Musik an sich


Reviews
Cage, J. (Lubimov – Pschenitschnikova)

As it is


Info
Musikrichtung: Neue Musik Kammermusik

VÖ: 24.08.2012

(ECM / Universal / CD / 2011 / Best. Nr. ECM 2268)



DIE STILLE DAHINTER

Einhundert Jahre alt wäre John Cage 2012 geworden. Manfred Eicher und ECM gratulieren dem kurz vor seinem 80. Geburtstag verstorbenen Komponistenphilosophen mit einer angemessen enigmatischen Produktion: As it is heißt das Album. Es ist, was es ist. Oder: Es ist, was man hört. Ein Motto, das über Cage Lebenswerk stehen könnte, insbesondere aber über jenen Stücken, die aus Zufallsoperationen hervorgegangen sind. Diese CD freilich widmet sich vor allem dem Frühwerk des Amerikaners: weitgehend traditionell notierten, aber keinesfalls konventionell tönenden Liedern und Klavierstücken, davon einige für das berühmte Prepared Piano, bei dem Gummistücke und Schrauben zwischen den Saiten dafür sorgen, dass aus dem Flügel ein Tasten-Gamelan-Schlagwerk wird.

Das russische Duo Alexei Lubimov und Natalia Pschenitschnikova haben das Programm offenbar in Erinnerung an Cages ersten Besuch 1988 in der damaligen UdSSR zusammengestellt und widmen sich der Musik mit viel Klangsinn. Vor allem die Klavierstücke verweisen auf Cages große musikalische Inspirationsquellen: Erik Satie und Josef Mathias Hauer. Bei beiden faszinierte Cage die absichts- und richtungslose Monotonie der Musik, in denen sich kein Subjekt ausdrückt, sondern der Klang nichts anderes als sich selbst darstellt. Die Neue Einfachheit des späten 20. Jahrhundert ist in diesen Stücken im Grunde schon längst Geschichte.
Was frappiert, ist die delikate, zerbrechliche Harmonik, die ein Stück wie Dream zum Schweben bringen. Und die Two Pieces for Piano balancieren Klang und Stille in einer Weise aus, wie es auch in den späteren Stücken nach 1950 immer wieder der Fall sein wird. Die im wesentlichen konsonante oder tonale Grundierung der Musik freilich wird ganz vom Komponisten verantwortet – diesen persönlichen Geschmacks-Faktor sollte Cage dann spätestens mit Music of Changes mittels der Zufallsoperationen des daoistischen I Ging ausschalten. Aber noch ist es nicht so weit, und so lauscht man Cages pianistischen Zengärten mit einiger Verzauberung.

Die kurzen Lieder, Raritäten in Cages umfangreichen Schaffen, sind entweder reine Vokalisen, die vom Pianisten durch rhythmische Schläge auf den Klavierkorpus oder präparierte Klänge sekundiert werden (wie in der schamanischen Beschwörung She is asleep) oder auf Worte von Cages literarischen Hausgöttern: James Joyce, Gertrude Stein oder E. E. Cummings komponiert. Auch hier begegnet die ganz eigene Mischung aus Anmut, Einfachheit und Raffinement. Pschenitschnikova androgyne und wandlungsfähige Stimme, die manchmal so gar nicht menschlich klingt, ist für diese Exerzitien die richtige Wahl. Die Musik darf sich aber durchaus rhetorisch gebärden, wie bei den Five Songs nach E. E. Cummings. Vielleicht hat Cage deswegen später einen Bogen um diese Besetzung gemacht. Auch das polyglotte Nowth upon nacht ist mit seinen Pointierungen – Lubimov lässt den Klavierdeckel knallen, die Sängerin befleißigt sich eines stilisierten Schreigesangs - wahrlich kein „stilles“ Stück und eine echte Herausforderung an die Interpreten, jeden Anflug von Lächerlichkeit zu vermeiden (es gelingt in diesem Fall hervorragend, der von Cage geforderte Schock-Effekt stellt sich dadurch allerdings nicht ein).
Und doch bleibt in allen Fällen eine Ahnung für den unbegrenzten stillen Raum, der die Musik umgibt, aus dem sie gleichsam hervorgeht. Damit ist nicht nur das Aufnahmestudio gemeint, es ist mehr ein metaphysischer Raum. Produzent Manfred Eicher und Tontechniker Stephan Schellmann haben dafür Sorge getragen, dass Cages Klänge Luft zum Atmen haben, dass die Resonanzen im Raum des Studios schweben und keine Nuance verloren geht. Ein Cage für feine Ohren. Eine fast schon zu schöne 70minütige Meditation.



Georg Henkel



Trackliste
01 Dream
02 The Wonderful Widow of Eighteen Springs
03 The Unavailable Memory of
04 A Flower
05 Music for Marcel Duchamp
06 Experiences No. 2
07 A Room
08-10 Three Songs
11-12 Two Pieces for Piano
13-17 Five Songs
18 Prelude for Meditation
19 She is Asleep
20 Nowth upon nacht
21 Dream var.
Besetzung

Alexei Lubimov: Klavier / präpariertes Klavier
Natalia Pschenitschnikova: Stimme



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>