Musik an sich


Reviews
Desprez, J. (Skinner)

Missa D’ung aultre amer, Motteten und Chansons


Info
Musikrichtung: Renaissance Ensemble

VÖ: 01.09.2008

(Obsidian / Note 1 / CD 2007 / Best. Nr. CD701)

Gesamtspielzeit: 68:27



EXEMPLARISCHE ENSEMBLEKULTUR

Neugegründete Klassik-Label besetzten meist Nischen. So auch das britische Label Obsidian, das sich auf Alte Musik spezialisiert hat und bislang mit drei Aufnahmen des Ensembles Almamire unter der Leitung von David Skinner hervorgetreten ist.
Die Einspielung einer Messe sowie Motetten und Chansons des frankoflämischen Komponisten Josquin Desprez zeichnet sich durch ein abwechslungsreich zusammengestelltes Programm mit geistlichen und weltlichen Werken dieses „größten Meisters“ (Martin Luther) aus. Fixpunkt des Programms ist die von Desprez in der Messe und anderen Stücken weiter bearbeitete wunderschöne Chanson D’ung aultre amer von Johannes Ockeghem, die das Programm eröffnet.
Gleich hier setzt das Ensemble einen Akzent, der aufhorchen lässt. Denn in der Regel werden Stücke aus dieser Zeit immer noch hauptsächlich vokal interpretiert, was die auch zur Entstehungszeit gebräuchlichste Praxis war. Es waren aber auch rein instrumentale oder vokal-instrumentale Besetzungen möglich, darunter solche, bei denen lediglich die Oberstimme gesungen wurde, während die übrigen Stimmen einem oder mehreren Instrumenten anvertraut waren.
In diesem Fall „begleitet“ Andrew Lawrence King auf einer exotisch klingenden Renaissanceharfe die Mezzosopranistin Clare Wilkinson, die nicht nur die Chanson Ockeghems, sondern unter anderem auch einen Josquin-Hit wie Mille regretz in einer Version für Solostimme bietet. Dabei klingt vor allem dieses herrliche Stück bei aller Melancholie in dieser Fassung besonders leicht, fast schwebend. Das liegt nicht zuletzt an dem „durchbrochenen“ Duktus der Unterstimmen, die auf der Harfe viel pointilistischer und damit rhythmisch belebter klingen. Wilkinsons Stimme zeichnet sich übrigens nicht durch eine „weiße“, engelhaft reine Farbe aus, sondern durch ein durchaus charakteristisches, leicht scharfes Timbre. Die Harfe erinnert bei vielen Tönen eher an ein indisches Instrument, z. B. eine Sitar. Das liegt am obertonreichen Anschlag der Seiten auf dem Korpus, der etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Die vom gemischten Ensemble rein vokal dargebotenen Stücke sind durchweg ein Genuss. Klangschönheit und Klarheit der Interpretationen entsprechen bester britischer Ensemblekultur. Darüber hinaus zeichnen sie sich durch ausdrucksvoll durchgeformte Mittelstimmen und stimmliche Wärme aus.
Insgesamt ein ausgezeichneter Einstand.



Georg Henkel



Trackliste
101 D’ung aultre amer (Johannes Ockeghem)
2 02-05 Missa D’ung aultre amer
3 07 De tous beins plaine
4 08 Mille regretz
5 09 Ave Maria
6 10 Qui belles amours
7 11 Fortuna d’un gran tempo
8 12 Planxit autem David
9 13 Cela sans plus
10 14 Sanctus ‘D’ung aultre amer’
11 15 Tu lumen, tu splendor patris
12 16 La Bernardina
13 17 Victimae paschali laudes / D’ung aultre amer
14 18 Adieu mes amours
15 19 Ile fantazies de Joskin
16 20 Tu solus qui facis mirabilia / D’ung aultre amer
Besetzung

Julia Doyle: Sopran
Clare Wilkinson, Ruth Massey: Mezzo-Sopran
Steven Harrold, Mark Dobell, Christopher Watson, William Unwin: Tenor
Timothy Scott Whiteley, Robert Macdonald: Bass

Andrew Lawrence-King: Renaissance-Harfe

David Skinner: Leitung


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