Musik an sich


Reviews
Ustvolskaya, G. (Kopatchinskaja, Hinterhäuser, Bieri)

Sonata für Violine und Klavier - Trio für Klarinette, Violine und Klavier - Duet für Violine und Klavier


Info
Musikrichtung: Neue Musik

VÖ: 12.09.2014

(ECM New Series / Universal / CD / 2013 / Best. Nr. ECM 2329)

Gesamtspielzeit: 68:06



RADIKAL

Nur 25 Werke aus ihrem Schaffen ließ die russische Komponistin Galina Ustvolskaya (1919-2006) gelten. Der strenge Blick, mit der sie die Spreu vom Weizen trennte, brachte ein Œuvre hervor, dass in der Musik der 20. Jahrhunderts einzigartig dasteht. Es ist eine Musik der völligen Selbstentäußerung, eine Musik der Klage und des Schmerzes, zugleich der Ausdruck großer Einsamkeit und des Ringens um Wahrhaftigkeit. Dieses Werk konnte so wohl nur unter den Bedingungen des Sowjetkommunismus entstehen: als radikale Absage an die kitischigen "aufbauenden", "volksnahen" und "optimistischen" Lügen, die der Sozialistische Realismus der Kunst abforderte.
Ustvolskayas Musik ist dabei weder im westlichen Sinne "avantgardistisch" noch "formalistisch". Als "traditionell" kann man sie aber auch nicht bezeichnen - eher schon als "archaisch". Auf gewisse Weise spielen technische Verfahren, ein Steckenpferd der Neuen Musik, hier keine zentrale Rolle. Ustvolskayas Musik ist geradeheraus, von granitener Härte. Da gibt es keine Note zu viel. Hochkonzentriert, klar, kompromisslos. Von den kammermusikalischen Besetzungen der vorliegenden Aufnahme lasse man sich nicht täuschen: Es sind stets großdimensionierte, quasi-sinfonische Kompositionen, die lediglich auf ihren elementaren klanglichen Kern verdichtet wurden. Das musikalische Material wirkt oft simpel: Skalengänge, kurze repetitive Gesten verleihen den Stücken ein prägnantes thematisches Profil; sie erinnern an ritualartige Beschwörungen. Zarte einstimmige Linien treffen auf massive Akkordballungen, die sich bis zu gewaltigen schwarzen Clustern verdichten können.

Ein resignativer, um kleine Motivzellen kreisender Tonfall charakterisiert die Sonate für Violine und Klavier von 1952; hier verbleibt die Radikalität noch im Kontext einer relativ traditionellen Sprache. Auch das Trio für Klarinette, Violine und Klavier aus dem Jahr 1949 lässt sich in diesem Sinne hören. Doch im 1964 komponierten Duet für Violine und Klavier kommt es zu expressiven Zusspitzungen in hoher Lage, die dem Hörer buchstäblich wie Messer in die Ohren fahren. Die Musik erstarrt im Gleichmaß ihres Nicht-Rhythmus aus monotonen Schritten. Abgründig weit klafft der Tonraum zwischen der höchsten Lage der Violine und den Basstiefen des Klaviers. Wuchtige Cluster und schrille Akzente prallen zusammen. Damit kein Missverständnis entsteht: Es handelt sich nicht einfach um dissonanten Lärm, sondern um hochkonzentrierte Musik von kristalliner Schärfe. Dieses Werk weist schon auf die späteren Kompositionen und Sinfonien mit ihren extremen Besetzungen und manischen Klangballungen voraus. In all diesen Stücken erweist sich Ustvolskaya als eine Art Umkehr und Buße predigender Savonarola der Musik: Aller Tand, alle scheinbare Eleganz und vordergründige Schönheit, aber auch alle Weinerlichkeit und falsches Pathos werden entlarvt und beiseite gefegt. Gott stellt den Menschen vor sich und fordert Rechenschaft.
Es ist darum nur konsequent, dass Ustvolskaya ihre Musik als "von religiösem Geist" erfüllte geistliche Musik gehört wissen wollte. Ihr Werk hat einen prophetischen Charakter. Und es versteht sich, dass derlei unbequeme Stücke in der Sowjetunion praktisch kaum aufgeführt wurden. Im Westen konnte die Komponistin damit einen gewissen Kultstatus erlangen, wurde als "Frau mit dem Hammer" bewundert und zur "Mystikerin" verklärt - aber ehrlich gesagt: Ustvolksayas musikalischen Mahnreden wirklich zuzuhören und ihre zartgewaltige Botschaft zuzulassen verlangt dem Hörer einiges ab.
Und sie zu spielen, mutet auch den Interpreten viel zu; von ihnen wird totale Hingabe erwartet. Von daher ist es ein Glücksfall, dass diese Aufnahme entstanden ist und die schmale Diskographie bereichert. Markus Hinterhäuser hat bereits in 1990er Jahren eine eindrückliche Einspielung der sechs Klaviersonaten Ustvolskayas vorgelegt (die auch vor den überaus kritischen Ohren der Komponistin bestand). Patricia Kopatchinskajas Geigenspiel ist atemberaubend. Sie findet einen Ton von mitunter abstrakter, nackter Schönheit und Klarheit - und diese unbedingte, sich entäussernde Klarheit und Schönheit, ja Reinheit ist es, die Ustvolskayas Musik trotz aller nachtschwarzen Momente immer wieder fordert. Das gilt nicht weniger für den Klarinetten-Part, den Reto Bieri im Trio mit ergreifender Sensibilität darbietet.
Klangtechnisch ist diese Aufnahme mustergültig. Die Begleittexte lassen ebenfalls keine Wünsche offen.
Angesichts dieser Produktion wünscht man sich, dass ECM sich der großen späten Werke Ustvolskayas mit dem gleichen Mut und der gleichen künstlerischen Verantwortung annimmt.



Georg Henkel



Trackliste
1 Sonate für Violine und Klavier 22:35
2-4 Trio für Klarinette, Violine und Klavier 16:11
5 Duett für Violine und Klavier: 29:20
Besetzung

Patricia Kopatchinskaja: Violine
Markus Hinterhäuser: Klavier
Reto Bieri: Klarinette


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