Musik an sich


Reviews
Sciarrino, S. (Angius)

Luci mie traditrici


Info
Musikrichtung: Neue Musik Oper

VÖ: 06.07.2011

(Stradivarius / Klassik Center Kassel / CD / DDD / 2010 / Best. Nr. STR 33900)

Gesamtspielzeit: 66:50



VON DER SCHÖNHEIT DES PATHOLOGISCHEN

Eine Musik, die praktisch ausnahmslos nur aus feinsten atmosphärischen Zwischentönen besteht: Salvatore Sciarrinos zweiaktige Oper Luci mei traditrici, eine Komposition aus dem Jahre 1998, verweigert sich konsequent dem blühenden, lyrischen Opernton. Eine musikalische arte povera, die aber trotz historischer Bezugspunkte ohne die heute beliebten neotonalen Archaismen auskommt.

Offenbar ist dies ein bei aller Radikalität erfolgreiches Konzept für neues Hören: Das Stück erlebte bereits zahlreiche Wiederaufnahmen, zuletzt 2010 in Montepulciano, wo auch die vorliegende Aufnahme entstand, der Sciarrino Referenzcharakter bescheinigt. Das ist leicht nachvollziehbar: So kammermusikalisch intim, so präzise und dabei so mühelos und nicht zuletzt schön hat man dieses zarte instrumental-vokale Klangnetz, das oft an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit ausgespannt ist, noch nicht hören können. Die vokale Musik besteht im Wesentlichen aus den vokalen Arabesken der vier SängerInnen. Ihre Partien beschränken sich überwiegend auf sehr kurze, mit gedämpfter Stimme zu singende Phrasen, die wie atomisierte Madrigalismen anmuten. Aus der Perspektive des 20. Jahrhundert blickt der Komponist dabei zurück auf die Geburt der frühen Oper aus dem Geist der Monodie.
Umsponnen werden diese formelhaften Partikel mit den Obertonspektren der Streicher und den geräuschhaften Klappen- und Anblasgeräuschen der Bläser sowie Einwürfen des Schlagzeugs. Das nur 21 Instrumente umfassenden Ensemble erzeugt einen „Bewusstseinsraum“, allerdings den Raum eines getrübten, getäuschten und letztlich wohl paranoiden Geistes, der von irrenden Gedanken, animalischen Äußerungen und unterdrückten Trieben beherrscht wird.
Dargestellt wird die „Angelegenheit“ (Sciarrino) eines Paares, des Herzogs und der Herzogin Malaspina (zu Deutsch: Bösdorn). Durch die Einflüsterungen eines unglücklich in die Herzogin verliebten Dieners, der die Frau des Ehebruchs mit einem Gast bezichtigt, kommt es zur Katastrophe: Der Herzog tötet erst den Gast, dann seine Frau. Die „verräterischen Augen“, von denen im Titel die Rede ist, das sind zugleich die in ihrer Wahrnehmung getrübten Augen, die glauben, was sie gar nicht sehen. Sciarrino hat übrigens für sein Libretto eine Vorlage aus dem 17. Jahrhundert bearbeitet, die auf den legendenumrankten Ehrenmord des Fürsten von Venosa, Carlo Gesualdo, anspielt. Das verbale Kondensat dieses historischen Thrillers ist die perfekte Vorlage für Sciarrinos hypernervöse und hypersensible Erregungsmusik.

Die Interpreten sind in jeder Hinsicht zu loben: Die Vokalsolisten für ihre so selbstverständliche und sensible, klangschöne Wiedergabe, wobei noch einmal der elegante, mühlelose Altus von Roland Schneider herausragt. Die Instrumentalisten des Ensembles Algoritmos agieren unter der Leitung von Marco Angius völlig gleichberechtigt und bringen die ätherischen wie die animalischen, die expressiven wie die pathologischen Momente der Partitur zum klingen. Ein warmes, natürliches Klangbild unterstreicht diese Qualitäten.



Georg Henkel



Besetzung

Nina Tarandek: Herzogin Malaspina
Christian Miedl: Herzog Malaspina
Roland Schneider: Gast
Simon Bode: Hausdiener

Ensemble Alogritmo

Marco Angius: Leitung


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