Musik an sich


Reviews
Brahms, J. (Norrington)

Symphonien Nr. 1-4 (DVD)


Info
Musikrichtung: Romantik

VÖ: 15.05.2006

Hänssler Classic / Naxos (DVD (AD: 2005) / Best.nr. 93.903)

Gesamtspielzeit: 240:00

Internet:

Hänssler Classic



NORRINGTONS ZWEITER BRAHMS

Hohe Erwartungen durfte man an diese Produktion haben. Roger Norrington wusste mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zuletzt immer wieder ein neues Licht auf wohlvertraute Werke zu werfen, so etwa mit seinem Zyklus der Beethoven-Symphonien (siehe Reviews I und II). Und mit den London Classical Players gelang ihm schon Anfang der 90er Jahre eine aufwühlende, polarisierende Einspielung der symphonischen Werke von Johannes Brahms (EMI).

Die Radikalität und Leidenschaftlichkeit jener früheren Einspielung, ihre kompromisslose Wahl der Tempi ist zwar verschwunden, aber eine altersmilde Interpretation ist diese DVD mitnichten. Norrington lässt, wie gewohnt, mit vibratolosem Strich spielen, was die Transparenz im Orchesterklang gewährleistet. Wiederum kommen so vor allem die Holzblasinstrumente wunderbar zur Geltung. Auch die Akzentuierung durch die trockenen Paukenschläge nimmt sogleich für sich ein.
In der Einzelbetrachtung bieten die Symphonien dann jedoch ein recht unterschiedliches Bild:
Die erste Symphonie ist dabei am besten gelungen. Hier steigt Norrington ansatzlos ein und erzielt dadurch sofort im Kopfsatz ein Höchstmaß an Binnendramatik, die konsequent bis zum Schlußsatz forgeführt wird.
Dem Eingangssatz der dritten Symphonie fehlt die notwendige Sogwirkung, wohingegen der zweite Satz herrlich lyrisch und duftig daherkommt, ohne in Sentimentalität abzugleiten. Leider zerfasert Norrington dann den Schlußsatz durch ein unnötig nervöses Dirigat.
Die vierte Symphonie tönt zu Beginn von aller vermeintlichen "romantische Schwere" befreit, was aber nur allzu schnell den Eindruck musikalischer Lapidarität evoziert. Das ausradierte schwärmerische Element vermisst man hier besonders schmerzlich - der schneidend-schroffe Streichersound fordert seinen Tribut. Dafür steht dieser dem Scherzo ausgezeichnte zu Gesicht und auch der vierte Satz wird überzeugend kompromisslos und kraftvoll dargeboten.

Die Aufnahmen sind binnen dreier Tage in der Stuttgarter Liederhalle entstanden, jedoch nicht als Livemitschnitt. So spielt das Orchester in Festtagsmontur vor menschenleeren Stuhlreihen. Nun, dem Klangbild hat dieses leicht bizarre Detail immerhin keinen Schaden zugefügt. Die Bildregie ist konventionell und unaufdringlich.
Zu jeder Symphonie gibt es eine ausführliche, durchaus erhellende Einführung mit Roger Norrington, die leider tontechnisch unbefriedigend realisiert wurde: Synchronsprecher und englische Originalstimme des Dirigenten überlagern sich bei fast gleicher Lautstärke, so dass man weder den einen, noch den anderen richtig versteht und am besten damit beraten ist, im Menü den englischsprachigen Originaltext "pur" auszuwählen.

Insgesamt ein Einspielung, die sicherlich mehr als nur solide genannt werden darf, jedoch interpretatorisch nicht derart zwingend erscheint, wie zuletzt die DVD-Produktion der Brahms-Symphonien unter Semyon Bychkov (siehe Review), die damit unter beiden klar den Vorzug verdient.



Sven Kerkhoff



Trackliste
Symphonie Nr. 1 op. 68 c-moll
Symphonie Nr. 2 op. 73 D-Dur
Symphonie Nr. 3 op. 90 F-Dur
Symphonie Nr. 4 op. 98 e-moll
Besetzung

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Ltg. Roger Norrington


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