Musik an sich


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Atlantean Kodex: Heavy Metal ist spießig geworden!



Info
Gesprächspartner: Atlantean Kodex (Manuel Trummer)

Stil: Epic Metal

Internet:
http://www.atlanteankodex.de
http://www.myspace.com/atlanteankodex

Wenn man dieser Tage noch unverfälschten und sprichwörtlich „echten“ Heavy Metal möchte, kommt man nicht umhin, seine Blicke etwas tiefer gehen zu lassen. Während „Metal sein“ heute schon fast so etwas wie ein Modeassecoire geworden ist, ist die unverfälschte Lehre im Untergrund nach wie vor äußerst lebendig. Einer der Namen der dort verstärkt auftaucht und als neuer Heilsbringer in Sachen episches Schwermetall gefeiert wird, ist ATLANTEAN KODEX. Ihre Pknacotic Demos wurden sehr gefeiert und man wartete mit Spannung auf das richtige Debüt The Golden Bough. Dass einen hier etwas Starkes erwarten würde, hatte man fast erwartet. Dass das Album dagegen wirklich eines der großen Metalhighlights 2010 werden würde, überraschte dann doch ein wenig. Die darauf zu hörende Musik ist einfach mitreißend in ihrer Bildhaftigkeit und epischen Größe. Ähnliches haben vor einem Jahr ihre Labelkollegen While Heaven Wept mit Vast Oceans Lachrymose geschafft. Hier sind noch Musiker mit viel Herz zu hören, denen es nur um die Musik selbst geht und nicht um Image. Das macht das nun folgende Interview mit Bandgründer und Gitarrist Manuel Trummer schnell klar.



Hallo Manuel! Der Name Atlantean Kodex dürfte nicht allzu vielen ein Begriff sein. Kannst Du die Band kurz vorstellen und etwas über ihre Geschichte erzählen?

Die Band wurde Ende 2005 von Florian (Kreuzer, Bass - Anm.d.Verf.) und mir gegründet. Wir hatten damals das Gefühl, dass nach dem Tod Quorthons (3.6.2004, Kopf hinter Bathory - Anm.d.Verf.) und dem Niedergang Manowars eine gewaltige Lücke entstanden war. Alben wie Into Glory Ride oder Twilight of the Gods waren immer unsere Lieblingsalben. Nun bestand aber keine Hoffnung mehr, dass jemals wieder etwas in dieser Richtung veröffentlicht werden würde. Wir beschlossen daher, die Sache selber in die Hand zu nehmen. Wir hatten dabei zunächst nicht den Plan, die Sachen zu veröffentlichen. Wir wollten die Sachen einfach für uns aufnehmen, weil es genau die Musik war, die wir selbst hören wollten. Nachdem ich ein Lied auf Myspace geladen hatte, war die Resonanz allerdings unheimlich groß und so beschlossen wir, die Sache tatsächlich als Band anzugehen und zumindest die wenigen Songs, die wir hatten, zu veröffentlichen. Das machten wir 2006 mit Phil Swanson als Sänger und 2007 mit Markus Becker als Sänger. Dass wir je ein volles Album aufnehmen würden, hätten wir zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gedacht. Jetzt ist es wirklich irgendwie passiert, aber wie‘s nun weitergeht, steht in den Sternen.

Wie Du gerade schon selbst erwähnt hast, hört man bei Euch durchaus starke Anklänge an alte Manowar, Bathory zu ihrer Wikingerzeit oder Solstice. Worin liegt für Dich der Zauber dieser Bands and warum möchtest Du in deren sprichwörtlichen Fußstapfen treten?

Die alten Manowar-Scheiben und Bathorys Twilight of the Gods sind für mich die Definition von „epischem“ Metal. Das ist erwachsene, starke Musik, sehr narrativ und mit unglaublich dichter Atmosphäre. Musik, die den Hörer einfach überwältigt und ihm eine andere Welt zeigt. Und das ist für mich nicht nur das großartige an episch konzipierter Musik, wie alten Manowar, Bathory, Solstice, Manilla Road, Cirith Ungol oder Warlord, sondern das bedeutende an Heavy Metal insgesamt: die Möglichkeit einer anderen Welt. Solange es Heavy Metal schafft, das zu leisten, bleibt er eine politische und kulturelle Kraft von außergewöhnlicher Wirkmächtigkeit.

Ihr bezeichnet Euren Stil augenzwinkernd als „Regressive Metal“. Warum dieser rückwärts gerichtete Blick in die „gute alte Zeit“ - was ist faul im Staate Heavy Metal heutzutage?

Heavy Metal ist in den letzten 15 Jahren salonfähig geworden. Er biedert sich mit klinisch toten, „sauberen“ Produktionen an eine bürgerliche Klangästhetik an. Er ist zahm geworden, sogar ursprünglich extreme Subgenres wie Death Metal haben sich mit Vorreitern wie Arch Enemy oder In Flames zu einem konformistischen Bauteilelager für den popkulturellen Mainstream gewandelt. Heavy Metal ist spießig geworden. Der Exzess wird misstrauisch beäugt, stattdessen gibt es Kreuzfahrten mit dem Luxusliner, wie die Metal Cruise, und ausgefeilte Programme, um die eigene CD-Sammlung beamtenexakt zu vermessen und zu ordnen. In dieser Angleichung an bürgerliche Wertsysteme verliert Heavy Metal seine politische Kraft. Es repräsentiert nicht mehr die Möglichkeit einer Alternative, sondern ist integriert in bestehende Herrschaftssysteme. Vertritt eine Band nicht diese angeglichenen Normen, etwa durch eine Produktion, die nicht dem standardisierten Klangempfinden entspricht, durch unbequeme Meinungen oder extreme Ansichten, wird sie heute nicht mehr von den traditionellen Gegnern gerügt, der Kirche, der Boulevardpresse, sondern von Leuten aus der Szene selbst. Die Möglichkeit, neue Welten zu schaffen, neue Grenzen auszuloten, neue Lebensstile zu testen - die ursprüngliche Aufgabe von Kunst in unserer Welt - bleibt damit weitgehend auf der Strecke. Heavy Metal soll heute brav und vernünftig sein, ist er das nicht, wird er ins Lächerliche gezogen oder tabuisiert. Die „Wildheit“ im ursprünglichen Sinne, das antiautoritäre und emanzipatorische von Heavy Metal, letztlich auch seine Kreativität, droht dadurch verloren zu gehen. Heavy Metal wird langweilig, oberflächlich und grau.

Im Metal-Underground wurdet ihr mit ziemlich Vorschusslorbeeren aufgrund Eurer Pnakotic Demos versehen. Lässt das einen gewissen Druck entstehen, denn man zu erfüllen hat?

Ja, der Druck war und ist enorm hoch! Wenn von 20 Rezensenten knapp die Hälfte Höchstnoten zücken und de facto keine schlechte Bewertung veröffentlicht wurde, schafft das bei den Hörern eine immense Erwartungshaltung. Gleichzeitig entsteht bei einigen Leuten auch eine ablehnende Haltung im Sinne von „So gut ist die Platte eh nicht“, ohne überhaupt einen Ton gehört zu haben. Gerade im Internet, wo man sich mit abweichenden Meinungen besonders gut profilieren kann, ist das im Moment schon zu beobachten. Gemessen an der Tatsache, dass „The Golden Bough“ unser Debütalbum ist, dass also überhaupt keine Erwartungshaltung bestehen sollte, ist die Druckkulisse der letzten Wochen schon irrsinnig. Dennoch: wir sind unglaublich glücklich darüber, dass offensichtlich sehr, sehr viele Leute - teils mit beträchtlichem Musikwissen und Erfahrung - die Platte qualitativ so hoch einschätzen. Wir freuen uns über jeden Hörer, für den The Golden Bough tatsächlich eine neue Lieblingsplatte darstellt. Es steckt sehr viel Blut und Schweiß in dem Album. Es ist fantastisch, wenn das am Ende honoriert wird.

Das Covergemälde zur CD - Die Toteninsel - stammt von Arnold Böcklin. Wie kamst Du darauf und warum ist es die richtige Wahl für dieses Album?

Böcklin ist seit längerer Zeit einer meiner liebsten Künstler und Die Toteninsel eines meiner Lieblingsgemälde. Wenn Du vor dem Original in der Alten Nationalgalerie in Berlin stehst, wirst Du von der Aura von Melancholie und tragischer Schönheit, die das Bild umgibt, physisch schier überwältigt. Man spürt die Vergänglichkeit und Sehnsucht die das Bild darstellt, förmlich am ganzen Körper. Nicht nur der Bildgegenstand - die alte Welt, symbolisiert durch die Figuren auf dem Boot, verlässt die Moderne in den Westen - schien uns perfekt zur Visualisierung der Musik auf The Golden Bough. Auch die Emotionen, die das Gemälde vermittelt, decken sich mit dem, was unsere Musik leisten soll.

Bereits Euer Demoalbum war äußerst professionell und liebevoll aufgemacht - LP wie CD. Ist es eher so, dass ihr Eure Band dadurch besser präsentieren wollt oder liegt Euch das auch als leidenschaftliche Metalfans selbst arg am Herzen?

Natürlich beides. Es soll zunächst ein stimmiges Ganzes geschaffen werden. Das Visuelle muss mit der gebotenen Musik und den Texten harmonieren. Gerade, wenn es sehr stark um Atmosphäre geht, wie bei uns, dürfen möglichst wenig Brüche im „Gesamtpaket“ existieren. Zum anderen wollen wir den Hörern „value for money“ bieten. Zuletzt ist es für uns einfach undenkbar, monate- oder jahrelang Zeit und Energie in ein Album zu investieren und es dann in einer schludrigen, billigen Verpackung zu verscherbeln. Die Musik hätte dann eine ganz andere Wertigkeit.

Ihr grenzt Euch textlich ab von den typischen Wikinger/Germanen-, Heiden- und Blut-und-Schlachten-Texten. Viel eher gebt ihr Euch mystisch, auf der MySpace-Bandseite gar spirituell. Wie steht ihr persönlich hinter diesen Themen, oder dienen sie mehr als passender Unterbau zur Musik?

Auch hier soll in erster Linie ein schlüssiges Ganzes entstehen. Es wäre nicht möglich, diese Art von melancholischer, starker, narrativer Musik zu spielen und dann Texte über Autos und billige Frauen zu verfassen. Es braucht auch im textlich-konzeptuellen Bereich große Themen, die zum Nachdenken reizen und die Vorstellungskraft anregen. Die Fokussierung auf europäische Mythologie ohne spezifischen historischen Bezug, z.B. zu den Wikingern oder Germanen, ermöglicht es uns, allgemeingültiger zu werden. Mythen sind zeitlos und vielseitig interpretierbar. Jeder, der sich unser Album kauft, wird aus den Texten etwas anderes für sich herauslesen, vielleicht sogar Bezüge zur Gegenwart herstellen. Es geht nicht um „richtig“ oder „falsch“, „historisch exakt“ oder „erfunden“ oder darum ob WIR hinter den Texten stehen. Es geht nicht um uns. Es geht darum, was der Hörer aus den Texten für sich selbst rausholt. Wir schaffen Musik, keine Rätsel.

Das textliche Konzept von The Golden Bough beruht auf den gleichnamigen Schriften von Sir James George Frazer, wonach jede Form von Religion in Europa auf alte magische Kulte und Riten, die bis in die Steinzeit zurück reichen, beruht. Kannst Du unseren Lesern hier einen kleinen Einblick geben, speziell auf die Songs bezogen?

Richtig. Frazer war der Auffassung, dass alle modernen Religionen in Europa und Vorderasien eine gemeinsame Wurzel in neolithischen Fruchtbarkeitskulten hätten. Dieser Ur-Kult drehte sich um die rituelle Opferung eines Heiligen Königs und dessen Wiedergeburt. Frazer versuchte Relikte dieses von ihm angenommenen Kultes in verschiedensten Religionen und Mythologien Europas aufzuspüren. Er war beispielsweise der Auffassung, dass die Kreuzigung Christi und seine Auferstehung genau auf diesen alten Kult von Opferung und Wiedergeburt zurückzuführen sind. Auch die zahlreichen Sagen von Königen oder Kaisern, die in Bergen schlafen, und auf ihre Wiederkehr in Zeiten der Not warten, wären nach Frazer ähnlich zu deuten. „Pilgrim“ z.B. greift dieses Motiv des schlafenden Königs auf. „Temple of Katholic Magick“ zeigt vor dem Hintergrund mittelalterlichen, christlichen Fanatismus‘ die Nähe von Religion und Magie, die Frazer angedeutet hatte. Frazers Werk ist inzwischen natürlich von der Forschung überholt, aber - wie gesagt - es geht uns nicht um historische Fakten oder Wahrheiten, sondern um die Möglichkeiten und Horizonte, die bestimmte Themen bieten.

Im Zusammenhang mit Frazers Theorien schreibst Du von der Begründung einer neuen europäischen Mythologie für das 21. Jahrhundert, als ein Mix aus Religion, Magie und Folklore. Sollte The Golden Bough hierbei ein kleiner Denkanstoß sein oder habt ihr konkrete Vorstellungen?

Nein, es wäre absurd, ausgerechnet von Rockmusikern konkrete politische Vorschläge hören zu wollen. The Golden Bough ist - wie es im Booklet steht - eine „exercise of imagination“. Es soll den Hörer zum Denken anregen, ihn faszinieren. Die Idee einer gemeinsamen Wurzel der europäischen Religionen führt ja weitergedacht zu der Frage, ob es für Europa ein einigendes Band gab, das nationale, ethnische, soziale Unterschiede überwand. Dieses Utopia lässt dann natürlich auch zahlreiche Bezüge zur Gegenwart zu. Aber das sind nur Beispiele, wie die Texte zu interpretieren sind. Jeder soll für sich entscheiden, was die Aussage ist.

Zum Abschluss noch eine etwas einfachere Frage: Wann kann man die Musik von Atlantean Kodex mal wieder live genießen? Eure Konzerte sind ja recht rar gesät.

Wir werden im April auf dem Hammer of Doom V in Würzburg spielen. Darüber hinaus steht noch nichts fest.

Vielen Dank Manuel, für dieses kurze, aber interessante Gespräch!




Mario Karl



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