Musik an sich


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Giovanni Bononcini

La Nemica d amore fatta amante


Info
Musikrichtung: Barock / Serenata

VÖ: 10.2003

Zig Zag Territories / Audiophile Sound


Internet:

Ensemble 415



Und ewig lockt Arkadien

EROTIK DER MUSIK

Wie Tirsi seufzt, wie er begehrt, wie er schmachtet! Endlich ist der edle Hirte am Ziel seiner Sehnsüchte: Die schöne Nymphe Clori erwidert seine bislang verschmähte Liebe! "Ich denke an Dich, meine Gunst hat Dich viel schöner und weniger hochmütig gemacht; wer hätte gedacht, dass man die strenge Clori so besänftigen kann." Auf Italienisch klingt das natürlich gleich viel poetischer: Pur ti riveggio ancor / piu bella a mio favor, / e meno altera; / chi mai credéa così / che si placasse / un die così Clori severa.

Aber erst, wenn es so in hinreißend sehnsuchtsvolle Moll-Töne gesetzt ist, wie in Govanni Bononcinis (1670-1747) "Serenata à tre" von 1693, und vor allem so betörend gesungen und musiziert wird, wie vom Altisten Martin Oro und dem Cellisten Gaetano Nasillo, ist man als Zuhörer einfach hin und weg! Vor allem der unendlich gehaltene Ton auf dem letzten 'a' von "altara", umspielt vom Cello, ist an Sinnlichkeit schwer zu überbieten. Improvisierte Auszierungen der Singstimme und die wunderschön dissonanten Vorhalte des Cellos bei der Wiederholung steigern den Effekt noch. Erst ganz zum Schluss setzt auch der Rest des Ensembles noch einmal mit dem Ritornell ein und trägt Sänger (und Zuhörer) einfach davon. Ist das Erotik in der Musik? Das muss sie sein!

INSPIRIERTE KONVENTIONEN

Es macht überhaupt nichts, dass die "Handlung" dieser Mini-Oper keinerlei Geheimnisse und Überraschungen birgt, sondern denkbar konventionell gestrickt ist: Clori und Tirsi gehören zum Standardpersonal pastoraler Barock-Dichtungen und bevölkern die Musik vom Madrigal bis zur Rokoko-Romanze. Beide repräsentieren das ewige Liebespaar, dass sich nach einigem Hin und Her am Ende stets kriegt. Als dritter im Bunde sorgt der eifersüchtige Satyr Fileno für den nötigen dramatischen und musikalischen Kontrast. Während Nymphe und Schäfer bereits durch die benachbarte Stimmlage (Sopran und Altus) als Paar charakterisiert sind und auf einer gemeinsamen Welle der Hingabe singen (man höre nur das Duett Per te teno - "Für dich sterbe ich, für dich leide ich, schönste Freude meines Herzens, mein geliebter Schatz"), darf Fileno gelegentlich mit seinem Bariton und akkompagniert von harschen Streicherfiguren dazwischenfahren. Doch das sind nur Episoden, in der Welt von Clori und Tirsi überwiegt das Lyrische, Zarte und Verspielte.

Es bleibt an der Musik, Liebe und Leidenschaft der Protagonisten so überzeugend zu zeichnen, dass der Hörer die Frage nach der psychologischen Glaubwürdigkeit der Figuren gar nicht mehr stellt. Das gelingt ihr vortrefflich: Bononcini sorgt dafür, dass Clori, Tirsi und Fileno geradezu zu Inkarnationen bestimmter Gefühlslagen werden. Ardo d'Amore - "Ich brenne vor Liebe", bekennt Clori zu Beginn - und singt es dann in immer neuen Variationen aus, für sich und für den Hörer.

Adriana Fernandez' glockenheller, leuchtender Sopran ist für diese Partie wie geschaffen. Im - von einigen Höhenschärfen abgesehen - schön timbrierten Alt von Martin Oro hat ihre Stimme einen sensiblen, im jugendlichen Bariton von Furio Zanasis einen virilen Gegenpart. Den vokalen Höhenflügen angemesssen ist auch das Spiel des Ensembles 415 unter Chiara Banchini. Wie das ganze Werk wie aus dem Nichts mit einem Arpeggio auf der Theorbe anhebt und gleichsam in die eröffnende Sinfonia hineingleitet, ist ein Kunststück für sich. Das steht so nicht in den Noten, sondern ist eine Frage der Interpretation. Überhaupt spüren Banchini und ihre Musiker den feinen Schattierungen der Partitur Bononcinis mit Sinn für die Gestaltung der Affekte und dramatischen Spannungsbögen nach. Nichts wirkt einfach so runtermusiziert. Ihr leichtes und bewegliches, dabei präzises Spiel trägt die Sänger wie auf Flügeln. Abgrundet wird das Ganze durch eine präsente, diskret hallige Kirchen-Akustik.

Ich muss zugeben: Das alles hatte ich so nicht erwartet, trotz der prominenten Musiker. Komponist und Gattung versprachen wohlklingende barocke Dutzendware für den schnellen Verbrauch: gespielt, gehört, vergessen. Doch wenn die strapazierten Konventionen wie in diesem Fall arrangiert werden und eine derart inspirierte Interpretation erfahren, dann gebührt ihnen das Prädikat: meisterlich.



Georg Henkel



Trackliste
1-35 La nemica d'amore fatta amante 68:32
Besetzung

Adriana Fernandez (Sopran)
Martin Oro (Altus)
Furio Zanasi (Bartion)
Ensemble 415
Ltg. Chiara Banchini


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