Musik an sich


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HARNONCOURT UND BARTOLI BEFEUERN HAYDN
Joseph Haydn (1732-1809): Symphonie Nr. 92 "Oxford", Arianna a Naxos, Scena di Berenice
BBC Opus Arte DVD (AD 2001, live) / Best. Nr. OA 0821 D
Wiener Klassik
Cover
Interpreten:
Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
Concentus Musicus Wien
Nikolaus Harnoncourt

Interpretation: ++++
Klang: +++++
Edition: ++++

"DER KOMPONIST KANN NICHTS DAFÜR...

...wenn seine Werke oftmals langweilig gespielt werden." So äußert sich Nikolaus Harnoncourt, der mittlerweile in die Jahre gekommene Vorkämpfer der Originalklang- und Alte Musik-Bewegung, in einem auf der DVD mitgelieferten Gespräch mit Cecilia Bartoli. Beide treten in dieser Produktion dann auch den Beweis dafür an, dass Haydn wahrhaft spannende Werke geschaffen hat. Die aber wollen unter steter Spannung gehalten werden und vertragen deshalb keine lieb- und gedankenlose Interpretation.

HAYDN ALS EINFALLSREICHER SYMPHONIKER

Schlaff-gefällige Interpretationen sind leider zu häufig Haydns (späten) Symphonien zuteil geworden. Ganz anders, interessant, frisch und kernig wird hier die sogenannte "Oxford-Symphonie" dargeboten. Sie bezieht ihren Reiz gerade daraus, dass Haydn in ihr stellenweise ungewohnt düstere, bisweilen gar trotzig-agressive Töne anschlägt. Harnoncourt versteht es mit seinem erfahrenen Concentus Musicus Wien diese Aspekte nicht einzuebnen oder "schön zu spielen" - er rauht sie vielmehr noch ein wenig auf, auch um etwa die Kontrastwirkung zum ruhigen Adagiothema zu betonen. Wie nicht anders zu erwarten, spielt das Ensemble präzise und akzentuiert, erliegt aber doch nicht der Versuchung der historischen Aufführungspraxis, die Phrasierungen überzustrapazieren oder das Stück gegen den Strich zu bürsten. So ist ein quirliger Haydn herausgekommen, der 25 Minuten beste Unterhaltung bietet und den Komponisten zudem als überraschend vielseitig ausweist.

GESTALTUNGS- UND ÜBERZEUGUNGSKRAFT DER BARTOLI

Über die Stimme der Bartoli braucht nicht mehr geschrieben zu werden - dass es sich hier mehr als sonst um eine echte, das Publikum spaltende Geschmacksfrage handelt, ist bekannt. Wer aber das besondere Timbre schätzt und zudem Wert auf eine echte Interpretation in dem Sinne legt, dass sich ein Künstler kompormisslos und engagiert in die Musik hineindenkt und diese mitfühlend gestaltet, ist bei ihr in jedem Fall an der richtigen Adresse.
Cecilia Bartoli hat gleich in zwei Szenen, die Haydn für Londoner Publikum schrieb, Gelegenheit, mit diesen Fähigkeiten zu glänzen. Die Kantate "Arianna a Naxos" wurde von ihm für Singstimme und Klavier gesetzt, die Orchestrierung ist ein Arrangement des Stücks aus dem 19. Jahrhundert. Mit tonmalerischen Mitteln schildert Haydn das Geschehen geschildert und zeichnet die extremen Gefühle dramatisch nach. Wenn Arianna, den endgültigen Verlust ihres Geliebten realisierend, dem Wahnsinn verfällt, wird dieser Vorgang erstaunlich psychologisierend vertont: als ein regelrechtes Hinübergleiten in einen anderen Bewußtseins-Zustand. All dies, vor allem aber die dunkle Schlußarie in f-moll mit ihren harmonischen Finessen und spannugsvollen Wendungen, gerät dank der geläufigen Gurgel der Bartoli zu einem puren Hörgenuß. Und die Mimik läßt zugleich erkennbar werden, wie sehr die Italienerin in ihrer Rolle aufgeht, die Identifikation mit der Figur bis fast zur Selbstaufgabe treibt und so den Zuschauer mitzureißen versteht, ihn geradezu zum Mitleiden nötigt.
Nicht anders ist es bei der "Scena di Berenice", die zu der Arianna-Kantate einige Parallen aufweist. Allerdings hat Haydn die Szene selbst für Singstimme und Orchester gesetzt, so dass die Instrumentation hörbar raffinierter ausfällt. Wieder jedoch findet sich eine dramatisch bewegte Schlußarie, in der sich die Verzweiflung Berenices über die tödliche Verletzung ihre Geliebten Demetrio Bahn bricht.
Beide Stücke zeigen Haydn als einen Komponisten, der - auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangt - was das dramatische Geschick, die Stimmführung und den Ideenreichtum angeht, die Höhe Mozarts erreichen konnte. Bartoli und Harnoncourt brechen in diesem Sinne wohltuend engagiert eine Lanze für den nur vermeintlich langweiligen "Papa Haydn".
Zudem sind Klang- und Aufnahmetechnik dieses beim Styriarte Festival 2001 entstandenen Konzertmitschnitts tadellos. Die DVD wird durch ein fast viertelstündiges Gespräch von Dirigent und Sängerin, verknüpft mit Ausschnitten aus den Probenarbeiten, sowie durch ein Portrait des Festival komplettiert.
Indes: Es muß die Frage erlaubt sein, ob 60 Minuten auf einem so umfangreichen Speichermedium wie der DVD nicht doch ein wenig mager sind, zumal wenn das Produkt zum High-Price im Handel ist. Dem illegalen Kopieren wird so jedenfalls der Boden kaum zu entziehen sein.
In gleicher Aussattung und mit denselben Mitwirkenden ist übrigens bereits eine DVD mit Mozart-Arien und Mozarts "Prager Symphonie" erschienen (Best.Nr. OA 0820 D).

17 Punkte

Sven Kerkhoff

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