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Reviews
Schubert, F. (Bostridge)

Winterreise


Info
Musikrichtung: Romantik / Lied

VÖ: 13.08.2004

EMI Classics / EMI (CD DDD (AD: 2004) / Best. Nr. 7243 5 57790 2 1)

Gesamtspielzeit: 69:29

Internet:

EMI Classics



ANGRY YOUNG MEN

Auch wenn Schuberts (1797-1828) Liederzyklus "Winterreise" zumeist von einem Bariton vorgetragen wird, ist doch diese Stimmwahl nicht zwingend. Mit nahezu gleichem Recht kann man die Besetzung mit einem Tenor verteidigen und letztendlich ist, wie viele Experimente in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt haben, nicht die Stimmlage, sondern die interpretatorische Fähigkeit des Sängers der ausschlaggebende Faktor. Der britische Tenor Ian Bostridge verfügt über das entsprechende Talent nahezu im Überfluß. Seine Winterreise wird zu einer hochdramatischen Reise durch die Abgründe menschlichen Empfindens, die einen sogleich gefangen nimmt, von der man sich aber anschließend durchaus auch erholen muß. Für ausschweifende lyrische Passagen und bloßen Schönklang ist da wenig Raum, viel Platz aber für einen überbordenden Reichtum an Ausdrucksfarben. Vom ausschwingenden Legato-Bogen bis zum nahezu tonlosen Sprechgesang, vom empörten Schrei bis zur verzweifelten Klage wird hier alles hörbar. Und vor allem wird viel bitteres Lachen, werden Ironie und Zynismus deutlich. Dieser verstoßene Liebende ist nicht, oder zumindest nicht so durchgehend wie sonst, ein sich dahinschleppender Selbstmordkandidat. Vielmehr schwankt er permanent zwischen Amoklauf, Suizid, Sentiment und Trotz.

Nicht immer kann man das alles widerspruchslos hinnehmen. Zu neu und avantgardistisch ist diese Interpretation bisweilen. Und an mancher Stelle versteigt sie sich vielleicht auch einmal: so z.B., wenn in dem Lied "Rückblick" vor lauter atemloser Flucht der Kontrast zur schönen Erinnerung ("Wie anders hast du mich empfangen...") kaum noch zu seinem Recht kommt.
Dafür aber ist etwa gleich die anschließende Nr. 9 eine wahre Offenbarung. So konsequent hörbar gemacht worden ist bisher weder das "Irrlicht" noch das "Irregehen", wobei hier, wie insgesamt, Leif Ove Andsnes am Klavier erheblichen gestalterischen Anteil an der neuen Sichtweise hat.
Dabei wird oftmals das tonmalerische Element durch die beiden Ausführenden in den Vordergrund gerrückt, wie beispielsweise auch in den Liedern "Die Krähe" oder "Im Dorfe". Wie hier durch kleinste Nuancen Atmosphäre geschaffen wird, ist atemberaubend. Mag man sonst allein vom (Mit-)Leid bei der "Winterreise" gefangen sein, ist man hier ganz in die bis zum Schluß unaufgelöste Spannung mit hineingenommen und fragt sich stets, was weiter passiert. Beide Künstler konstruieren diesen Spannungsbogen geschickt und mit vielen neuen, aber immer logischen Einfällen. Das kurze, bewegte Stück "Der stürmische Morgen" geht etwa bruchlos in das anschließende Lied "Täuschung" über. Wie der Protagonist im Sturm seiner Gefühle hin- und hergeworfen ist, so ergeht es auch dem fassungslosen Zuhörer, der auf eine gänzlich neuartige "Winterreise" mitgenommen wird.

Besser, dramatischer, authentischer kann man das kaum machen. Schuberts Neigung zum Extremen wird hier bis zum letzten ausgekostet. Die Aufnahme wird dennoch nicht unumstritten bleiben, gerade weil sie so konsequent anders ist und mit den gängigen Vorstellung von Romantik kaum zusammengeht.
Der Tontechnik bleibt der Verdienst, dass sie dieses musikalische Ereignis plastisch und sauber eingefangen hat. Im Booklet gibt der Sänger selbst einiges von seiner Sicht auf den Liederzyklus preis.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1. Gute Nacht (Fremd bin ich eingezogen) D 911,1 05:31
2. Die Wetterfahne (Der Wind spielt mit der Wetterfahne) D 911,2 01:44
3. Gefrorene Tränen (Gefrorne Tropfen fallen) D 911,3 02:15
4. Erstarrung (Ich such im Schnee vergebens) D 911,4 02:54
5. Der Lindenbaum (Am Brunnen vor dem Tore) D 911,5 04:59
6. Wasserflut (Manche Trän aus meinen Augen) D 911,6 03:48
7. Auf dem Flusse (Der du so lustig rauschtest) D 911,7 03:28
8. Rückblick (Es brennt mir unter beiden Sohlen) D 911,8 01:50
9. Irrlicht (In die tiefsten Felsengründe) D 911,9 02:24
10. Rast (Nun merk ich erst, wie müd ich bin) D 911,10 03:25
11. Frühlingstraum (Ich träumte von bunten Blumen) D 911,11 04:24
12. Einsamkeit (Wie eine trübe Wolke) D 911,12 03:12
13. Die Post (Von der Straße her ein Posthorn klingt) D 911,13 01:59
14. Der greise Kopf (Der Reif hatt einen weißen Schein) D 911,14 02:48
15. Die Krähe (Eine Krähe war mit mir) D 911,15 01:59
16. Letzte Hoffnung (Hie und da ist an den Bäumen) D 911,16 01:48
17. Im Dorfe (Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten) D 911,17 03:11
18. Der stürmische Morgen (Wie hat der Sturm zerrissen) D 911,18 00:48
19. Täuschung (Ein Licht tanzt freundlich vor mir her) D 911,19 01:04
20. Der Wegweiser (Was vermeid ich denn die Wege) D 911,20 04:08
21. Das Wirtshaus (Auf einen Totenacker) D 911,21 04:17
22. Mut (Fliegt der Schnee mir ins Gesicht) D 911,22 01:22
23. Die Nebensonnen (Drei Sonnen sah ich am Himmel stehn) D 911,23 02:41
24. Der Leiermann (Drüben hinterm Dorfe) D 911,24 03:30
Besetzung

Ian Bostridge, Tenor

Leif Ove Andsnes, Klavier


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