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KLASSIK-BANDWURM
Klassik diverse: Yellow Lounge. The Classical Mix Album. Vol. II

Yellow Lounge / DG CD DDD (Mix) / Best. Nr. 476 116-8
Mix / Crossover
Cover
Interpreten:
DJs / diverse Orchester und Dirigenten

Interpretation: ?
Klang: +++++
Edition: ?

RETTET DIE KLASSIK!

Seitdem der Umsatz nicht nur für U-, sondern ebenso für die E-Musik zumindest bei den Majors dramatisch eingebrochen ist, ist guter Rat teuer: Der Katalog platzt aus allen Nähten. Die Repertoire-Hits sind gleich dutzendfach in passablen Einspielungen vertreten. Ohne Marken-Stars läuft nichts. Und immer noch wird nachproduziert. Nigel Kennedys 2. Version von Vivaldis "Jahreszeiten" wurde soeben ausgeliefert ...
Wie also das Interesse für Klassik abseits der ausgehörten Pfade wecken? Wie die Verkaufszahlen für Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner wieder steigern? Wie die Spezies der Klassikhörer - heute durchschnittlich jenseits der 50 - vor dem Aussterben bewahren? Wie also junge Hörer ansprechen, die Mozart vielleicht nur als Kugel kennen?

BLOSS WIE?

Ist die Zeit nicht vielleicht reif für neue Formate, jenseits von Oper und Konzertsaal, jenseits von Gesamteinspielungen? Z. B. mit der Fusion von Szene-Club, DJ und Klassik? Um so die Hemmschwellen abzubauen und die angeblich so elitäre Klassik als "Volksmusik" von morgen unter die Leute zu bringen. Und zwar in Clublautstärke. So vor über zwei Jahren erstmals von der Deutschen Grammophon / Universal Classics in diversen Clubs unter dem Label "Yellow-Lounge" ausprobiert und seitdem regelmäßig wiederholt: DJs samplen klassische Musik wie zuvor ihre Pop-, Rock-, Jazz-Platten ... Und manchmal gibts dazu auch Live-Auftritte von Klassikkünstlern. Wie die Gästeliste zeigt, sind darunter nicht nur die bekannten Stars mit ihrem Standard-Repertoire: Yundi Li, Emerson String Quartett, David Garrett, Magdalena Kozená, Mischa Maisky und Musica Antiqua Köln haben sich schon die Ehre gegeben. Demnächst geht das ganze auf Tour durch deutsche Großstädte: Berlin, Hamburg, Leipzig und München.
NA SO: MIX IT ...

So weit, so originell. Die Promo-Version der Yellow Lounge. Vol. II liegt gerade im Player und reproduziert das Klassikformat der Zukunft: einen rund einstündigen Bandwurm der schönsten Stellen, mit dem die Kunst des weichen Übergangs zelebriert wird. Keine Angst: Alles bleibt "Klassik pur", ohne die üblichen DJ-Effekte. Da wird aus Tschaikowskys "Tanz der Zuckerfee", eine beliebte Nummer aus seinem Nussknacker-Ballett, der Cha-Cha aus Bernsteins "West Side Story", die sich unversehens in Saint-Saens "Aquarium"aus dem "Karneval der Tiere" verwandelt. Weiter gehts mit Bachs Flötensonate E-Dur, die zum Präludium d-moll aus seinem "Wohltemperierten Klavier" mutiert, bevor dieses den Evolutionssprung zu Chopins Etude op. 25, Nr. 4 a-moll vollzieht. Irgendwann gibt es auch Richard Robbins zu hören: Minimal Music, die gar nicht so weit von den üblichen DJ-Mixes entfernt ist. Neben dem Ausschnitt aus Phillipp Glass' ebenfalls minimalistisch-süßlichen "Heroes" das modernste, auch pop-kompatibelste Stück auf dieser CD, die ansonsten eher Ausschnitte aus dem Ohrwurm-Wunschkonzert zum Sonntagmorgen bringt. Also eigentlich genau das, was die Generation ab 50 auch am liebsten hört! Nur meist vollständig und am Stück. Da verheißt das Angebot auf der Homepage der Yellow Lounge, "Von Bach bis Ligeti" schon avantgardistischere Hörerfahrungen ...

... AND RELAX!

Ist das Klassik für Neugierige, Einsteiger oder gar Liebhaber? Weder noch! Das ist zunächst einmal dekorative Ambiente-Musik. Oder ein Soundtrack für eine 'klassische' Klangmöblierung. Da wird aus alten (aber hochwertigen) Konserven eine unterhaltsame Mixtur produziert: klangtechnisch vorzüglich aufbereitet und auch als Hifi-Check für die heimische Anlage gut zu gebrauchen. Ansonsten soll sie ebenso wie das Design der Clubs, angefangen von der Wandfarbe bis zum Bezug der Sitzmöbel, über Kerzen, Videoinstallationen, Hallogenspots, die Farbe der Cocktails und die Hippness der Gäste für Atmosphäre sorgen - gute, angeregte oder relaxte Atmosphäre. Glaubt man der Homepage von Yellow Lounge, funktioniert das sogar. Die Frage ist, ob es auch außerhalb dieses Settings noch funktioniert. Uns gings dann doch schnell auf die Nerven. Also, für Leute, die sowieso schon die Klassik kennen und lieben, ist das nix.

Abgesehen davon: Das, was (gerade die sogenannte klassische) Musik ansonsten auch ausmacht, dass sie nämlich zunächst Selbstzweck sein darf, geht verloren. Hier wird sie als breiter, flauschiger Klangteppich bloßes Mittel zum Zweck. Kein Schaden, wenn es denn den passenden Anlass gibt, sei es bei der Party daheim oder eben in der Lounge. Daher muß hier auch unsere übliche Bewertung eine neue Differenzierung erfahren:

Nutzwert: je nachdem, bis zu 20 Punkte
Musikalischer Wert: 5 Punkte

Georg Henkel / Sven Kerkhoff

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