Musik an sich


Reviews
Boulez, P. (Boulez – Scheffer - Sommer)

Elcat / Sur Incises


Info
Musikrichtung: Neue Musik Dokumentation

VÖ: 12.06.2006

Juxtapositions/Ideale Audience / Naxos
DVD(AD 1994/2000) / Best. Nr. DVD9DS15


Gesamtspielzeit: 142:00



NEUE MUSIK IM BILD

Die (erklärende) Macht der Bilder: Die beiden Regisseure Frank Scheffer und Andy Sommer demonstrieren mit ihren beiden Dokumentarfilmen über zwei Kompositionen von Pierre Bouelz, wie zugänglich die zunächst spröde und vermeintlich „nur“ intellektuelle Musik des umstrittenen französischen Avantgarde-Altmeisters sein kann. Das gilt im Fall des brillant-virtuosen Sur Incises noch mehr als beim um über 20 Jahre jüngerer Eclat, das in seiner zerklüffteten Faktur deutlicher als das spätere Werk an die seriellen und aleatorischen Anfänge des Komponisten erinnert. Mit Sur incises zeigt Boulez aber, wie skrupulöse Konstruktion und differenzierte Ausarbeitung von Klangmaterial zu mitreißender Musik führen können: Das für drei Klaviere, drei Harfen und drei Schlagzeuger komponierte Werk ist ein rhythmisch vertracktes Feuerwerk in häufig halsbrecherischem Tempo. Bei aller Komplexität im Detail bleibt es in seinem Verlauf dennoch stets gut fasslich. Man könnte meinen, Webern, Debussy und Stravinsky hätten bei einer Jazzsession gemeinsam einen drauf gemacht.

Bei Eclat folgt Regisseur Scheffer den Proben des 15-köpfigen Ensembles (gleichsam als Fokus fungiert dabei der charismatische Leiter Ed Spanjaard) und schneidet Boulez im Interview dagegen. Wesentliche Aspekte des Werkes – z. B. die klangliche Natur der Instrumente, die Wahlfreiheit des Dirigenten, Bezüge auf Paul Klee, die Bedeutung von Zeit und Raum – werden durch den Wechsel von Klangbeispielen und gesprochenem Wort erhellt. Der Aufbau des Films lehnt sich an den spiegelbildlichen Aufbau der Komposition an. In der Mitte des Beitrags erklingt auch die Mitte des Stücks, um dieses Zentrum herum gruppieren sich die einzelnen Kapitel. Man schaut dem Stück durch diese mosaikartige Montage gleichsam beim Entstehen zu, am Ende hört man das rund zehnminütige Werk dann im Zusammenhang.
Sur Incises besteht aus einer Einführung, die Boulez vor einem Konzert u. a. vor 400 Schulkinder der Sekundarstufe gehalten hat. Es ist eine sehr ausführliche, aber nie langweilige Lektion, die das Werk unter Einbeziehung der Musiker gleichsam Takt für Takt und Abschnitt für Abschnitt erläutert. Boulez Sprache ist einfach und präzise, sein Engagement echt, der Humor ansteckend. Er findet stets einleuchtende Bilder („Ohrfeige“, Kaleidoskop, Stroboskop …), um die musikalischen Vorgänge zu umschreiben. Die Kamera verfolgt mit Argusaugen die Interpreten bei der Arbeit, das Spiel der Hände und schwingenden Saiten vermitteln einen geradezu physischen Eindruck von der Musik. Beim eigentlichen Konzert danach ist die Musik dann beim Zuschauer so präsent, dass sie zwar immer noch fordert, aber vor allem eins bereitet: Vergnügen.

Bild- und Tonqualität sind gut, der Klang allerdings auf der CD-Produktion von Sur Incises (gleiche Besetzung, DG) noch plastischer und transparenter. Etwas umständlich zu bedienen ist das Menü der DVD, vor allem ein kleiner Bonusfilm mit dem Titel Ring wurde dort regelrecht versteckt (das verschlungene Ornament unter den Titeln im Hauptmenü). Sehr löblich: Die ausführlichen englischen Booklettexte der Regisseure mit Hintergrundinformationen zu den Produktionsbedingungen gibt es in mehrsprachiger Übersetzung als PDF auf der Rom-Spur der DVD.



Georg Henkel



Trackliste
Eclat
Netherlands’ Nieuw Ensemble
Ltg. Ed Spanjaard
Regie Frank Scheffer

Sur Incises. A Lesson by Pierre Boulez
Ensemble Intercontemporain
Ltg. Pierre Boulez
Regie Andy Sommer


Bonsufeature «Ring» von Frank Scheffer
DVD-Rom mit Übersetzungen der Booklettexte

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