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Spätsommer in Kreuzberg - Das Tokyo Ska Paradise Orchestra und der Lions Club rocken das SO 36



Pünktlich um 20 Uhr öffnen sich die Tore des SO 36. Ich nutze den warmen Spätsommerabend aber noch einige Minuten, um das fast südeuropäische Flair aufzunehmen, das von den vollbesetzten Tischen vor den Lokalen und Kneipen ausgeht. In der von der Sonne aufgeheizten Oranienstrasse erklingen die verschiedensten Idiome. Keineswegs nur Türkisch, sondern Englisch, Spanisch, Französisch und mir fremde asiatische Klänge. In dieser Atmosphäre noch etwas Sommer tanken, ist die optimale Vorbereitung, um dann das japanische Tokyo Ska Paradise Orchestra und seine Variante des karibischen Ska-Sounds zu erleben.

Auch um Viertel nach Acht ist das SO noch fast leer. Der Blick fällt auf den Parkett(!)-Fußboden - ein erstaunlicher Stil für einen Schuppen, der viel im Punk-Millieu aktiv ist. Davon kann heute natürlich keine Rede sein. DJ Vogel beschallt den Raum mit sehr entspannten Ska-Klängen - übrigens ausschließlich von Vinyl -, deren Wurzeln klar in die 60er Jahre zurück reichen. Ich begutachte das überschaubare CD-Angebot am Merchandise-Stand. Vom Tokyo Ska Paradise Orchestra gibt es nur eine einzige Scheibe, Full Tension Beaters aus dem Jahre 2000. Kein Wunder, so erklärt mir der Mann am Stand. Es sei schlicht die einzige Scheibe des Orchesters, die für den deutschen Markt lizensiert sei. Auf der Bandhomepage www.skapara.net kann man die Cover von ca. 20 CDs begutachten und auch den einen oder anderen Snippett anklicken.

Langsam wird das SO voller. Da alle anderen Unterhaltungsmöglichkeiten des Clubs erschöpft sind, beobachte ich das langsam eintrudelnde Publikum. Sehr "normal" sieht es aus. Keine Kreuzberger Szene; keine Punks. Aber auch Rude Boys and Girls sieht man nur vereinzelt. Band- oder Image-Shirts sind eher Fehlanzeige. Überdurchschnittlich viel Japaner und Asiaten (Was für ein Zufall!). Dieses Publikum würde auch bei der Semestereröffnungsfete auf dem UNI-Campus kein Aufsehen erregen. Dazu passt das ausgewogene Geschlechterverhältnis. Sogar ein paar Langzeitstudenten haben sich eingestellt.

Bläserdominanz beim Lions Club


Dann beginnen sich Gestalten auf der zugenebelten Bühne zu bewegen. Plötzlich erscheinen neun Männer im Scheinwerferlicht. Vier Bläser, drei Gitarristen / Bassisten, ein Keyboarder und ein Drummer werden überwiegend von hinten angestrahlt. Die Frontbeleuchtung bleibt im Wesentlichen dem TSPO vorbehalten. Auf der Bühne steht der Lions Club. Wem der Sound trotz des weniger geläufigen Bandnamens bekannt vorkommt, der hat Recht. Denn die neun Berliner sind sozusagen die Nachlassverwalter der legendären Butlers.

Saxophonist Stefan Kapitzke gehört zu den "Uebriggebliebenen" der legendaeren Butlers


1999 hatten die Butlers ihre CD Wanjas Choice vorgelegt - eine Sammlung von TV- und Movie-Tunes im Rocksteady-Gewand. Was ursprünglich eher eine Verlegenheitslösung war, um eine längere Pause des Sängers Wanja zu überbrücken, ist beim Lions Club Programm geworden, erklärt mir Wowo, Schlagzeuger und Gründungsmitglied von den Butlers, in der Umbaupause. Und so werden wir 60 Minuten lang in die beiden Anfangsjahrzehnte der Flimmerkiste entführt. Ob "Dallas", "Die Zwei" oder 007-Tunes - alles fühlt sich bequem und bekannt an wie eine uralte ausgelatschte Jeans - vorgetragen in entspanntem Sommersonnenschein-Mood. Die optimale Fortesetzung der Minuten, die ich vor dem Konzert auf der Strasse verbracht habe.

Eine besonderen Akzent gewinnt das Konzert durch den - äh - Frontmann, der die Stücke von seinem erhöhten Drumhocker am hinteren Bühnenrand aus ansagt und kommentiert. Dennoch kommt die Band sauber rüber und wärmt das Publikum entspannt und locker an ohne ihm die Kraft für den Hauptact zu rauben (Die wird noch bitter nötig sein).

Gäste aus befeeundeten Bands lockern das Buehnenbild auf


Um der Gefahr der Eintönigkeit zu begegnen, hat sich der Lions Club ein paar Gastsänger ins ansonsten instrumentale Programm geholt. Den Vogel schießt dabei Thomas, der Ex-Sänger von Engine 54, ab, als er "Secret Agent Man" im Tarzandress präsentierte. Die Zugaberufe am Ende sind jedenfalls mehr als verdient.

Und dann bricht ein dreifarbiger Orkan über das Publikum herein. Von der ersten Sekunde an explodieren die Japaner schwarz-weiß-gelb auf der Bühne. War der Lions Club eine erfrischende Sommerbrise, ist das hier der echte Tropensturm. Wo das stille Auge des Sturmes sein soll, bleibt dagegen ein Rätsel - vielleicht hinten am Tresen, wo nur wenige Gäste Getränke ordern. Aber auch das soll sich wieder ändern. Denn bald ist dringender Bedarf am Nachtanken angesagt.

In diesem Zusammenhang ein großes Lob an das SO 36, das a) alkoholfreies Becks ausschenkt (statt des Standard-Labberwassers von Clausthaler) und es b) auch noch 40 Cent billiger anbietet, als die Säufer-Variante.

Masahiko Kitahara an der Posaune ist ständig in Bewegung bleibendder Blickfang des Orchesters


Mit Worten lässt sich kaum beschreiben, was in den folgenden 90 Minuten im SO 36 abging. Das Powerlevel war nach meinem Eindruck zwar etwas niedriger als beim Potsdamer Skafest vor einem Jahr, aber der Eindruck kann täuschen. Dieses Mal wußte ich schließlich vorher in etwa, was mich erwartete. Die in den Spotlights blitzenden Gestänge der Posaune stießen nach oben, nach unten, nach rechts, nach links. Die Soli wirkten wie der Showdown in einem klassichen Mantel- und Degenfilm. Mit flimmerndem Stahl wurde klar gestellt, dass hier keine Gefangen gemacht werden. Haltet mit, oder gebt auf, lautete die Parole.

Ob heiße Luft oder schwingende Saiten - die 10 Japaner wussten auf jeder Position ihre Waffen optimal einzusetzen


Nach den ersten drei Granaten verkündet der Frontmann in fast akzentfreiem Deutsch das Motto des Abends: "Gebt uns Kraft! Wir geben Euch große Energie. Lasst uns tanzen!!" Das lässt sich die Crowd nicht zwei Mal sagen - und tanzt, springt, tobt und schwitzt, was das Zeug hält. Die gegenseitige Rücksichtnahme beim Rempeln und Springen ermöglicht einen exzessiven, aber dennoch stressfreien Genuss, da man zu keinem Zeitpunkt um seine Nieren, die Brille, Nasen oder Schienenbein fürchten muss.

Auf der Bühne herrscht kaum weniger Bewegung. Da werden die Positionen gewechselt,ins Publikum gefiedelt, gebalsen und geschruppt. Jede Sekunde, jeder Quadratzentimeter, jeder Milimeter der unaufhörlich steigenden Quecksilber-säule wird mit ehrlichem Schweiß und hundertprozentigem Einsatz erkämpft.

Vollgas bis zum Abwinken: Das Publikum ließ sich schnell von den Vorbildern auf der Buehne anregen


Wenn ich es richtig mitbekommen habe, haben die Japaner einen deutlichen Akzent auf das alte, aber hier veröffentlichte Album Full Tension Beaters gelegt. Jedenfalls kamen mir viele Stücke bekannt vor. Bei den überwiegend instrumentalen Ska-Nummern lege ich dafür aber keine Hand ins Feuer. Die gesungenen Parts müssen offenkundig von anderen Alben übernommen worden sein.

Nach diesem Konzert sollten die verantwortlichen bei den Ska-Spezialisten Grover Records mal drüber nachdenken, ob man nicht noch einige Perlen aus dem Backkatalog für das deutsche Publikum zugängig machen kann. Außerdem schreit diese Performance geradezu nach der Live-DVD.

Tadellos gekleidet wird die Melodica zu Beginn des Konzertes präsentiert. Am Ende wartet man auch in der zweiten Reihe nur noch auf den Waeschedienst


Klar, Zugaben müssen sein. Diesmal schien zumindest die zweite aber eine "echte" gewesen zu sein, die nicht von vorneherein fest stand. Jedenfalls schienen DJ Vogel und die Beleuchter unsicher zu sein, ob nach der ersten Zugabe Schicht im Schacht war, oder nicht. Eine ganze Anzahl der Besucher zog daraus den falschen Schluss und hatte den Saal bereits verlassen, als das Orchester noch einmal die Nachbrenner für eine Ehrenrunde zündete.

Weit nach Mitternacht ergoss sich das Publikum in die laue Berliner Nacht hinaus. Die Japaner haben wieder einmal bewiesen, was sie am besten können. Die Perlen der welt klauen, nachbauen und mit unschlagbarer Power in die Welt tragen. Jamaika, zieht Euch warm an.


Norbert von Fransecky



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