Musik an sich


Reviews
Rameau, J.-Ph. (Rousset)

Zoroastre (Version 1756)


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 14.05.2007

Opus Arte / Naxos
2 DVD (AD live 2006) / Best. Nr. OA 0973D


Gesamtspielzeit: 227:00

Internet:

Les Talens Lyrique



ORIGINAL BAROCKER BUDENZAUBER

Bei Jean-Philippe Rameaus vorletzter tragedie Zoroastre (1749, rev. 1756) muss man genauer hinhören. Gemessen an Vorgängerwerken wie Dardanus oder den nachfolgenden Les Boreades wirkt das Werk beim oberflächlichen Hören schnell etwas kurzatmig und blass, obwohl der Kampf zwischen Gut (Zoroastre) und Böse (Abramane) viel Gelegenheit zur Entfaltung von musikalischem und szenischen Budenzauber gibt. Vor allem mit den Tänzen ist Rameau relativ sparsam gewesen. Sie sollten offenbar nicht das Drama überwuchern, sondern – eingedenk aufklärerischer Kritik – zwingend mit diesem verbunden sein.
Die großen musikalischen Fresken, die Rameau in seinen früheren Werken anbringt, scheinen hier auf das Notwendige konzentriert. Die Musik deutet den Text penibel aus, ohne in die Breite zu gehen (selbst da, wo sie diese mit sinfonischem Schwung anzukündigen scheint): Ein knappes Präludium umreißt die Stimmung der nachfolgenden Szene, die Airs und Chöre sind von häufig aphoristischer Kürze; scharf gezeichnete instrumentale Gesten kontrapunktieren die Vokallinien. Alles wird, wie es sich für eine klassische tragedie lyrique gehört, dem Fortgang der Handlung untergeordnet. (Die allerdings ist auch in der hier eingespielten 2. Fassung nicht ohne Längen …).
Rameau konzentriert seine Kunst vor allem in den Rezitativen, die von größter Flexibilität und Ausdrucksfülle sind und alle Formen bis zum orchesterbegleiteten Arioso umfassen. Verblüffend, wie nahe das Wagners unendlicher Melodie kommen kann. Höhepunkt sensibler Textausdeutung ist der Monolog der Érenice zum Beginn des 5. Aktes, ein Wunder expressiver Verdichtung. In Szenen wie dieser gelingt es dem Komponisten, alles Hörbare in Sichtbares und Sichtbares in Hörbares zu verwandeln. Gestik und Mimik der Figuren scheinen in den gesungenen Worten bereits angelegt. Bewegungen im Raum sind der Musik eingeschrieben und müssen nur noch von den Darstellern mitvollzogen werden.

DOPPELBÖDIGE INSZENIERUNG

Die Umsetzung dieses schwierigen, „avantgardistischen“ Werks ist in der vorliegenden Produktion aus dem barocken Schlosstheater von Drottingholm gelungen. Dass Regisseur Pierre Audi hinter der vorgeblichen Schwarz-Weißmalerei des Librettos eine ambivalente Welt entdeckt, in der die Motive der Guten durchaus nicht nur edel und die der Bösen durchaus nicht nur unmenschlich sein müssen, trägt eine zusätzliche Dynamik in das Geschehen hinein. Was unterscheidet den machtbewussten und kampfbereiten Zoroastre mit seiner Heilslehre von einem typischen aufgeklärten Despoten des 18. Jahrhunderts? Die unglücklich in ihn verliebte Érenice wechselt nur deshalb die Fronten, weil er sie stets brutal zurückstößt. Und der finstere Abramane erscheint als seltsam gebrochener Bösewicht. Maske und Kostüm machen Zoroastre und ihn zu ungleichen Zwillingsbrüdern.
Der musikalische und theatralische Höhepunkt des Werks ist der 4. Akt. Geschildert wird eine opulente Schwarze Messe. Selten ist die unheimliche Faszination des Bösen so packend auf die Opernbühne gebracht worden. Bei Audi erscheinen die Bösen als Täter und Opfer zugleich, wenn sie sich lüstern mit Messern traktieren. Ihre Verblendung und die angedeutete Bereitschaft zum Selbstmord verleiht dem Ganzen auch durch barocke Kostüme und Dekors hindurch Aktualität.
Leider herrscht auf der Bühne meistens ein düsteres Zwielicht. Viele Details der barocken Ausstattung verschwinden im Schatten. Abramanes spektakulären Auftritt in den Wolken kann man so gar nicht richtig wahrnehmen. Kamerablicke von oben oder hinten machen die Bühnenmaschinerie sichtbar, stören aber dadurch gerade die zauberhaften Illusionswirkungen.

MUSIKALISCH: KLARHEIT UND VERVE

Man hört durchaus, das hier ein Cembalist die Leitung hat: Musikalisch bringt Christophe Rousset mit Les Talens Lyrique die Musik in schönster Klarheit und bis auf den letzten Akzent genau ausgehört auf den Punkt. Das kleine Orchester spielt klangschön, mit rhythmischer Verve, wird zu Beginn aber häufig zu sehr von den aufnahmetechnisch bevorzugten Stimmen übertönt. Rameaus kongeniale Orchestersprache kommt da nicht angemessen zur Geltung.
Was Rousset bei aller Kunst im Detail nicht immer ganz gelingt, ist die Gestaltung des dramatischen Zusammenhangs über die einzelnen Abschnitte hinaus. Gerade bei dieser Oper ist das eine große Herausforderung. Da bietet sein Mentor William Christie in der Erato-Einspielung die insgesamt organischere Version mit dichter szenischer Verzahnung.
Das ändert aber nichts am positiven Gesamteindruck. Stimmlich ist die Neueinspielung sehr ordentlich besetzt. Zwar fehlt es Evgueniy Alexiev in der Rolle des Bösewichts an schwarzer Basstiefe. Aber wie bei den übrigen Mitwirkenden ist seine Deklamation ausgesprochen lebendig und kraftvoll. Besonderes Lob gebührt Anna Maria Panzarella, die die Érenice bereits unter Christie gesungen hat und hier mit offener Tongebung und breiter Ausdruckspalette erneut ihr Format als große Barocktragödin unter Beweis stellt. Sie ist die geheime Hauptperson des Werks, während Zoroastre sich etwas unentschlossen in der Pose des Übermenschen oder des Verliebten ergeht. Beide Seiten werden von Anders J. Dahlin mit wohlklingendem hohen Tenor angemessen dargestellt.

Wie bei den vorhergehenden Rameau-Produktionen von Opus Arte rundet auch hier eine einstündige Dokumentation die Einspielung ab. Als Einführung in das Werk ist sie so gelungen, dass ich nur empfehlen kann, sie noch vor der Auseinandersetzung mit der ganzen Oper anzuschauen.



Georg Henkel



Besetzung

Anders J Dahlin, Zoroastre
Evgueniy Alexiev, Abramane
Sine Bundgaard, Amélite
Anna Maria Panzarella, Érenice
Lars Arvidson, Zopire / Die Rache
Marcus Schwartz, Narbanor
Gerard Théruel, Oromanès / Ariman
Ditte Andersen, Céphie

The Drottningholm Theatre Orchestra and Chorus
Les Talens Lyriques
Ltg. und Cembalo Christophe Rousset

Bühnen-Regie Pierre Audi
TV-Regie Olivier Simonnet

Extras:
Galerie und Biographien
Zoroastre: Discovering an opera (Olivier Simonnet)


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