Musik an sich


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Virginia Jetzt!

(16.09.03, Heidelberg, Karlstorbahnhof)

Das nenne ich eine Spontanaktion. Eigentlich findet ja schon am 4.10. ein Konzert in Karlsruhe statt, und es war auch schon mit Freunden abgesprochen, dass wir dort hin gehen, aber als der Herr Grohsjean, der Mensch mit der Einkaufsliste, beiläufig erwähnte, dass sie morgen im Karlstorbahnhof spielen würden, wurde ich an ebenjenem abend nervös. Hingehen oder nicht? Jedenfalls rief ich meinen besten Freund an, da ausser ihm eh keiner Zeit hatte, und sagte "Virginia Jetzt spielen in Heidelberg" "Ich weiss - gehen wir hin?"

Jawoll. Und so trug es sich dann zu, dass wir innerhalb von einer halben Stunde zusammen im Auto Richtung HD saßen.

Als wir dort ankommen begegne ich wieder meinem Bekannten am Eingang - ohne Einkaufsliste oder Lernzettel, aber er hat jede Menge Weisheiten parat.

Wir reden ein wenig über Rocco Schamoni, dem "Harald Juhnke der Punkbewegung", der hier auch bald spielen soll. Aber er muss schon bald wieder die anderen suchen.

Die ganze seitengescheitelte alternative Trainingsjacken- und Chordhosenkultur hat sich aufgetan. Ich bereue meinen eigenen Mangel an Kreativität und binde mir die Trainingsjacke lieber um die Hüften. 21 Uhr sollte Start sein, aber die Vorband lässt ganz schön auf sich warten. Ich hatte leider keine Uhr, ich schätze, eine halbe oder dreiviertel Stunde zu spät fingen sie an. Aber das Warten hat sich gelohnt wie noch bei keiner Vorband. "The Porous". Merken, reinhören, lieben. Ich bin vollauf Feuer und Flamme, mein Begleiter teilt diese Meinung, und wir wollen nach dem Konzert sofort nach Tonträgern sehen.

Sie spielen auch bestimmt ne halbe Stunde, das Publikum wird langsam etwas wärmer. Ist mir im Karlstorbahnhof schonmal aufgefallen. Das Publikum hier ist etwas reserviert. Vereinzelt eine zuckende Schulter oder ein Bein dass sich zum Takt bewegt. Schade, denn die Band ist wirklich verdammt gut und hat das nun wirklich nicht verdient.

Danach kurze Umbaupause. Auf einmal sind in den ersten Reihen nur noch Mädchen zu finden. Mein Begleiter, Herr Bach, bemerkt dies und fragt mich, was da denn los ist. "Schau mal nach Vorn, dann siehst du den Grund". Vier gutaussehende junge Männer, ihre Instrumente stimmend. Selber. Ein Lob an so viel Bescheidenheit. Wer mir besonders ins Auge sticht ist natürlich wieder der Schlagzeuger. Die männliche Version von Schneewittchen. Ästethik pur, ich ärgere mich, dass ich ihn so nicht zeichnen kann. Er war mir schon bei Select-MTV aufgefallen, wo die Jungs auch die Geschichte ihres Namens erzählten. Der Sänger lud wohl mal ein Mädchen namens Virginia zu einem Konzert ein, und schilderte ihr den Weg dorthin auch aus. An der Stelle, an der das Mädchen abbiegen sollte, war dann ein Schild "Virginia Jetzt!". Das Mädchen ist allerdings nicht zum Konzert erschienen. Das wird sie noch schwer bereuen, wenn sie es nicht jetzt schon tut.

Auf einmal ertönt "Boys are back in town" in den Lautsprechern. Jetzt verstehe ich auch das Plakat. Die Jungs betreten die Bühne und ernten erstmal Applaus. "Die besten sind weg, nur wir sind noch da, schweren Herzens und leichten Schritts". Die Menge bewegt sich, wenn auch noch recht zögern. Die Hits der Platte "Wer hat Angst vor Virginia Jetzt!?" werden durchgespielt, es irritiert mich ein wenig, dass ich die einzige zu sein scheine, die die Texte kennt. Ich bin fasziniert von Nebelmaschine und Lichtshow, von antiker Alt-Oma Lampe beim Keyboarder - und das alles nur für 10 Euro Eintritt! Daumen hoch!

Ich frage mich schon, wie sie es lösen "Das beste für alle" ohne Mia zu spielen, klappt aber wunderbar. Eines meiner Lieblingsstücke auf der Platte, und erstmals hüpfende Bewegungen im Publikum. Ich mache mich langsam auf an die blaue Flecken Front.

Es hagelt vereinzelt ein paar ältere Sachen, die haben sie wohl auch schon letztes Jahr gespielt, als sie hier waren. Aber das ist alles neues Publikum, letztes Jahr war wohl noch keiner da. Der Gitarrist nimmts mit Humor und erzählt, dass er hier gerne alt werden möchte. Schwelgt ein wenig in Erinnerungen. Schön.

Die Mädels haben sich langsam nach Hinten verzogen, zumindest die meisten, sodass der Sänger charmant versucht, sie wieder nach Vorne zu bewegen. Obwohl er wohl schonmal Ärger hatte: Ein Typ kam vor nem Konzert zu ihm hin und meinte, dass seine Freundin verliebt in ihn sei, und der Typ wäre einen Kopf grösser gewesen als er. Und dann erzählte der Typ noch, dass er den Türsteher gut kenne, und besagter wäre sogar zwei Köpfe grösser. Ja, man hats nicht leicht als Frauenschwarm!

Der Sänger bemerkt im Publikum wohl jemandem, der Lauri von "The rasmus" ähnlich sieht, was allgemein hier nicht als schmeichelhaft angesehen wird, also entschuldigt er sich auch später und verspricht ein T-Shirt. Jetzt kommen die bekannteren Sachen. "Mein sein", persönlicher Sommerhit auch von Charlotte Roche, singen nun doch endlich mal einige Mädels mit. Ich spüre den Bass unter meinen Füßen und freue mich. Und als sie schliesslich "Von guten Eltern" spielen gibts kein Halten mehr. Endlich wird so richtig gehüpft, verschwitzt und zufrieden suche ich meinen Begleiter. Doch das war noch nicht alles. Sie gehen zwar von der Bühne, lassen sich aber von Zugaberufen gleich wieder auf ebenjene locken. Drei Zugaben, darunter "Im Regen", ein wunderwunderschönes Liebeslied, Keyboardbegleitung, und nun merkt man erst, wieviele Pärchen hier eigentlich sind. Oje.

Für eine allerletzte Zugabe sind die Jungs aber noch zu begeistern, das zweite Cover an dem Abend, ein Lied von der "Regierung", mir nicht bekannt, aber sehr eingängig, sehr fein. Nur die Nebelmaschine nervt ein wenig. Ich bilde mir ein, dass der Sänger mich ansieht, weil ich die einzige bin, die noch fit mitsingt. Ich freue mich und lächle. Er geht nass und verschwitzt von der Bühne.

Bestimmt anderthalb Stunden gespielt - halte ich inzwischen schon für ordentlich, auch wenn ich mich gefreut hätte, wenn sie noch weiter gespielt hätten.

Auch wenns wohl abgedroschen klingt - Virginia jetzt - und immer wieder. Wir sehen uns in Karlsruhe, und da werd ich scharf aufpassen, dass ihr nicht jede Stadt so in den Himmel lobt wie Heidelberg.

Helen Hofstetter