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Reviews
Havergal, B. (Lenárd)

Sinfonie Nr. 1 „The Gothic“


Info
Musikrichtung: Chor / Orchester

VÖ: 03.05.2004

Naxos / Naxos

Gesamtspielzeit: 134:07



THE LARGEST!

Es wurde aber auch Zeit! Naxos, das Label für Randständiges, Apokryphes und Seltengespieltes hat nun endlich auch die „Largest Symphony“ (so der Eintrag im Guinness Book of Records) im Programm.

1989 aufgenommen, war die Aufnahme bislang nur beim hochpreisigen Sublabel Marco Polo erhältlich. Angesichts des ungeheuren Aufwands – das Werk benötigt ca. 600 Mitwirkende – ist das freilich verständlich. Der Brite Havergal Brian (1876-1972) komponierte dieses Opus Magnum in den Jahren 1919-1927. 32 weitere Sinfonien sollten noch folgen, keine jedoch erfordert einen derart gewaltigen Apparat wie Havergals Erstling: ein Orchester mit 200 Mitwirkenden (allein 17 Schlagzeuger, 32 Holz und 24 Blechbläser), vier Solisten, zwei riesige Doppelchöre und Orgel.
Havergal scheint mit seiner klanggewordenen Vision eines imaginären gotischen Zeitalters noch einmal alle romantischen Mittelalter-Träume zusammenzufassen und in einer Apotheose steigern zu wollen, die sich schließlich selbst aufhebt.
Das Ergebnis ist eine Phantasmagorie: bezwingend in ihrer Bildgewalt, verstörend in ihrer mitunter brutalen Mächtigkeit. Das Spektrum reicht von zartesten Klangbrechungen, die einen an das farbige Licht der großen Kathedralfenster denken lassen, bis hin zu gewaltig sich auftürmenden Orchesterwogen, die an das Himmelsstürmende der gotischen Architektur erinnern. Man kann sich daran fasziniert berauschen und zugleich abgestoßen die Ohren verschließen.

Dass Havergal mit dieser Beschwörung im Anschluss an den 1. Weltkrieg zu Papier begonnen hat, darf man durchaus als Ausdruck einer totalen Sinnkrise und als Versuch der Wiedergewinnung „neuer alter“ Ideale verstehen. Dieses Paradox spiegelt sich in den zwei Teilen des Werks: Die ersten drei, rein orchestralen Sätze spielen auf den Faust-Mythos an: der „gotische Mensch“ schlechthin, der Wissbegierige und Suchende, der alles riskiert und dabei auch sich selbst verliert. Der zweite, sehr viel Umfangreichere Teil ist ein gigantisches Te Deum. Havergal setzt den Lobgesang des Ambrosius allerdings höchst vertrackt in Szene: mit Überblendungen, exzessiven Aufgipfelungen und nachtschwarzen Abgründen – da fallen Lobpreis, Endzeitstimmung, Schlachtenlärm und Erlösungshoffnung zusammen.

Der stilistische Bogen in dieser sinfonischen Kathedrale ist denkbar weitgespannt: Er umfasst die stilisierte einstimmige Gregorianik, den Konstruktivismus der Renaissance und die Kontrapunktik J. S. Bachs, macht schließlich reichlich Gebrauch von der Klangmalerei der Spätromantik – Wagner, Bruckner, Mahler, früher Schönberg – und greift aus bis an die Grenzen der Neuen Musik.
Dass dieses Gebilde nicht unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht und lediglich lächerlich wirkt, verdankt sich Havergals Gespür für Proportionen, Timing und Dramatik.
Nicht weniger ist dies aber der Verdienst der Ausführenden: Dirigent Ondrej Lenárd hat die Heerscharen sicher im Griff. Solisten und Chöre meistern den Marathon, ohne sich zu überschlagen, eindrucksvoll ist auch das präzise Spiel des Orchesters. Selbst wenn die Tontechnik hier naturgemäß an die Grenzen des Machbaren kommt: Der Klang ist erstaunlich ausgewogen, präsent und plastisch, selbst im wildesten Getümmel wird’s nicht breiig. Eigentlich würde sich in diesem Fall eine Überspielung auf SACD lohnen.



Georg Henkel



Besetzung

Eva Jenisová, Sopran
Dagmar Pecková, Alt
Vladimír Doležal, Tenor
Peter Mikuláš, Bass

Slovakischer Opern Chor
Slovakischer Volkschor
Lúčnica Chor
Chor der Stadt Bratislava
Kinder Chor von Bratislava
Youth Echo Chor
Pavol Procházka, Chorleiter

Sinfonieorchester des Slovakischen Rundfunks
Slovakisches philharmonisches Orchester und philharmonischer Chor

Ltg. Ondrej Lenárd


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