Musik an sich


Editorial

Liebe Leser,

die Musikindustrie hat mal wieder ein Hühnchen mit YouTube zu rupfen. Nach einer neuen Studie des Internationalen Dachverbands der Plattenindustrie IFPI nutzen vier Fünftel aller YouTube-Nutzer die Plattform auch, um Musik zu hören, vier Fünftel hiervon wieder nutzen sie vor allem, um gratis bereits bekannte Songs anzuhören, und nur etwas mehr als die Hälfte, um neue Musik kennenzulernen. Häufig laden auch gerade jüngere Nutzer mit entsprechenden Programmen oder Browser-Erweiterungen Stücke und ganze Alben direkt von YouTube herunter. Der IFPI ruft nun danach, dass der Gesetzgeber hier aktiv wird und neue urheberrechtliche Rahmenbedingungen schafft, um der Lage Herr zu werden.

Grundsätzlich haben wir es hier mit einem alten Problem in neuem Gewand zu tun. Schon in den 90ern klagte die Plattenindustrie über die entgangenen Einnahmen zunächst durch die Möglichkeit, CDs zu vervielfältigen, später durch die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Musikstücke als MP3-Dateien auf den Tauschbörsen.

Tatsächlich ist die in weiten Teilen bis heute bestehende Kostenlos-Kultur des Internets zunächst ein massives Problem für die Plattenindustrie gewesen, insbesondere solange diese an kaum noch aufrechtzuerhaltenden Monetarisierungskonzepten festhielt. Es ist letztlich einfach so - und daran wird kein Gesetz etwas ändern können -, dass es heute trivial und schon für Kinder zu bewältigen ist, Kopien von audiovisuellen Medien anzufertigen. Der Versuch, dies zu verhindern, glich einem Kampf gegen Windmühlen. Der Umstieg von Verkäufen auf Dienste war eigentlich eine logische Konsequenz auf die neue Zeit. Gerade jüngeren Hörern geht es mehrheitlich ohnehin meist darum, auf unkomplizierte Weise an die aktuellste Musik zu kommen, welche die Angehörigen ihrer Peergroup eben auch hörten - und auch bei vielen anderen ist dies so.

Viele Musikliebhaber werden weiterhin ihre Alben kaufen, ob in digitaler Form, als CD oder als wieder groß herauskommende Vinylplatte. Der entscheidende Einkommensfaktor für die Musikindustrie war der Musik-Connaisseur jedoch nie, das waren immer die Massenkäufer. Und die werden eben mit einem bequemen Flat-Rate-Service besser abgeholt als mit Kaufpreisen für einzelne Stücke, welche diese sowieso nie zu zahlen bereit waren.

Ist es moralisch falsch, YouTube auf breiter Ebene dazu zu nutzen, kostenlos Musik zu hören, für welche Musiker zu Recht eine Entlohnung erwarten? Ja, das ist wohl kaum bestreitbar. Aber sind für die Plattenindustrie wirklich nennenswert zusätzliche Einnahmen zu erwarten, wenn YouTube in Zukunft restriktiv alle urheberrechtlich lizenzierten Musikinhalte sperrt? Ich denke nicht. Premium-Streaming-Dienste sind bereits jetzt massiv erfolgreich und bescheren allen beteiligten Rekordeinnahmen. Das neue Modell funktioniert. Nur ein kleiner Teil der YouTube-Musikhörer würde tatsächlich dafür bezahlen. Viele sind wahrscheinlich bereits auch Kunden eines Streamin-Diensts und nutzen YouTube nur zusätzlich. Auf der anderen Seite geht die Möglichkeit, vor dem Kauf zunächst kostenlos in neue Musik hineinzuhören, verloren, und niemand kauft schließlich gerne die Katze im Sack.

Doch zur aktuellen Ausgabe:

Wolfgang Giese hat mit den australischen Singer-Songwriter-Talenten von Kaurna Cronin gesprochen, Mario Karl beschäftigt sich anlässlich eines Remasters mit Led Zeppelins Complete BCC Sessions, Norbert von Fransecky erzählt einmal mehr aus seinem Leben mit der CD, diesmal von seiner persönlichen musikalischen Beziehung zu Patricia Kaas, Wolfgang Kabsch setzt mit Piper At The Gates Of Dawn seine Kolumne zu Pink Floyd fort und beschäftigt sich mit den Legendary Pink Dots, die seit Beginn ihrer Karriere vor nunmehr über 30 Jahren stilistisch immer irgendwo zwischen Dark Wave, Psychedelic und etwas ganz Eigenem mäandern.

Dann wäre keine MAS-Ausgabe komplett ohne ein paar Konzertberichte, diesmal vertreten durch Stefan Graßls Schilderung eines leider viel zu kurzen Konzertes von The Golden Earring sowie des möglicherweise letzten Deutschlandkonzertes der Legenden von The Who.

Zur Abrundung gibt es schließlich noch zwei Buchbesprechungen von Ingo Andruschkewitsch, zum einen zur Chor-Notenausgabe zu Sven Helbigs Album I Eat the Sun and Drink the Rain, zum anderen zum Klaviernotenbuch 30 trendige Klavierstücke von Hans-Günter Heumann.

Selbstverständlich hat die aktuelle Ausgabe noch mehr zu bieten, aber stöbert am besten selbst...

Viel Freude beim Lesen wünscht Euch

Euer Linus