Musik an sich


Reviews
Rolf Kühn & Tri-O

Close Up


Info
Musikrichtung: Jazz

VÖ: 15.09.2009

(Jazzwerkstatt)

Gesamtspielzeit: 57:50


Als "Personalie der Woche" behandelte die FAZ am 28. September den Grandseigneur der Jazzklarinette, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert: Rolf Kühn. Wolfgang Sander erinnerte in seinem Artikel an die musikalischen Anfänge Kühns, der in der Nachkriegszeit von der Tanzmusik her kam, in Leipzig 1947 im Kurt-Henkels-Tanzorchester spielte, und vor dort erst nach Hamburg und von dort zum RIAS-Tanzorchester wechselte. Im Nachhinein erscheinen auch diese Stationen nur als Zwischenhalt für Rolf Kühn, der angesichts der musikalisch wenig attraktiven deutschen Musikszene dieser den Rücken kehrte und in die USA ging.
Der Weg in die USA sollte sich für Rolf Kühn lohnen. Von 1958 bis 1960 spielte er in der Big Band von Benny Goodman, seines Zeichens ebenfalls Klarinettist. Mit diesem u.a. Erfolgen im Rücken kehrte Kühn wieder nach Deutschland zurück und leitete bis 1968 das Fernsehorchester des NDR, und ist seitdem auch als Komponist von Stücken für Filme und das Theater hervorgetreten.

Am 29. September feiert eben jener Rolf Kühn seinen 80. Geburtstag, und das, so meint man doch wohl, hätte die Gelegenheit sein können, sich einfach feiern zu lassen und mit einem Hauch von Wehmut auf die vergangenen Jahre zurückzusehen. Der Konjunktiv deutet es an: "hätte", denn Rolf Kühn hat seinem 2008 erschienenen Album Rollercoaster ein weiteres Album zur Seite gestellt. Close Up heißt das Werk, auf dem Kühn seine Zusammenarbeit mit jungen Jazzmusikern fortsetzt.

So viel zur Theorie. Wer nun ein gemäßigtes, ruhiges oder gar konventionelles Werk erwartet dürfte aus allen Wolken fallen. Selbst der Jazz-Begriff ist auf Close up nun sehr weit zu verstehen insofern, als dass immer wieder Elemente dieser Kunstrichtung verarbeitet sind. Vielmehr müßte man dieses Opus in eine Schublade mit der weit gefaßten Kategorisierung "Klangwelten" stecken. Die zarte Einleitung in den Opener "29ff" trügt: Die Spannung, die Rolf Kühn seinem Instrument entlockt entlädt sich bald, der Rhythmus bricht und die Musiker treiben sich gegenseitig scheinbar unberechenbar und immer wieder überraschend weiter - beinahe beunruhigend! Zwar findet sich in den letzten Sekunden alles scheinbar harmonisch wieder, der Spannungsbogen hingegen bleibt auch am wiederum fast konventionell wirkenden Beginn von "Spacerunner" aufgebaut - und dieses Mal ist es eindeutig die Klarinette, die in weiten Schwüngen ihre Mitspieler weiter treibt, bevor sie sie dann zum Ende wiederum diszipliniert und zum Thema des Songs zurückholt.
Die Ruhe einer drohenden Gewitterwolke, die darauf wartet, sich zu entladen, strahlt "Mamarazzi" aus, das überwiegend ähnlich reduziert intrumeniert ist wie das folgende, ruhigere "Auf Tauris". "Lifeline" hingegen spielt mit zahlreichen jazz- und swingtypischen Versatzstücken, zerhackt diese jedoch so konsequent, dass man das befremdliche Gefühl bekommt als spiele man eine Schallplatte rückwärts ab.
Wunderschön und leise und zart beginnt "Den Lille Havrue", und nach einer Zeit bekommt der Hörer sogar wieder das Zutrauen, dass nun gerade dieses Stück tatsächlich so bleiben wird; und tatsächlich - und das erscheint nun das wirklich Überraschende! - bleibt dieser Song ein wirklich harmonisches Stück Jazz. Derart in Sicherheit gewiegt wagt man sich an das folgende "D-Train" , doch nur um nach wenigen Momenten in einen Taumel unterschiedlichster Rhythmus- und Tonfolgen gestoßen zu werden, die zu ihrem Ende wiederum in einer Form von wiedererkennbarer Harmonie zu enden, die "L´hibou et le noyeur" leise und sanft aufgreift.
Angesichts von so viel konzentrierter Verunsicherung fragt sich der geneigte Hörer, was ihn wohl am Abschluß dieses Werkes erwarten wird - wenn man hier überhaupt von einem klassischen "Schluß" sprechen möchte, so wenig geschlossen wie das Werk ist! Doch das kurze "Honey suck my Nose" wartet wieder mit wenig befremdlichen Swingversatzstücken auf, fast so, als wollten Rolf Kühn und seine Mitstreiter den Hörer beruhigt entlassen.

Was macht man mit einem Album wie Rolf Kühns virtuosem Werk Close up, das brilliant ist von seiner Klangqualität und phantastisch in seinem künstlerischen und kreativen Niveau? Anhören. Immer wieder neu entdecken. Lieben lernen. Denn im ersten Moment wird Close up dem Hörer diese Nahsicht nicht bieten. Vielleicht noch nicht einmal nach dem 50. Mal...



Andreas Matena



Trackliste
129ff7:53
2 Spacerunner7:04
3 Mamarazzi8:05
4 Auf Tauris5:02
5 Lifeline6:12
6 Den Lille Havrue8:40
7 D-Train8:35
8 L´hibou et le noyeur4:51
9 Honey suck my Nose1:28
Besetzung

Rolf Kühn: clarinet
Ronny Graupe: guitar
Johannes Fink: double bass
Christian Lillinger: drums
Matthias Schriefl: trumpet


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