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Palestrina – de Rore – Desprez u. a. (Sempé)

Antico / Moderno. Ausgezierte Madrigale der Renaissance


Info
Musikrichtung: Renaissance Ensemble

VÖ: 01.10.2009

(Paradizo / Note 1 / CD / DDD / 2009 / Best. Nr. PA0008)

Gesamtspielzeit: 66:24



SUBTILE PREZIOSEN

Repertoirenischen wie diese sind wegen ihrer Anforderungen an Instrumente und Spieltechniken wahrlich etwas für spezialisierte Musiker: Ausgezierte Madrigale der Renaissance. Was – in der deutschen Übersetzung zumal - etwas dröge klingt, ist im 16. Jahrhundert eine ausgesprochen populäre Gattung gewesen. Es handelt sich um instrumentale Bearbeitungen von seinerzeit besonders erfolgreichen Vokalkompositionen, die im Original aus der prominenten Feder von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Cyprian de Rore, Josquin Desprez, Orlando di Lasso, Jacques Arcadelt oder Pierre Sandrin stammen.
Die (klassischerweise) fünfstimmigen Stücke wurden für diverse Instrumentalbesetzungen arrangiert, wobei eine oder alle Stimmen ausgiebig verziert wurden.

Ein solches Diminution (Verkleinerung) genanntes Verfahren transformierte die ursprünglichen „Melodien“ durch eine mitunter ans Wunderbare grenzende Ornamentierung, bei der die ursprüngliche Stimme auseinandergenommen und neu zusammengesetzt wurde, um ihren Ausdrucksgehalt zu verstärken. Es handelt sich also nicht nur um eine Bearbeitung, sondern auch um eine Neufassung. Dieses Vorgehen wurzelte in einer Improvisationspraxis, die unserem heutigen Jazz sehr ähnlich war. Man kann von Glück sagen, dass aus dem 16. Jahrhundert nicht nur theoretische Traktate über die Kunst der Verzierung auf uns gekommen sind, sondern diese „Improvisationen“ auch aufgeschrieben wurden. Selbst wenn die Bearbeiter längst nicht so bekannt wie die ursprünglichen Autoren sind, haben sie doch echte Preziosen geschaffen. Einige davon stellen die Solisten und Ensemblemitglieder von Capriccio Stravagante auf ihrer neuen CD unter dem Titel Antico/Moderno vor.

Virtuosität hin oder her: Diese überwiegend ruhigen Stücke sind noch keine barocken Concerti im Stil von Vivaldi, auch wenn die technischen und musikalischen Anforderungen gewiss ebenso groß sind. Die Fähigkeiten der Musiker treten daher noch nicht so selbstdarstellerisch in den Vordergrund. „Natürlichkeit noch in der größten Künstlichkeit“ lautete damals die Devise. Es geht um die Vollendung melodischer Schönheit durch Zusätze, die gar nicht als solche wahrgenommen werden, sondern wie ein integraler Bestandteil des Originals wirken sollen. Die unendlich variantenreichen Übergänge von einer Note zu nächsten durch Triller, Koloraturen, Vorschläge und anderes sind darum delikat und subtil gestaltet. Und damit die Melodien fließen und atmen können, gibt es auch kein starres Metrum, keine rhythmische Pulsation wie im 18. Jahrhundert.

Capriccio Stravagante tritt unter Führung seiner ersten Musiker in diversen Consort-Besetzungen auf, z. B. Blockflöten- und Gamben-Consort, wobei zu letzterem gelegentlich noch solistische Flöte oder Zink hinzutreten. Andere Stücke werden als Duos präsentiert, z. B. Flöte und Cembalo, oder solistisch aufgeführt (mit einem Virginal).
Die Ergebnisse sind von betörender Schönheit, wobei es schwer fällt, einem der Solisten den Vorzug zu geben: Julien Martin entlockt seinen diversen Blockflöten balsamische Töne, spiritus rector Skip Sempé bringt Cembalo und Virginale zum Singen, Josh Cheatham lässt die Saiten seiner Gambe in sanften, melancholischen Farben glühen. Hervorzuheben ist vielleicht noch einmal Doron Sherwin für seine selbstkomponierten, dabei absolut stilsicheren Versionen für Zink. Dieses hochheikle Instrument, von dem man lange Zeit glaubte, dass darauf kein sauberer Ton möglich sei, klingt bei ihm nicht nur leichtgängig und perfekt, sondern verbreitet goldenen Wohlklang. Mit seinen schwebenden Klangfarben zwischen Trompete und Oboe scheint es nicht ganz von dieser Welt zu sein.



Georg Henkel



Trackliste
1Pulchra es amica mea (bearb. von Francesco Rognoni)
2 Anchor che col partire (Madrigal) (bearb. von Richardo Rogniono)
3 In te Domine speravi (Fassung für Blockflötenensemble)
4 Doulce mémoire (bearb. von Doron Sherwin)
5 O felici occhi miei (Madrigal) (bearb. von Diego Ortiz)
6 O felici occhi miei (Madrigal) (bearb. von Vincenzo Ruffo)
7 Doulce mémoire (bearb. von Jan van Lublin)
8 Doulce mémoire (Fassung für Gambenensemble)
9 L'amor, donna, ch'io te porto (Fassung für Blockflötenensemble)
10 Anchor che col partire (Madrigal) (bearb. von Doron Sherwin)
11 Anchor che col partire (Madrigal) (Fassung für Gambemensemble)
12 Vestiva i colli (Madrigal) (bearb. von Francesco Rognoni)
13 Ben qui si mostra il ciel (bearb. von Girolami dalla Casa)
14 Anchor che col partire (Madrigal) (bearb. von Giovanni Battista Spadi)
15 Cantai mentre nel core (Fassung für Blockflötenensemble)
16 Io son ferito (bearb. von Doron Sherwin)
17 Vestiva i colli (Madrigal) (bearb. von Bartolomeo de Selma y Salaverde)
18 Cantai mentre nel core (bearb. von Andrea Antico)
19 Doulce mémoire (bearb. von Diego Ortiz)
20 Doulce mémoire (bearb. von Diego Ortiz)
21 Susanne un jour (bearb. von Doron Sherwin)
Besetzung

Doron Sherwin: Zink
Julien Martin: Blockflöten
Josh Cheatham: Viola da Gamba
Skip Sempé: Cembalo & Virginal

Capriccio Stravagante


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