Musik an sich


Reviews
Machaut, G. de (Hamon)

Le Remède de fortune


Info
Musikrichtung: Mittelalter Ensemble

VÖ: 18.09.2009

(Eloquentia / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2008 / Best. Nr. EL 0918)

Gesamtspielzeit: 90:00



AUSDRUCKSVOLL UND NUANCIERT

Le Remède de fortune von Guillaume de Machaut, dem ersten „Starkomponisten“ des Mittelalters, ist ein lyrisch-musikalisches Gesamtkunstwerk und zugleich ein Musterbuch der vokal-instrumentalen Genres des 14. Jahrhunderts. Sämtliche Stücke fungieren als musikalische Einlagen zu einer von Machaut verfassten allegorischen Liebesgeschichte. Da finden sich z. B. einstimmiger liedhafter Lai und mehrstimmige Ballade, klagender Complainte oder zyklisches Rondelet. Die Unterschiede bestehen im Wesentlichen im Bau der Strophen, dem Reimschema sowie der musikalischen Gestaltung mit neuem Material oder refrainartig wiederholten Abschnitten. Vor allem die einstimmigen Stücke knüpfen noch einmal an die damals bereits untergegangene mündliche Tradition der Troubadoure und höfischen Minne an, wenngleich kompositorisch verfeinert.

Der junge Tenor Marc Mauillon und der Flötist Pierre Hamon haben sich mit einigen anderen Musikern für eine Gesamteinspielung der Musik des Remède zusammengetan. Das bedeutet unter anderem, dass auf CD I nicht nur der mit 12 Doppelstrophen recht umfängliche Lay Qui n’aroit autre deport, sondern auch sämtliche der 476 Verse (36 Strophen) des Complainte Tieus rit au main qui au soir pleure gesungen werden!
Dessen Dauer von 45 ungeteilten Minuten sind eine echte Herausforderung angesichts der für heutige Ohren so sparsamen Musik. Die formelhaft geführte Stimme des Sängers wird über weite Strecken von nichts als einer Leier begleitet. Eine Beschäftigung mit dem Libretto ist zu empfehlen (leider gibt es nur eine englische Übersetzung des altfranzösischen Textes).

Doch wie ausdrucksstark, mit geradezu hypnotischer Wirkung, wird dieses Stück von Marc Mauillon interpretiert! Trotz der Länge wirkt diese Klage nicht langatmig. Der durch instrumentale Zwischenspiele und deklamatorische Inseln aufgelockerte musikalische Fluss kommt zu keinem Augenblick zum Erliegen. Zumal Machaut mit relativ wenigen Noten nicht nur Ergreifendes auszudrücken weiß, sondern geradezu einen Ohrwurm komponiert hat. Mauillons baritonal gefärbtes, in der Höhe leicht metallisches Timbre erweist sich als sehr wandlungsfähig. Der Sänger versteht sich zudem auf die Kunst der expressiven Nuancierung und emphatischen Auszierung. Wie „kindlich“ rein, im Ausdruck auf „Objektivität“ bedacht hätte man dagegen diese Musik noch vor 25 Jahre musiziert!

Auf CD II gibt es mehr Abwechslung mit den kürzeren Kompositionen des Reméde. Auch hier kann sich das Ohr an edlen Melodien, verfeinert durch orientalisch anmutende Ornamente, erfreuen. Beim temperamentvollen Chant Roial Joye, plaisance, et douce nourreture und der elegischeren Baladelle En amer a douce vie begleitet sich Vivabiancaluna Biffi selbst auf der Leier, sekundiert von Doppel- bzw. Blockflöte. Bei der Balade Dame, de qui toute ma joie vient und der Chanson Baladee (dem Virelai) Dame, a vous sans retollir handelt es sich um ein Vokalquartett bzw. einen Wechselgesang. Beide werden vom Ensemble geschmeidig und klangvoll aufgefasst. Das abschließende ruhige Rondelet Dame, mon cuer en vous remaint ist dann wieder dem Tenor mit Leier und Blockflöte anvertraut.

Liebhaber mittelalterlicher Musik werden bei dieser ebenso sach- wie stilkundigen, vor allem aber künstlerisch sehr ansprechenden Einspielung bestimmt auf ihre Kosten kommen.



Georg Henkel



Besetzung

Marc Mauillon, Vivabiancaluna Biffi, Serge Goubioud, Emmanuel Vistorky: Stimme
Vivabiancaluna Biffi: Leier
Angélique Mauillon: Gotische Harfe
Pierre Hamon: Flöten


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