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Beethoven, L. v. (Brüggen)

Sinfonien Nr. 1-9


Info
Musikrichtung: Klassik Orchester

VÖ: 20.09.2012

(Glossa / Note 1 / 5 CD / DDD / 2011 / Best. Nr. Glossa 921116)



KEIN NEUAUFBRUCH

Der Niederländer Frans Brüggen war einer der ersten, die es riskierten, die Sinfonien Ludwig van Beethovens mit dem historischen Instrumentarium der Entstehungszeit aufzuführen und einzuspielen. Der Pioniertat der 1980er Jahre folgt nun sozusagen als Frucht des reifen Alters ein Livemitschnitt sämtlicher Sinfonien aus Rotterdam, aufgenommen während einer zyklischen Wiedergabe im Jahr 2011.
Nach Brüggens erstem Wurf haben andere historisch orientierte Dirigenten wie Roger Norrington und John Eliot Gardiner den Impuls aufgenommen – und es ist vor allem Gardiners Produktion aus den frühen 1990er Jahren, die in ihrer Brillanz, Verve und Kraft, aber auch in ihrer philologischen Genauigkeit Maßstäbe gesetzt hat, die bis in den orchestralen Mainstream hinein gewirkt hat. Spieltechnisch und interpretatorisch, z. B. was die Artikulation und Tempi angeht, hat sich der Beethovenklang der konventionellen Orchester hörbar dem historisch informierten Klangbild angenähert.

Umso mehr überrascht, dass Brüggen in seiner neuen Aufnahme eher bedachtsam zu Werke geht. Die Parforceritte mancher Kollegen durch die Partitur macht er nicht mit, die umstrittenen Metronomangaben Beethovens dienen der Orientierung, sie sind nicht das Maß der Dinge. Altersmilde möchte man Brüggens Vorgehen nicht nennen, aber gefährlich, revolutionär, ja verstörend ist dieser Beethoven nun auch nicht. In manchen Momenten bringt dieser verhaltenere Zugriff, der durch ein eher weiches, leicht verhangenes Klangbild unterstrichen wird, wunderbare Ergebnisse. Das Andante molto mosso aus der 6. Sinfonie, der Pastorale, hat man selten so elysisch gehört – berückend!
Doch der durchaus herzhafte, ja burschikose Witz Beethovens kommt da insgesamt zu kurz. Und dann gibt es da auch viele schwerfällig Anmärsche wie das verschleppte Allegretto der 7. Sinfonie, bei der man sich aufführungspraktisch in alte Zeiten zurückversetzt fühlt – und leider sind hier nicht die guten alten Zeiten gemeint. Der skurrile Beginn des Presto der 9. Sinfonie verpufft gar, mit breitem Strich geht es dann weiter zum berühmten Rezitativ, mit dem die Ode an die Freude anhebt (markant: Michael Tews; das sägende Timbre seines Tenorkollegen Marcel Beekman befremdet eher, während die beiden Damen gut harmonieren). Adäquat meistert der Chor seinen extremen Part, ohne die Kraft und Anstrengung ganz vergessen zu machen.

Insgesamt empfiehlt sich diese Neuproduktion eher als Dokument einer eindrucksvollen Musikerkarriere denn als später Neuaufbruch zu Beethovens überwältigenden Sinfonien.



Georg Henkel



Besetzung

Rebecca Nash: Sopran
Wilke te Brummelstroete: Mezzo-Sopran
Marcel Beekman: Tenor
Michael Tews: Bass

Laurens Collegium & Laurens Cantorij, Rotterdam

Orchester des 18. Jahrhundert

Frans Brüggen: Leitung


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