten zu Gesicht bekommt. Begeistert erzählen sie davon und zeigen mir Fotos, die sie beim heutigen „Meet And Greet“ mit Tom Keifer geschossen haben. Gekostet hat die „Meet And Greet“-Aktion 150 Euro, was mir persönlich zu teuer gewesen wäre. Aber die beiden sind Die-Hard-Fans der Band und können beim anschließenden Auftritt jeden Song komplett auswendig mitsingen, was mich schwer beeindruckt. Einer der beiden fährt sogar zum letzten Mötley-Crüe-Konzert nach Los Angeles.

So vergeht die Zeit vor dem Konzert wie im Flug. Auf einmal geht das Licht aus und vom Band kommt das Intro der Long Cold Winter-Scheibe. Nun kennt die Begeisterung im Publikum und bei mir keine Grenzen mehr - die Party kann beginnen! Tom Keifer und seine Band steigen gleich in den Song mit ein. Gesanglich bin ich zunächst von Keifer schwer begeistert. Sogar die hohe Kopfstimme sitzt, auch wenn sie natürlich nicht mehr so kraftvoll wie damals klingt. Es ist heiß im Backstage, was sich anscheinend nicht bis zu Tom Keifer herum gesprochen hat. Er hat einen langen Mantel an und einen Schal um den Hals. Bereits nach ein paar Songs läuft ihm das Wasser in Sturzbächen herunter und aus den Ärmeln des Mantels heraus. Dieses Phänomen hab ich bis jetzt nur bei Blackie Lawless von W.A.S.P. gesehen.

Keifer spielt die besten Songs seines jüngsten Soloalbum The Way Life Goes, die vom Publikum ebenfalls frenetisch gefeiert werden und die sich mühelos in die Cinderella-Klassiker einfügen. Der Sound ist gerade was Bass und Schlagzeug angeht etwas zu dick aufgetragen, aber erträglich. Erwartungsgemäß kommen die Cinderella-Songs am besten an. Bei soliden Brechern der Marke „Somebody Save Me“ oder „Shake Me“ steigt die Laune zwangsläufig. Allerdings denke ich, dass es noch eine andere Sache wäre, wenn die Originalmitglieder Eric Brittingham, Jeff LaBar und Fred Coury statt der teils blassen„Mietmusiker“ dabei gewesen wären. Ich habe immer die MTV-Videos im Kopf mit riesigen Bühnen, Posing ohne Ende und waffenscheinpflichtigen Frisuren sowie Outfits im Kopf. Davon ist nicht mehr viel übrig, Keifer muss sichtlich kleinere Brötchen backen. Optisch ist er in die Jahre gekommen und macht einen etwas mitgenommenen Eindruck.

Am wohlsten fühlt er sich, wenn er die großen Arenahymnen hinter sich lassen kann und gemütlich im MTV-Unplugged-Stil seine Barblues-Songs unters Volk bringen kann. Hier muss er nicht so hoch singen, diese Songs kommen viel näher an sein derzeitiges Solo-Material. Dazu passt auch seine aktuelle Band, bei der Paul Taylor an den Keyboards ein überragendes Honky-Tonk-Piano beisteuert. Überhaupt die Balladen: Hier waren Cinderella ganz groß! Wer bei Songs der Marke „Heartbreak Station“ (mein persönliches Highlight des Abends), „Don’t Know What You Got“ oder „Coming Home“ nicht zumindest ein klein wenig sentimental wird, hat ein Herz aus Stein. Getoppt wird das Ganze noch von der Halb-Ballade „Nobody’s Fool“, bei dem Keifer damals seinen ganzen Frust förmlich herausgebrüllt hat.

Die beiden Über-Fans neben mir stecken mich und viele andere mit ihrer Begeisterung an und lassen das Konzert zu einem wahren Erlebnis werden. Die Zeitreise wird nach dem lässigen „Shelter Me“ jäh unterbrochen, da Keifer und seine Musiker danach völlig unerwartet die Bühne verlassen. Zu dem Zeitpunkt sind vielleicht gerade mal 50 Minuten gespielt! Ohne Zugabe geht es natürlich nicht. So kommt die Truppe wieder zurück und spielt doch glatt zwei Coverversionen. „It’s Only Rock N Roll“ von den Stones wäre ja noch zu verschmerzen gewesen. Aber ein ausuferndes „With A Little Help From My Friends“ als Hommage an Joe Cocker hätte ich nicht gebraucht. Von Cinderella gibt es so viele Songs, die man noch hätte bringen können - z. B. „Hot And Bothered“ oder „One For Rock N Roll“. Zum abschließenden „Gypsy Road“ kommt dann noch Toms Ehefrau Savannah Keifer mit auf die Bühne. Sie spielt Tamburin und steuert ein paar Background-Vocals bei.

Nach sage und schreibe 75 Minuten ist dann leider auch viel zu früh Schluss. Tom und seine Musiker verabschieden und bedanken sich beim bestens aufgelegten Münchener Publikum, das zwar nach mehr verlangt aber auch merkt, dass eben nicht mehr geht. Keifers Stimme hat bei „Gypsy Road“ schon deutlich hörbar den einen oder anderen Aussetzer und auch körperlich sieht es so aus, als wenn es ihm völlig reichen würde. Seinen Mantel kann er mit Sicherheit auswinden!

Ich denke, dass es die letzte Gelegenheit war, Tom Keifer bzw. die Cinderella-Songs in Deutschland live zu sehen. Von daher war es sicher ein ganz besonderes Konzert. Allerdings ist Keifers Stimme einfach abgenutzt, es reicht halt leider gerade noch für 75 Minuten.


Setlist:
1. Bad Seamstress Blues / Fallin' Apart at the Seams
2. It's Not Enough
3. A Different Light
4. Somebody Save Me
5. Shake Me
6. Heartbreak Station
7. Don't Know What You Got (Till It's Gone)
8. Nobody's Fool
9. Solid Ground
10. Night Songs
11. Coming Home
12. Shelter Me
13. It's Only Rock 'n' Roll (But I Like It)
14. With a Little Help From My Friends
15. Gypsy Road


Stefan Graßl



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