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Reviews
Diverse barocke Komponisten (Pluhar)

All’Improvviso. Ciaccone, Bergamasche … & un po’ di Follie


Info
Musikrichtung: Alte Musik - Improvisation

VÖ: 01.07.2004

Alpha / Note 1
CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. Alpha 512


Gesamtspielzeit: 51:14

Internet:

L’Arpeggiata



VOM GEIST DER IMPROVISATION – ODER: WAS BAROCK UND JAZZ GEMEINSAM HABEN

Wer die fantastische Vorgänger-Einspielung La Tarantella (Alpha 503) im Ohr hat, der kann sich wahrscheinlich vorstellen, was Christina Pluhar und ihre Mitstreiter/innen an vielfältiger, überraschender Musik aus den barocken Improvisations-Modellen Folia, Romanesca, Bergamasca oder Ciaconna herauszuholen wissen. Da macht es auch keinen großen Unterschied, ob die Stücke von Meistern wie Frescobaldi oder Kapsberger auskomponiert worden sind, oder ob das Ensemble die Musik selbst eingerichtet hat und nach den überlieferten Regeln neue Wege der musikalischen Inszenierung „Alter Musik“ beschreitet.
In jedem Fall swingen die Melodien – meist einfache, ausgesprochen ohrgängige Bass-Formeln – wieder einmal hinreißend auf den historischen Zupfinstrumenten, während darüber die Melodieinstrumente zu immer neue Variationen ansetzten, dabei mal mit, mal gegeneinander musizieren, das Thema fort- und ausspinnend. Zwischendurch stechen markante Soli heraus und verleihen den abwechslungsreichen Besetzungen von Pluhars „Barock-Band“ zusätzliche Würze. Gelegentlich gibt es auch einen einfachen gereimten Text über die Tatsachen des Lebens, der dazu gesungen wird: mal aufgekratzt und launig, mal melancholisch und – wie im Fall eines Schlafliedes – auch verträumt. Mit Marco Beasley und Lucilla Galeazzi hat Christina Pluhar zwei Sänger/innen im Team, die dieser Musik sozusagen jenseits ‚klassisch gebildeter’ Stimmtypen eine sehr eindringliche, alles andere als romantisch-verklärende Note verleihen.

GEWAGT! – GEWONNEN!

„Diesmal ist es aber noch etwas gewagter als bei La Tarantella!“ schrieb mir Christina Pluhar als Vorankündigung zu der neuen Produktion. Das ‚Gewagte’ ist in diesem Fall der Jazz-Klarinettist Gianluigi Trovesi, der in zahlreichen Stücken mit von der Partie ist. Wohlgemerkt: Hier spielt ein Instrument, das im späteren 18. Jahrhundert aus dem barocken Chalumeau hervorgegangen ist und zusätzlich zur Daueranstellung in den klassischen Sinfonieorchestern den erfolgreichen Sprung in die moderne U-Musik geschafft hat, zusammen mit ‚echten alten’ Instrumenten des Frühbarocks. Improvisation und Bearbeitung hin und her: Da gehen bei den Puristen wohl erstmal die Crossover-Warnblinklichter an.

Doch schon beim dem ersten, noch samtig-diskreten Einsatz der Klarinette in Voglio una casa darf man sich wieder entspannen: Das Experiment ist geglückt. Trovesi spielt seinen Part so einfühlsam und durchdacht, dass zu keinem Zeitpunkt das sensible harmonische Gleichgewicht der Musik gefährdet ist. Weder klingt es beliebig noch degradiert die Klarinette (die übrigens nicht in jedem Stück beteiligt ist) die anderen Mitwirkenden auf die reine Begleitfunktion. Das barocke concertare, das Wetteifern zwischen den Musikern, wird hier epochen- und stilübergreifend verstanden: bereichernd, inspirierend, grenzerkundend. Musik nicht als fertiges Werk, sondern als Prozess mit offenem Ausgang. Wahrscheinlich wären die barocken Komponisten, die ja meist auch noch ihre eigenen Interpreten waren, auch auf das Experiment eingestiegen.
Zwar kann und will Trovesi nicht verleugnen, dass sein Instrument einer anderen, im wahrsten Sinne empfindsameren Epoche entstammt, in der man die erregende Archaik der „Alten Musik“ mit ihrem schärfer und individueller timbrierten Instrumentarium hinter sich gelassen hatte. Daran ändert auch der übermütige, manchmal leicht angerauhte Ton nichts, den Trovesi wie Champagner aus einer Flasche schießen lässt. Der Klarinettenklang, dessen Nähe zur menschlichen Stimme Mozart und seine Zeitgenossen so begeistert hatte, ist eben von ganz anderer Natur, als der herbe, rauchige Klang barocker Zinken oder die vibrierende Brillanz des Psalteriums.
Und ich will auch gar nicht verhehlen, dass ich das unwiderstehliche Feuer und die ekstatische Energie von La Tarantella hier etwas vermisst habe - aber das ist freilich auch eine Frage des musikalischen „Ausgangsmaterials“. Derart selbstverständlich und natürlich wie bei All’Improvviso ist der Schritt über die Grenzen der Epochen und Genres hinweg auf jeden Fall nur selten gelungen.

Christina Pluhar fragt sich selbst: „Haben wir das Recht dazu, so etwas zu machen?“ Um gleich darauf die Gegenfrage zu stellen: „Aber die interessanteste Fragen sind doch diese: Was haben wir gemeinsam? Was ist die Essenz von Improvisation? Was können wir voneinander lernen?“

Einige – sehr überzeugende – Antworten darauf wird man auf All’Improvviso finden (und auch in unserem Interview mit der Künstlerin).



Georg Henkel



Trackliste
1«Voglio una casa» - Lucilla Galeazzi/Improvisation03:03
2Folia Improvisation01:47
3Ciaccona - Maurizio Cazzati/Storace/Pluhar03:03
4Romanesca. - Santiago de Murcia/Pluhar02:27
5« Turlurù » (Bergamasca) Pluhar/Trovesi/Beasley/Improvisation04:13
6Folia passeggiata sopra D - Marcello Vitale/improvisation02:40
7Ciaccona – Improvisation01:24
8«Ninna Nanna sopra la Romanesca» - Pluhar/Galeazzi02:44
9Chiacona - Antonio Bertali/Pluhar04:52
10«Se laura spira» (Folia) - Girolamo Frescobaldi/Improvisation03:26
11Toccata - Francesco Lambardi02:23
12Kapsberger - Girolamo Kapsberger/improvisation01:43
13Folias echa para mi Senora Dona Tarolilla de Carallenos - Andrea Falconiero03:46
14Espanoletas - Lucas Ruiz de Ribayaz/Improvisation04:28
15«Cantata Sopra il Passacaglio. Diatonica» - Luigi Pozzi/Improvisation09:15
Besetzung

Christina Pluhar – Barockharfe, Theorbe und Leitung
Marcello Vitale – Chitarra, Barockgitarre
Charles Edouard Fantin – Laute, Barockgitarre, Theorbe
Edin Karamazow – Colascione, Erzlaute
Eduardo Eguez – Barockgitarre
Elisabeth Seitz - Psalterium
Magrit Übellacker – Psalterium
Bruno Cocset – Violoncello
Atsushi Sakai – Gambe
Paulina van Laarhoven – Lirone
Veronika Skuplik – Violine
Doron Sherwin – Zink
Gebhard David – Zink
Richard Myron – Kontrabass
Michele Claude – Schlagzeug

Sowie:
Gianluigi Trovesi – Klarinette
Marco Beasley – Gesang
Lucilla Galeazzi – Gesang


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