Musik an sich


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Marc-Antoine Charpentier

Musique Sacree


Info
Musikrichtung: Barock / Instrumental

VÖ: 06.10.2003

DG Archiv / Universal


Internet:

Klassikakzente
Charpentier-Produktion



Jubelfanfaren und anderes

Reinhard Goebel ist immer für eine Überraschung gut. Gerade wähnte man ihn noch mit seiner rundumerneuerten Musica Antiqua Köln mit der nächsten Folge seiner Bachiana und der Vorbereitung des Biber-Jubiläums im nächsten Jahr beschäftigt, da legt er plötzlich eine Aufnahme mit französischer Barockmusik vor!

Dazu muss man wissen: Vor vielen Jahren hat Goebel einmal gesagt, dass diese Musik langweilig sei! In Frankreich hat man ihm das nicht vergessen: Dort echauffierte man sich, als er 2000 zum Lully-Film 'Der König tanzt' von Gérard Corbiau den Soundtrack mit Originalwerken vom Gottvater der französischen Musik beisteuerte (DG 471 142-2). Seine Einspielung war alles mögliche - nur nicht langweilig. Ob Goebel bei Lully auf den Geschmack gekommen ist?

FRANZÖSISCHES

Nun, die neue Produktion ist ausschließlich geistlicher Instrumentalmusik von Marc-Antoine Charpentier (1643-1704) gewidmet. Auch da stehen im kommenden Jahr Jubelfeiern zum 300. Todestag an.

Entscheidend für die Wahl Charpentiers dürfte indes sein, dass seine Kompositionen originell und von hoher Qualität sind. Millionen von Fernsehzuschauern werden das bestätigen: 1953 wählte man die eröffnende Fanfare von Charpentiers Te Deum für die Eurovisions-Hymne. Dabei blieb es dann auch erstmal.

Inzwischen hat sich das geändert: Vor allem der gebürtige Amerikaner William Christie und sein Ensemble Les Arts Florissants haben sich in den letzten 20 Jahren um die Wiederentdeckung von Charpentiers Musik sehr verdient gemacht. Jüngst hat Hervé Niquet mit dem Concert Spirituel eine Reihe bemerkenswerter Aufnahmen vorgelegt.

Gegen den schlanken, tänzerischen und delikaten Klang der französischen Musiker setzt Goebel mit seiner Musica Antiqua Köln eine Interpretation, die die langjährige Beschäftigung Goebels mit deutschen und italienischen Komponisten des Barock nicht verleugnet: Mit breitem Strich, kraftvoll und virtuos, farbig und intensiv, dabei von bewundernswerter Homogenität und Durchhörbarkeit.

RARITÄTEN

Unüberhörbar ist, dass Goebel und seine Musiker Charpentiers nicht gerade simpel gestrickte Musik schätzen, selbst wenn ihr kerniger Ansatz nicht besonders französisch anmuten. Sie bieten dem Hörer einige bisher vernachlässigte Schätze aus Charpentiers Oeuvre, die seine Originalität eindrucksvoll unter Beweis stellen.



Da sind nicht nur die beiden prächtigen paukengestützten Fanfaren, die das Programm eindrucksvoll rahmen (H. 547/1 u. 2) - Schwesterwerke der "Eurovisions-Hymne". Da gibt es auch eine umfangreiche Messe pour plusieurs instruments au lieu des orgues (H 513) zu hören. Es handelt sich um die Übertragung einer klassischen französischen Orgelmesse auf ein reich besetztes Orchester. Die Abschnitte sind jeweils recht kurz, aber ausgesprochen kunstvoll gearbeitet. Im raschen Wechsel mit schlichten gregorianischen Gesängen (tadellos: die Herren des Vokalensembles Köln) ergibt sich ein faszinierendes Hörerlebenis. Zumal Charpentier offenbar den Ehrgeiz hatte, auf kleinstem Raum eine Maximum an Motiven, Satztechniken und Klangfarbenkombinationen zu präsentieren.

Auch die einzigartigen Prozessionsmusiken der Symphonies pour un reposoir (H. 508 u. 515), die wohl bei der Zurschaustellung der "Dornenkrone Christi" in der Sainte Chapelle erklangen, fesseln durch ihren Einfallsreichtum: die kühne Harmonik, die immer neuen melodischen Wendungen, die pulsierende Rhythmik. Diese glanzvollen Miniaturen scheinen wie geschaffen für die Chapelle mit ihrer himmelstürmenden Gotik und den herrlichen Glasmalereien.

Bei diesen und anderen, kleineren Werken ist der streng-zeremonielle Ton kirchlicher Festmusik stets präsent. Mitunter verstärkt die Interpreation von MAK die latente Monumentalität einiger Werke noch. Dennoch ist die Musik so autonom, dass man sie auch ohne den liturgischen Rahmen genießen kann.

Das ausdrucksvolle Concert pour quatre parties de violes H. 545, das William Christie bei anderer Gelegenheit von einem Gambenenquartett so wunderbar sensibel, fast entrückt ausführen ließ (Erato 3984-25485-2), gewinnt in der "orchestralen" Besetzung Goebels mit 5 Violinen, 6 Violen und Basso Continuo einen ungleich pathetischeren, auch erdenschwereren Ausdruck. Eine überzeugende Alternative.

JUBILARISCHES

MAK wird in diesem Jahr 30 Jahre alt und ist seit 25 Jahren bei der DG Archiv exklusiv unter Vertrag. Gerade wurde er verlängert. So gibt es für Reinhard Goebel gleich ein doppeltes Jubiläum zu feiern. Die schmetternden Trompeten des eröffnenden Marche de triomphe sind diesem Anlass ebenso angemessen, wie die beeindruckende Interpretation in vorzüglicher Tonqualität. Wer davon nicht genug bekommen kann: Eine umfangreiche Bonus-CD bietet einen Querschnitt durch 25 Jahre MAK.



Georg Henkel



Trackliste
01 Marche de triomphe H. 547/1 02:25
02-05 Messe pour plusieurs instruments au lieu des orgues H. 513 21:23
06 Fanfare à 2 trompettes 00:27
07 Offerte pour l'orgue et puor les violons, flûtes et hautbois H. 514 03:05
08-12 [Symphonies] pour un resposoir H. 508 10:15
13 Ouverture pour l'église H. 524 02:30
14-17 Symphonies pour un resposoir H. 515 09:47
18 Offerte non encore exécutée H 522 03:17
19-24 Concert pour quatre parties de violes H. 545 09:05
25 Pour un reposoir: Ouverture dès que le procession parait H. 523 03:28
26 Second air de trompettes 03:20
Gesamtspielzeit 71.09


Besetzung

Musica Antiqua Köln
Vokalensemble Köln
Ltg. Reinhard Goebel


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