Musik an sich


Reviews
Beethoven, L. v. (Brautigam)

Klaviersonaten Nr. 26, 27 und 29 (Sämtliche Sonaten VII)


Info
Musikrichtung: Klassik Hammerklavier

VÖ: 17.07.2009

(BIS / Klassik Center Kassel SACD hybrid / 2007 / Best. Nr. BIS-SACD 1612)

Gesamtspielzeit: 68:18



ANSTURM AUF DEN GIPFEL

Ronald Brautigam ist inzwischen bei den späten Klaviersonaten Beethovens angekommen. Sein klares Spiel auf einem nachgebauten Graf-Flügel von 1819 hat nichts von seiner Attraktion verloren. Trotz der mitunter extremen Spreizung des Ausdrucks und der formalen Konstruktion durch den Komponisten bewahrt Brautigam auch in den hitzigsten Passagen einen kühlen Kopf, ohne darüber die poetische Dimension der Musik zu vernachlässigen.

Den Adagio-Beginn der Sonate Nr. 26 „Das Lebewohl“ nimmt Brautigam ohne Pathos ganz ruhig, dabei ergreifend zart und innig, bevor er das 2. Thema optimistisch herausfahren lässt. Bestürzend die – dank des trockeneren Hammerklavier-Klangs – wirklich schmerzhaft leeren Pausen am Anfang des 2. Satzes „Abwesenheit“, den er, wie von Beethoven verlangt, mit viel Ausdruck darbietet, bevor er die Sonate mit dem launige Skalenfeuerwerk des 3. Satzes („Das Wiedersehen“) „im lebhaftesten Zeitmaße“ und ihren raumgreifenden Freudenakkorde hymnisch, aber auch mit grüblerischen Zwischtönen, beschließt.
Die zweisätzige Sonate Nr. 27 ist vor allem wegen ihres melodischen Themas aus dem 2. Satz bekannt, ein wahrer Ohrwurm, der von Schubert stammen könnte und sich auch bei Brautigam angemessen aussingen darf. Der 1. Satz, voller nervöser Attacken, dynamischer Brüche und lyrischer Umschwünge hingegen profitiert sehr von Brautigams geschickter Klangregie, die die Register-Möglichkeiten des Hammerklaviers konsequent nutzt.
Das Gipfelwerk auf dieser Platte ist die vierzigminütige Große Sonate für das Hammerklavier, deren Komposition auch für Beethoven eine Tour de Force darstellte. Zwei Jahre hat er an diesem zeitlos fordernden Werk gearbeitet. Moderne Interpreten stehen nicht zuletzt vor der Frage, wie sie mit den extremem Tempoforderungen im Eingangs- und Schlusssatz zurechtkommen sollen.
Michael Korstick hat auf dem modernen Flügel gezeigt, dass es möglich ist, diese zirzensischen Herausforderung mit Musikalität und Klarheit überzeugend zu verbinden (Oehms). Selbstverständlich besitzt auch für Brautigam das Wort des Komponisten oberste Priorität. Beim Adagio nahm sich Korstick die Freiheit, in unendlicher Langsamkeit voranzuschreiten. Brautigam folgt Beethovens Vorgaben und ist mit rund 15 Minuten doppelt so schnell wie Korstik, was dem Zusammenhalt des Satzes und dem leidenschaftlichen Ausdruck sehr zu gute kommt.
In den schnellen Sätzen dagegen zieht Korstik die Sache mit noch mehr Vehemenz und Feuer durch. Zwar sorgt bei Brautigam das luzide Klangbild des Hammerklaviers dafür, dass die Musik noch in den verwickeltsten Momenten durchhörbar ist, vor allem bei der pianistischen Achterbahnfahrt der Schlussfuge, eine reine Zukunftsmusik. Brautigam disponiert stringent, aber - verglichen mit Korstik - doch mit eher klassizistischer Noblesse. So gewaltig, drängend und überbordend wie Korstik klingt es hier nicht, da ist schon das Instrument vor.



Georg Henkel



Trackliste
1-3 Sonate Nr. 26 15:32
4-5 Sonate Nr. 27 12:16
6-9 Sonate Nr. 29 40:30
Besetzung

Ronald Brautigam, Hammerklavier nach Conrad Graf um 1819


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