Musik an sich


Editorial

Drei blutjunge Musikerinnen haben es nicht nur auf die Titelseiten der internationalen Presse geschafft. Selbst die regionale Kirchenzeitung in Berlin-Brandenburg präsentierte Pussy Riot als Aufmacher. Natürlich hat das wenig mit den musikalischen Fähigkeiten der Russen-Punks zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit der Tatsache, dass sie gleichzeitig dem russischen Machthaber Putin und der staatsfrommen orthodoxen Kirche auf den Schlips getreten sind. Damit – und nicht zuletzt mit dem unerträglichen Urteil gegen sie – ist wieder einmal deutlich zutage getreten, wie weit Russland von einer humanen demokratischen Gesellschaft noch entfernt ist.

Für ihren Protest wurden Pussy Riot weltweit gelobt. Und der Vorwurf, dass sie für ihren Auftritt eine Kirche missbraucht hätten, trifft ins Leere. Den Sprachlosen und Schwachen eine Stimme zu geben ist schon immer eine Aufgabe der Kirche gewesen; eine Aufgabe, die sie viel zu oft vergessen hat und vergisst. Darum war es gleich doppelt richtig eine Kathedrale der schweigenden, bzw. mit den Mächtigen kläffenden russischen Kirche für diesen Auftritt zu nutzen. Und das Ganze in die Form eines Gebetes an Maria zu gießen, ist 100%ig biblisch. Wie lobt Maria doch Gott im Magnificat: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ (Lukas 1, 52f)

Letztlich stellen Pussy Riot Rock und Punk damit wieder auf die Füße. Denn beide Musikstile verdanken ihre Existenz ja nicht zuletzt der Tatsache, dass sie provozieren. In Russland reicht dazu ein gezielter politischer Protest. In unserer ach so grenzenlos freien Welt würde so etwas kaum noch jemand näher zur Kenntnis nehmen. Und so führt die Lust an der Provokation hier zu den übel riechenden Exzessen insbesondere in der Metalszene, in der unter dem Banner der Freiheit der Kunst bestialische, menschenverachtende Texte zur Selbstverständlichkeit geworden sind, die man mit einem schulterzuckenden „Gehört halt dazu“ zur Kenntnis nimmt, wie die Verlogenheit von Politikern oder die Kriminalität von Wirtschaftsbossen.

Und provokativ für die Einhaltung ethisch moralischer Grenzen in einer Welt einzutreten, in der everything goes, ist wesentlich schwerer, als sich in einer repressiven Gesellschaft provozierend verbotene Freiheiten zu nehmen. Dazu gehört nämlich so etwas wie Selbstbegrenzung und Demut. Und das sind nun mal Eigenschaften, die eher leise sind.

So sind wir in der MAS froh, dass wir uns nicht (im doppelten Sinn) verkaufen müssen. Wir haben das getan, was wir jeden Monat für Euch tun. Ingo hat wieder reichlich gelesen. Stefan, Mario und ich sind mal wieder vor den Bühnen herumgeturnt und berichten über zwei Festivals, sowie die Konzerte von Omega und Toto. Im Interview gibt es Neues von Heart of Cygnus, Jess and the ancient Ones und den kanadischen Druckfarben. Und natürlich wieder einen ganzen Sack voller Reviews!

Ein provozierend unprovozierendes Lesevergnügen wünscht...

Norbert von Fransecky